Vierte Szene

[205] Platz.


Lanz tritt auf mit seinem Hunde.


LANZ. Wenn eines Menschen Angehöriger sich recht hündisch gegen ihn beträgt, seht ihr, das muß einen kränken; einer, den ich vom Frühsten aufgezogen habe; einen, den ich vom Ersäufen gerettet, da drei oder vier seiner blinden Brüder daran mußten! – Ich habe ihn abgerichtet – gerade wie wenn einer sich recht ausdrücklich vornimmt: So möchte ich einen Hund abgerichtet haben. Ich war abgeschickt, ihn Fräulein Silvia zum Geschenk von meinem Herrn zu überbringen, und kaum bin ich in den Speisesaal getreten, so läuft er hin zu ihrem Teller und stiehlt ihr einen Kapaunenschenkel. Oh, es ist ein böses Ding, wenn sich ein Köter nicht in jeder Gesellschaft zu benehmen weiß! Ich wollte, daß einer der, sozusagen, es auf sich genommen hat, ein wahrer Hund zu[205] sein, daß er dann, sozusagen, auch ein Hund in allen Dingen wäre. Wenn ich nicht mehr Verstand gehabt hätte, als er, und den Fehler auf mich genommen, den er beging, so glaube ich wahrhaftig, er wäre dafür gehängt. So wahr ich lebe, sie hätten ihn dafür hingerichtet! Urteilt selbst: da schiebt er sich ein in die Gesellschaft von drei oder vier wohlgebornen Hunden unter des Herzogs Tafel; da steckt er kaum (solltet ihr's glauben!) so lange, daß ein Mensch drei Schluck tun könnte, so riecht ihn auch schon der ganze Saal. »Hinaus mit dem Hunde«, sagt einer; »was für ein Köter ist das?« sagt ein andrer; »peitscht ihn hinaus«, ruft der dritte; »hängt ihn auf«, sagt der Herzog. Ich, der ich gleich den Geruch wieder kannte, wußte, daß es Krabb war, und gehe denn so zu dem Kerl hin, der die Hunde peitscht. »Freund«, sage ich, »Ihr seid willens, den Hund zu peitschen?« »Ja, wahrhaftig, das bin ich«, sagt er. »So tut Ihr ihm himmelschreiend Unrecht«, antworte ich; »ich tat das Ding, was Ihr wohl wißt.« Der macht auch weiter keine Umstände und peitscht mich zum Saal hinaus. Wie viele Herren würden das für ihre Diener tun? Ja, ich kann's beschwören, ich habe im Stock gesessen für die Würste, die er gestohlen hat, sonst wäre es ihm ans Leben gegangen; ich habe am Pranger gestanden für Gänse, die er gewürgt hat, sonst hätten sie ihn dafür hingerichtet; das hast du nun schon vergessen! – Nein, ich denke noch an den Streich, den du mir spieltest, als ich mich von Fräulein Silvia beurlaubte; hieß ich dich nicht immer auf mich acht geben und es so machen wie ich? Wann hast du gesehn, daß ich mein Bein aufhob und an einer Dame Reifrock mein Wasser abschlug? Hast du je solche Streiche von mir gesehn?


Proteus und Julia treten auf.


PROTEUS.

Sebastian ist dein Name? Du gefällst mir,

Ich will dich gleich zu einem Dienst gebrauchen.

JULIA.

Was Euch beliebt; ich will tun, was ich kann.

PROTEUS.

Das, hoff' ich, wirst du. –


Zu Lanz.


Wie, nichtsnutz'ger Lümmel!

Wo hast du seit zwei Tagen nur gesteckt?[206]

LANZ. Ei, Herr, ich brachte Fräulein Silvia den Hund, wie Ihr mich hießet.

PROTEUS. Und was sagte sie zu meiner kleinen Perle?

LANZ. Ei, sie sagte, Euer Hund wäre ein Köter; und meinte, ein hündischer Dank wäre genug für solch ein Geschenk.

PROTEUS. Aber sie nahm meinen Hund?

LANZ. Nein, wahrhaftig! das tat sie nicht; hier hab' ich ihn wieder mitgebracht.

PROTEUS. Was, diesen wolltest du ihr von mir schenken?

LANZ. Ja, Herr; das andre Eichhörnchen wurde mir von des Scharfrichters Buben auf dem Markt gestohlen, und da schenkte ich ihr meinen eignen; der Hund ist so dick wie zehn von den andern, und um so größer ist auch das Präsent.

PROTEUS.

Geh, mach' dich fort und bring' mir meinen Hund,

Sonst komm mir niemals wieder vors Gesicht!

