Dritter Auftritt.

[69] Gaveston. Anna zu seiner Linken.


GAVESTON sieht Margarethe mißtrauisch nach. Wie, Miß? Ihr seid noch nicht in Eurem Schlafgemach?

ANNA. Wie Ihr seht. Ich unterhielt mich noch mit Margarethe.

GAVESTON. Die Euch ohne Zweifel wie gestern wieder allerlei Albernheiten und Märchen von der weißen Frau erzählt hat. Ist es möglich, Miß, daß Ihr solchen Thorheiten Glauben beimessen könnt.

ANNA. Ich?

GAVESTON. Ja, Ihr! Ich bemerkte es gestern wohl, wie aufmerksam und bewegt Ihr wart bei der Erzählung von dem Pächter Dikson und dessen Goldstücken und daß Ihr in allem Ernst an diese wunderbare Begebenheit zu glauben scheint.

ANNA lächelnd. Wunderbar? O nein! Niemand weiß besser als ich, daß sie wahr ist.

GAVESTON. Ihr scherzt.

ANNA. Oft erzählte mir die Gräfin, daß ihr Gemahl von seinen Feinden verfolgt, in der letzten Nacht vor seiner Abreise in den Ruinen umherirrte, wo er die lauten Klagen eines unglücklichen Pächters vernahm. Um nicht erkannt zu werden, warf der Graf ihm seine Geldbörse im Namen der weißen Frau zu und wenn nicht jeder Funken von Dankbarkeit im Herzen Diksons erloschen ist –Für sich. auf welche ich meine ganze Hoffnung zur Verwirklichung meines Planes setze –

GAVESTON. Seid außer Sorgen. Dikson ist ein treuer Anhänger der weißen Frau. In Verbindung mit sämtlichen alten Weibern der Umgegend verbreitet er das Gerücht, es werde mir Unglück bringen, dies Schloß öffentlich feilbieten zu lassen. Doch wir wollen sehen. Ich komme soeben von dem Friedensrichter Mac-Irton; wir haben alle Anstalten getroffen, daß morgen mit dem Frühesten der Verkauf des Gutes vor sich gehen kann.

ANNA beiseite. O Himmel! Laut. So werdet Ihr denn,[69] ehemals Haushofmeister dieses Schlosses, nun unumschränkter Besitzer desselben.

GAVESTON. Hört mich an, Miß Anna. Spart Euch die empfindsamen Reden, sie rühren mich nicht. Haltet Euch an das Wesentliche. Noch bin ich Gaveston, der Verwalter, das ist wahr. Aber wenn der Verwalter das Gut gekauft und durch diesen Kauf den Titel eines Lords und einen Sitz im Parlament erworben haben wird, so werden alle, die jetzt noch höhnisch auf mich herabsehen, mich als Grafen von Avenel anerkennen und sich tief vor mir, ihrem Herrn, in den Staub beugen. Doch nun zu anderen Dingen. Ihr wißt, daß der Graf vor seiner Abreise seine ansehnlichen Güter in England verkauft hat. Was hat er mit dem vielen Gelde angefangen?

ANNA. Er hat es, wie Ihr wißt, im Dienste des Kronprätendenten zugesetzt.

GAVESTON. Daran zweifle ich sehr. Lauernd. Oder es müßte etwa sein, daß Ihr darüber in der Urkunde, die Euch die Gräfin übergeben, einige Auskunft gefunden hättet.

ANNA. Eine Urkunde? Mir?

GAVESTON. Ja doch. Leugnet es nicht. In ihrer Todesstunde übergab sie Euch ein geheimnisvolles Schreiben.

ANNA. So ist es allerdings!

GAVESTON in höchster Spannung. Was habt Ihr damit begonnen?

ANNA. Ihrem Befehle gemäß habe ich es gelesen und dann sogleich vernichtet.

GAVESTON. Und ich, Euer Vormund, darf nicht um dieses Geheimnis wissen – ich darf Euch nicht um den Inhalt fragen?

ANNA bestimmt. Nein.

GAVESTON. Und warum nicht?

ANNA. Weil ich es Euch doch niemals enthüllen werde.

GAVESTON. Sehr wohl, Miß Anna. Ihr verbergt unter Eurem sanften Wesen mehr Festigkeit und Stärke, als man Euch zutrauen sollte. Doch von nun an werde ich meine Maßregeln zu treffen wissen.

Man hört von außerhalb die Hausglocke ziehen.
[70]

GAVESTON. Was bedeutet der Lärm? Er geht an Anna vorüber nach links zum Fenster.

Nr. 10. Terzett.


ANNA.

Horch, man läutet noch an der Pforte,

Vom Turme hallt der Glocke Ton. –


Für sich, während Gaveston aus dem Fenster sieht.


Er blieb getreu dem Ehrenworte,

Wär' er nur hier im Schlosse schon!

GAVESTON tritt wieder vor, zu Anna.

Um Mitternacht, wer darf es wagen,

An meiner Wohnung anzufragen?

ANNA.

Ach, ein armer Pilger kann's sein.

GAVESTON spottend.

Ach, ein armer Pilger könnts sein?

Schnell fort mit ihm, ich lasse niemand ein.

ANNA.

Laßt Euer Mitleid mich erflehen.

GAVESTON.

Nein! nein! nein! nein! nein!

Niemals wird es geschehn.

ANNA.

Ihr sitzt an der Edlen Stelle,

Denen dies Schloß einst angehört;

Ahmt ihnen nach! Wenn man hier

Allgemein die Hohen verehret,

Ist es, weil sie der Armut

Eintritt niemals verwehret.

Ja, glaubet mir, es ist, weil sie

Der Armut Eintritt niemals verwehret!

Ja, glaubet mir!

GAVESTON.

Thät' ich, was Ihr begehret,

Es würde sicher mich gereu'n.

Nein! nein! nein! nein! nein! nein!


Für sich.


Ich muß mit Klugheit handeln,

Vorsicht ist hier Gewinn.

ANNA.

Ahmt ihnen nach! ahmt ihnen nach!

Es wird gewiß Euch nicht gereu'n.


Für sich.


Ach umsonst, er beharrt,[71]

Nichts erweicht seinen Sinn,

Jede Hoffnung ist verschwunden,

Jede Hoffnung ist dahin!

Ach, dahin ist die Hoffnung,

Nichts beugt den starren Sinn!


Zu Gaveston.


Ach, wenn man hier die Hohen ehret,

Glaubet mir, es ist, weil sie

Der Armut Eintritt niemals verwehret.

Ja, glaubet mir, es ist, weil sie

Der Armut Eintritt niemals verwehret.

Ja glaubet mir, ahmt ihnen nach

Ihr Beispiel laßt Euch Vorbild sein!


Beiseite.


Ach umsonst, er beharrt!

Nichts erweicht seinen Sinn!


Zu Gaveston.


Ihr Beispiel laßt Euch Vorbild sein!

GAVESTON.

Nein! nein! nein! nein! nein!

Nein, nein! ich würde es bereu'n!

Nein! nein! nein! nein! es kann nicht sein!

Margarethe kommt eilig durch den Haupteingang.


Quelle:
Boieldieu, François-Adrien: Die weiße Dame, Leipzig [1892], S. 69-72.
Lizenz:

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