263. St. Johannisnacht auf der Karleburg.

[256] Von Schöppner. – Karleburg oder Karlsburg bei Karlstadt am Main. – C.v. Falkenstein Buch der Kaisersagen S. 122.


Es macht in der Sankt Johannisnacht

Auf Karlsburg ein Zug die Runde;

Ein Leichenzug geht still und stumm

Im Gemäuer der Burg dreimal herum

Zur mitternächtigen Stunde.


Auf jenem Schloß an des Maines Gestad

So stolz und luftig zu schauen

Erblühte der knospenden Rose gleich

Ein Fräulein an Adel und Tugend reich,

Die Perle fränkischer Frauen.


Zwei Ritter kamen gezogen von fern,

Den Edelstein zu erwerben,

Doch weil von Zweien nur Einer allein

Als Bräutigam konnte die Liebliche frein,

So mußte der Andre verderben.
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Nur Einer konnte der glückliche sein,

Das kränkte den Anderen bitter;

»Du sollst mir theuer bezahlen die Braut,

Die wird mit der Klinge dir angetraut!«

So schwur der verachtete Ritter.


Und nächtlicher Weile lauert und harrt

In glühendem Racheverlangen

Der Ritter des Feindes am Felsenthor –

Da tritt der glückliche Jüngling hervor,

Von der Liebsten kam er gegangen.


»Willkommen Gesell! willkommen zum Strauß!

Jetzt sollst du die Braut dir erwerben!

Hier über die zackige Felsenwand

Muß einer von uns an des Maines Strand

Hinabgeschleudert verderben.«


Und es zucken wie Blitze die Klingen empor

Und es rasseln die Schwerter so munter –

Ein Schrei und ein Fall! der Jüngling gut

Er stürzt getroffen in seinem Blut

Die zackigen Felsen hinunter.


Und es macht in der Sankt Johannisnacht

Auf Karlsburg ein Zug die Runde;

Ein Leichenzug geht still und stumm

Mit des Jünglings Sarg in der Burg herum

Zur mitternächtigen Stunde.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 256-257.
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