855. Die Felsen-Jungfrau bei Weltenburg.

[389] Von IsabellaBraun. – Mündlich.


1.

Weiche Sommerlüfte kosen

In der nächtlich stillen Au;

Blüthen, Blumenkelche, Rosen

Trinken süßen Abendthau;

Gräser schwanken wie im Tanze,

Elfen schweben im Gefild,

Und der Mond im weichen Glanze

Blicket auf das holde Bild.

Auch der Donaustrom, der greise,

Wallet hin im Wellengang,

Feierlich, doch mild und leise

Hält er seinen Abendsang.

S' ist, als ob ein junges Leben

Walte keck in seinem Schoos;

Denn die Wellen senken, heben

Glänzend sich und fessellos;

Wiegen wie im Jugendspiele

Leicht ein Schifflein her und hin;

Nicht nach vorgesetztem Ziele

Steuernd, liegt ein Schiffer drin.

Glühend sendet er die Augen

Auf die Wogen, monderhellt,

All die Schönheit einzusaugen

Dieser seiner Lebenswelt.

Offen, wie der Kelch der Blüthe,

Weich, als wie der Blumenhauch,

Ist des Schiffers jung Gemüthe,

Wogend, wie die Welle auch.


Alle seine Liebeslieder

Läßt er rauschen in die Fluth,

Und die Töne steigen nieder,

Wo die Wassernixe ruht.

Sieh! da tauchet aus der Welle

Rasch und leicht die Nixe auf,

Und der Mond wirft mild und helle

Seinen Silberglanz darauf;

Macht die blonden Locken leuchten

Wie das Gold so hell und klar,

Senket in den Blick, den feuchten

Einen Zauber wunderbar.

Und die Nixe lauscht der Lieder,

Die der junge Schiffer singt;

Mit der Welle auf und nieder

Sie die zarten Glieder schwingt;

In dem Nixentanze wieget

Sich der kleine, schwache Kahn;

Da erstaunt der Schiffer, bieget

Nieder sich zur Wellenbahn.

Sieh! da treffen sich die Augen,

Treffen glühend in einand,

Und des Schiffers Blicke saugen

Ein den wonnig süßen Brand.

Doch die Nixe taucht in Wogen

Nieder, scherzend voller Lust,

Daß des Stromes Wellenbogen

Schlagen an des Schiffers Brust.
[389]

Da durchströmt ein heiß Verlangen

Des erstaunten Jünglings Herz,

Sich die Nixenmaid zu fangen

Zu der Minne süßem Scherz.

Zu dem tiefen Wellenschoose

Senket er sein Netz hinein,

Zieht empor – o, welcher große

Welcher Wunderfang ist sein!

Aus dem Netze windet leise

Sich das Nixlein zart und zahm,

Fern von ihrem Wellengleise

Steht sie da in holder Scham.

Doch der kecke Fischer windet

Weich um sie den starken Arm;

Und der Nixe Beben schwindet,

Und es wird das Herz ihr warm!

Und die beiden jungen Herzen

Werden Eins in dieser Stund;

Bei des Himmels Sternenkerzen

Schließen sie den Liebesbund.

Ihre Treueschwüre tauschen

Sie beim Mondenschimmer ein,

Und des Donaustromes Rauschen

Muß das Wort des Priesters sein.

Und der Zweige leises Säuseln,

Und der Lüfte Aeolsklang,

Und der Wogen Spiel und Kräuseln,

Wird zum süßen Hochzeitsang.


2.

Wie zog der silberne Mond heran

So manche Nacht an dem Himmelsplan,

Sich leise spiegelnd in Stromeswogen:

Kein Schifflein kam mehr daher gezogen.

Denn o! vergessen in Lust und Scherz

Hat bald der Schiffer das treue Herz!

In neuem, seligem Liebesbunde

Vergessen jene glückliche Stunde!

Doch ihm zu eigen in treuer Lieb

Das Herz der glühenden Nixe blieb;

Und Sehnsuchtsthränen voll Schmerzensgluten

Vermischten sich mit den kalten Fluthen.

Zum grünen Ufer, wo Blumen steh'n,

Wo Bäume kühlende Schatten weh'n,

Wo ausgeworfen die Angel hing,

Die Nixe suchend den Liebsten ging.

Da fand sie ihn endlich nach manchem Tage,

Nach manchen Nächten so kummervoll!

