Kepplers Adelsbrief

[283] Endlich ist der Brief gefunden,

Schön von Schreibers Hand gemalt,

Von der Seidenschnur umwunden,

Und vom Siegel rot bestralt!


Bist du fröhlich, alter, grauer

Bürgermeister Weils der Stadt,

Nun dein Sohn, obwohl ein Bauer,

In der Wieg' ein Knäblein hat?


Weißt du doch: des Urahns Glücke

Rauschte Gruß der Tiberstrom,

Als ihn Sigmund auf der Brücke

Schlug zum Ritter einst in Rom.


Mach' den Enkel nur zum Grafen,

Liegt er gleich im Baurenstroh!

Sebald Keppler, geh nun schlafen,

Deines Adelsbriefes froh.


Siehst du nicht, wie Sternenschimmer

Auf das Pergament schon blinkt? –

Doch der Alte liest noch immer,

Bis das Augenlid ihm sinkt.
[283]

Ei, was wird der Brief im Traume?

Sieh, er wächst zum Firmament,

Wo auf ungemessnem Raume

Sonne statt des Siegels brennt.


Aehnlichs hat er nie gesehen,

O welch wunderbar Gesicht!

Diese Sonne bleibt ja stehen,

Diese Sonne schreitet nicht!


Ohne Scheu, am Tage, treten

Statt der Lettern Sterne vor,

Und es kreisen die Planeten

Um das goldne Licht im Chor.


Wie so süß erklingt, wie tönet

Jede Sphäre dieser Welt!

Umgekehrt und doch verschönet

Lacht das ganze Himmelszelt!


Endlich sieht er einen braunen

Chorherrn sich im Traume nahn.

Der spricht freundlich: »Laß dein Staunen,

Solches ist der Sterne Bahn!


Merke dir den echten Himmel,

Denn das ist sein Guß und Fluß;

Ordnung bracht ich in's Gewimmel,

Heiß' ich ja Copernikus!


Doch so sauber in dem Blauen

Hab' ich einst es nicht entdeckt.

Mann! dein Enkel, der wird schauen,

Was mir selber blieb versteckt.


Siehst du dort den roten flimmern?

Das ist Mars, der sichre Stern:

Dem, von allen Wandelschimmern,

Folgt er um den Sonnenkern.


Und bald mißt er ihre Bahnen,

Und sein Scharfblick irret nie.

Ihre Gänge durft' ich ahnen

Aber Er berechnet sie!
[284]

Drum durchspäh' die Himmelsferne,

Modern laß des Kaisers Wort.

Adelsbrief und Glückessterne

Blühen deinem Enkel dort!«


Sebald Keppler wacht zu Morgen

Aus dem Traum gekräftigt auf.

Sind die Sterne gleich verborgen,

Ist die Sonne gleich im Lauf,


Findet gleich er in der Wiegen,

Ach, ein Siebenmonatskind

Stöhnend, halblebendig liegen,

Noch an beiden Augen blind:


Auf den Arm nimmt er's in Wonne,

Weil er seinem Traume glaubt;

Sterne wandeln um die Sonne

Ueber seines Enkels Haupt.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 283-285.
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