Fort, sag ich; stehst du mich zu ärgern hier?

Ein Schurke, der mir stets nur Schande macht!


Lanz geht ab.


Ich nahm, Sebastian, dich in meinen Dienst,

Teils, weil ich einen solchen Knaben brauche,

Der mit Verstand vollführt, was ich ihn heiße,

Denn kein Verlaß ist auf den dummen Tölpel:

Doch mehr um dein Gesicht und dein Betragen,

Die (wenn mich meine Ahnung nicht betrügt)

Von guter Bildung zeugen, Glück und Treue;

Dies merk', denn deshalb hab' ich dich genommen.

So geh denn augenblicks mit diesem Ring,

Den übergib an Fräulein Silvia;

Wohl liebte die mich, die ihn mir gegeben.

JULIA.

Ihr also liebt sie nicht, da Ihr ihn weggebt.

Sie ist wohl tot?

PROTEUS.

Das nicht; ich glaub', sie lebt.

JULIA.

Weh mir!

PROTEUS.

Weshalb rufst du, weh mir?

JULIA.

Ich kann nicht anders, ich muß sie beklagen.

PROTEUS.

Weshalb beklagst du sie?[207]

JULIA.

Weil mich bedünkt, sie liebte Euch so sehr,

Als Ihr nur Euer Fräulein Silvia liebt;

Sie sinnt nur ihn, der schon vergaß ihr Lieben,

Ihr brennt für sie, die abweist Euer Lieben.

O Jammer, daß sich Lieben so zerstört!

Und des gedenkend mußt' ich klagen: weh mir!

PROTEUS.

Gut; gib ihr diesen Ring und auch zugleich

Den Brief; – hier ist ihr Zimmer. – Sag dem Fräulein,

Ich fodr' ihr himmlisch Bild, das sie versprochen.

Dies ausgerichtet, eil' zu meiner Kammer,

Wo du mich traurig, einsam finden wirst.


Proteus geht ab.


JULIA.

Wie wen'ge Frauen brächten solche Botschaft!

Ach! armer Proteus! du erwählst den Fuchs,

Um dir als Hirt die Lämmer zu behüten;

Ach, arme Törin! was beklag' ich den,

Der mich mit vollem Herzen jetzt verachtet?

Weil er sie liebt, verachtet er mich nun;

Weil ich ihn liebte, muß ich ihn beklagen.

Ich gab ihm diesen Ring, da wir uns trennten,

Als Angedenken meiner Gunst und Treue;

Nun schickt man mich (o unglücksel'ger Bote!)

Zu fodern, was ich nicht gewinnen möchte;

Zu bringen, was ich abgeschlagen wünschte;

Den treu zu loben, den ich untreu schelte.

Ich bin die wahr' Verlobte meines Herrn;

Doch kann ich nicht sein wahrer Diener sein,

Wenn ich nicht an mir selbst Verräter werde.

Zwar will ich für ihn werben, doch so kalt,

Wie ich, beim Himmel! die Erwid'rung wünschte.


Silvia tritt auf mit Begleitung.


Gegrüßt seid, Kammerfrau! Ich bitt' Euch, macht,

Daß ich mit Fräulein Silvia sprechen kann.

SILVIA.

Was wolltet Ihr von ihr, wenn ich es wäre?

JULIA.

Wenn Ihr es seid, so bitt' ich, mit Geduld

Die Botschaft anzuhören, die ich bringe.

SILVIA. Von wem?

JULIA. Von Signor Proteus, meinem Herrn.[208]

SILVIA. Ach! – Wegen eines Bildes schickt er Euch?

JULIA. Ja, Fräulein.

SILVIA.

So bring' denn, Ursula, mein Bildnis her!


Das Bild wird gebracht.


Geht, gebt das Eurem Herrn; sagt ihm von mir:

Die Julia, die sein falsches Herz vergaß,

Ziemt besser, als der Schatten, seinem Zimmer.

JULIA.

Fräulein, gefällt's Euch, diesen Brief zu lesen? –

Verzeiht, mein Fräulein, ich gab unvorsichtig

Euch ein Papier, das nicht für Euch bestimmt;

Dies ist der rechte Brief an Euer Gnaden.

SILVIA.

Ich bitte, laß mich das noch einmal sehn!

JULIA.

Es kann nicht sein; mein Fräulein, Ihr verzeiht!

SILVIA.

Hier, nimm!

Ich will die Zeilen deines Herrn nicht lesen.