Da fand sie ihn endlich, und bange Klage

Aus ihrem liebenden Herzen quoll:


»O, sei mein eigen in treuer Lieb!

Die Wogen haben den Schwur gehöret

Als du dies zärtliche Herz bethöret!

O, sei mein eigen! dein Herz mir gieb,

Daß nicht die Woge dir Rache schwöret!

Und rühret nimmer dich all mein Flehen,

So lerne anderes Wort verstehen,

Das unterm Herzen mir leis und bang

Dich ›Vater‹ rufet mit Liebesklang!« –


So fleht die Nixe und ringt die Hand,

Und naht sich liebend dem grünen Strand,

Und will ihn ziehen zu sich hinein;

Doch höhnend sieht er der Nixe Pein

Und stößt sie lachend hinab zur Welle

Mit Sang verlassend die Trauerstelle.


Da wendet ringend in Qual und Weh

Die Nixe sich an des Stromes Fee,

Ihr klagend gleich einer Erdenmaid

Das thränenbittere Herzeleid;

Bang klagend über den theuren Mann,

Und flehend sie um Erbarmen an. –


Doch weh! es zürnet die Stromesfei!

Ihr Auge funkelt in Scham und Scheu!

Ihr Herz erbebet bei solcher Kunde!

Zur Strafe hebt sie empor die Hand,

Die Nixe samt ihrer Liebe Pfand,

Verfluchend mit ihrem keuschen Munde.

Und sieh! – nicht regt sich die Nixe mehr.

Da stehet sie wie ein Fels im Meer

Zu Stein verwandelt nun grau und alt –

Als ewig warnende Felsgestalt. –
[390]

3.

Wieder fuhr im schwanken Kahn

Auf des Stromes leiser Bahn

Hin der Schiffer liebewarm,

Haltend nun sein Weib im Arm.

Wieder tönen seine Lieder

Froh und kräftig durch die Welt;

Aber plötzlich still er hält –

Denn er sieht die Nixe wieder!

Sieht die starre Felsenmasse,

Sieht das stiere, graue, grasse

Angesicht der Liebsten sein!

Da ergreift ihn heiße Pein,

Da ergreift ihn Schreck und Grauen,

Und sein Blut will stille stehen

In dem furchtbar stieren Schauen,

Denn er ahnet, was geschehen. –

Von Verzweiflung wild gejaget

Stürzt er in die grausen Schluchten,

Und die blasse Lippe klaget

Ob dem Stein, dem schwer verfluchten!

Und die Lippe ruft mit Beben

Ruft mit heißem Seelenschrei

Zu der harten Stromesfei,

Diesen Zauberbann zu heben. –


Doch dieweil im schwanken Kahn

Harrt sein Weib mit Furcht und Grauen;

Immer, immer muß sie schauen

Dieses starr Gebilde an! –


Dreimal stieg die Sonn' herauf

Und beschien das Schreckgebilde;

Dreimal kam in seinem Lauf

Auch der Mond, der sanfte, milde;

Doch er ward zum Geisterschein

Als er um den Felsen schwebte;

Banger noch das Herz ihr bebte,

Grausenvoller ward die Pein.


Aber immer harrt sie aus!

Harret, daß der Gatte kehre

Wieder aus dem Schluchtenhaus.

Horch! da hört man Raben krächzen!

Und aus tiefer Schlucht hervor

Kommen sie in schwarzem Heere,

Rufend in des Weibes Ohr

Ihres Mannes Todesächzen. –


Zitternd schleicht davon das Weib,

Doch es zieht mit ihr das Beben,

Und es wühlt in ihrem Leib,

Hemmet ihres Herzens Schlagen,

Und nach sieben Leidenstagen,

Hat geendet sie das Leben. –


4.

Die Schiffer ziehen voll leichtem Muth

Im schwanken Nachen durch Stromesfluth,

Sie halten fröhlich den Schiffersang

Und lauschen munter dem Echoklang.


Doch horch! zu Ende ihr Liedchen geht!

Vor ihnen steinern die Jungfrau steht,

Vom Sturm verwittert das Angesicht

Doch noch gelöset vom Banne nicht.


Denn drinnen lebet das Nixenkind;

Es stöhnet und ächzet durch Fluth und Wind,

Und wimmert schaurig die leise Klag

Bis einst sie endet der jüngste Tag. –

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 389-391.
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