V, 16.

[110] Faustine, vornehm gekleidet, tritt auf.


FAUSTINE.

So nimmst du mich denn auf beglückt!?

Ich schließ' die Pforte hinter meinem schwarzen Brüten.

Ein lichtes Loos sei mir fortan beschieden,

Das dich und mich entzückt.

Ich will nicht länger stürmisch fodern,

Wie ich's im Wahn bei dir gethan.

Nur stille soll der Liebe Flamme lodern:

Sieh mich nur an!

MUSARION.

Wir werden nie zusammenpassen;

Ihr werdet nicht vom Rasen lassen.

Ihr zieht mich an und stoßt mich ab zugleich.

Ich taug' nicht in solch wirres Reich.

FAUSTINE.

Besänft'ge meinen grellen Sinn!

Gern werd' ich deine Schülerin.

Willst du die Poesie mir deuten,

Die Ruhe in's Gemüth ergießt,

Wie wenn der Abendglocken Läuten

Im Strome durch die Thäler fließt?
[110]

MUSARION.

Ihr thut, als hättet ihr empfunden

Den schmerzverscheuchenden Gesang,

Den Balsam für geschlag'ne Wunden,

Den erdgeschenkten Himmelsklang.

O sei es so! – Nicht läßt sich definieren,

Was Dichtung sei und wodurch wirke sie.

Sie würd' darüber den Gehalt verlieren,

Die Eigenwärme und den Pli.

Man lehrt nur ihre äußere Gestalt;

Und das bleibt wirkungslos und kalt.

FAUSTINE.

Wie traulich, so euch reden hören!

Ganz anders wirket ein lebendig Wort

Als des Professors Vortrag, der ästhetisch mich belehren

Gewollt; denn aller Schmelz flog drüber fort.

MUSARION.

Die Schmeichelei packt tiefer als gewöhnlich.

Allein nur Praxis ist mein Element.

Der Dichter sieht sich selber nicht mehr ähnlich,

Wenn er zuviel von Seinesgleichen kennt.

FAUSTINE.

Reicht mir die Hand! Ich will sie drücken.

MUSARION.

Was denkt ihr bei der Forderung?

Zu welchem Zweck?

FAUSTINE.

Ich will sie schmücken

Mit diesem Demant; er erhält euch jung.[111]

MUSARION.

Jung, und für wen? Ein Ring ist ein Symbol

Und mehr noch: ist der Ein'gung Schluß.

Mir wird bei euerm Wunsch nicht wohl:

Ihr rechnet drauf, daß ich euch folgen muß.

FAUSTINE.

Und kann er anders, der von mir Bestrickte?

MUSARION.

Und wenn mir doch ein Ausweg glückte?

Wenn dieser Ring, den mir die Unschuld an den Finger schob,

Mich über die Verführung frei erhob,

Die Kraft mir lieh, dem Wesen treu zu bleiben,

Das Lieb' und Lied in mir gebracht zum Treiben?

Ihr hattet über mich nur teuflische Gewalt.

Mit diesem Zeichen sieg' ich bald!

FAUSTINE.

Bedenk', ich sitz' in deiner Seele fest!

Und gehst du auch in's Gegenlager über,

Nicht lang' behagt's dir in dem kleinen Nest.

Du äugelst wiederum zu mir herüber.

MUSARION.

Soll denn mein Loos das unentschied'ne sein,

Ich ewig zwischen Höll' und Himmel wanken?

Mich ekelt dies verächtlich Schwanken.

Und brächt's den Tod: ich sage nein!

FAUSTINE.

Zerstörer alles Glücks! Mit nichts kann sich gewinnen

Die an dich Festgeschmiedete die Gunst von dir!

Ist denn vergeblich, Peiniger, mein Sinnen?

Eh' du zur Nebenbuhl'rin gehst von hinnen,[112]

So stirb durch diesen Stahl! Dann bleibt die Leiche mir.

Ich kann sie betten, kann ihr Grabmal schmücken.

MUSARION dem Stich ausweichend.

Du Schauderweib! Nun kenn' ich deine Tücken.

Der Tragik bitt're Frucht suchst du zu pflücken.


Einen Revolver aus der Tasche ziehend.


Dann Aug' um Aug'! Du bist nicht mehr als ich.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 110-113.
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