Ich weiß, sie sind mit Schwüren angefüllt

Und neu erfundnen Eiden, die er bricht,

So leicht, als ich jetzt dieses Blatt zerreiße.

JULIA.

Fräulein, er schickt Eu'r Gnaden diesen Ring.

SILVIA.

Ihm Schmach so mehr, mir diesen Ring zu schicken;

Denn tausendmal hab' ich ihn sagen hören,

Wie seine Julia ihn beim Abschied gab.

Hat auch sein falscher Finger ihn entweiht,

Soll meiner Julien nicht solch Unrecht tun.

JULIA.

Sie dankt Euch.

SILVIA.

Was sagst du?

JULIA.

Ich dank' Euch, Fräulein, für dies Zartgefühl.

Das arme Kind! Herr Proteus kränkt sie sehr.

SILVIA.

Kennst du sie?

JULIA.

Beinah' so gut, als ich mich selber kenne;

Gedenk' ich ihres Wehs, bei meiner Seele!

Schon hundertmal hab' ich um sie geweint.

SILVIA.

So glaubt sie wohl, daß Proteus sie verlassen?

JULIA.

Ich glaub' es selbst, und das ist auch ihr Gram.

SILVIA.

Ist sie sehr schön?

JULIA.

Sie war einst schöner, Fräulein, als sie ist;

Da sie noch glaubte, daß mein Herr sie liebe.[209]

War sie, wie mich bedünkt, so schön als Ihr;

Doch, seit sie ihren Spiegel hat vergessen,

Die Maske wegwarf, die vor Sonne schützte,

Sind von der Luft gebleicht der Wangen Rosen

Und ihrer Stirne Lilienglanz gedunkelt,

Daß sie so schwarz geworden ist wie ich.

SILVIA.

Wie groß war sie?

JULIA.

Sie ist von meinem Wuchse; denn zu Pfingsten,

Als man sich heitrer Mummerei erfreute,

Gab mir das junge Volk die Frauenrolle

Und putzte mich mit Juliens Kleidern aus;

Die paßten mir so gut, wie alle sagten,

Als wäre das Gewand für mich geschnitten;

Davon weiß ich, sie ist so hoch wie ich.

Und zu der Zeit macht' ich sie recht zu weinen,

Denn traurig war die Rolle, die ich spielte;

Ariadne, Fräulein, war's, wie sie beklagt

Des Theseus Falschheit und geheime Flucht;

Das spielten meine Tränen so lebendig,

Daß meine arme Herrin, tief gerührt,

Recht herzlich weint'; und sterben will ich gleich,

Wenn ich im Geist nicht ihren Kummer fühlte!

SILVIA.

Sie ist dir sehr verpflichtet, lieber Knabe! –

Ach, armes Mädchen! trostlos und verlassen! –

Ich weine selbst, denk' ich an deine Worte.

Hier, Knab', ist meine Börse; nimm die Gabe

Um deiner Herrin willen, die du liebst.

Leb wohl!


Silvia geht ab.


JULIA.

Sie wird Euch danken, lernt Ihr je sie kennen. –

Ein edles Fräulein, sanft und voller Huld.

Mein Herr wird hoffentlich kalt aufgenommen,

Da sie so warm für meine Herrin eifert.

Wie hintergeht sich Liebe selbst im Spiel!

Hier ist ihr Bildnis. Laßt mich sehn: ich denke,

Hätt' ich nur solchen Anzug, mein Gesicht,

Es wäre ganz so lieblich wie das ihre;

Doch hat der Maler etwas ihr geschmeichelt,

Wenn ich nicht allzu viel mir selber schmeichle.[210]

Ihr Haar ist bräunlich, meins vollkommen blond;

Wenn das den Ausschlag gibt in seiner Liebe,

So trag' ich falsches Haar von dieser Farbe.

Ihr Aug' ist klares Blau, und so das meine;

Doch ihre Stirn ist klein und meine groß.

Was ist es, das ihn hier bezaubern kann,

Das nicht durch mich denselben Zauber übte,

Wär' kind'sche Liebe nicht ein blinder Gott?

So nimm denn, Schatten, diesen Schatten mit,

Er ist dein Nebenbuhler. Leblos Bild!

Du wirst verehrt, geküßt und angebetet;

Und fühltest du bei seinem Götzendienst,

Mein Wesen möchte Bild statt deiner sein.

Ich will dir freundlich sein der Herrin wegen,

So war sie mir; sonst, bei dem Jupiter,

Kratzt' ich dir die gemalten Augen aus,

Daß nicht mein Herr sich mehr in sie vergafft.


Geht ab.[211]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 205-212.
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