Zweite Szene

[95] Kalchas' Zelt.


Diomedes tritt auf.


DIOMEDES.

Heida! Seid Ihr noch wach hier? Holla! Sprecht!

KALCHAS.

Wer ruft hier? –

DIOMEDES.

Diomed.

's ist Kalchas, denk' ich. Wo ist Eure Tochter?

KALCHAS.

Sie kommt zu Euch.


Troilus und Ulysses kommen und stellen sich in den Hintergrund des Zelts; nach ihnen Thersites.


ULYSSES.

Bleibt stehn, daß uns die Fackel nicht verrate!


Cressida tritt auf.


TROILUS.

Was, Cressida, die zu ihm kommt?[95]

DIOMEDES.

Wie geht's, mein Mündel?

CRESSIDA.

Lieber Vormund, hört, –


Ein Wort mit Euch.


Sie spricht leise mit Diomedes.


TROILUS.

Und so vertraulich?

ULYSSES.

Sie spielt Euch jedem auf, beim ersten Anblick.

THERSITES. Und jeder spielt sie vom Blatt, wenn er den Schlüssel weiß; sie ist notiert.

DIOMEDES.

Willst du dran denken?

CRESSIDA.

Dran denken? Ja!

DIOMEDES.

Nun gut, vergiß es nicht,

Und laß die Tat zu deinen Worten stimmen!

TROILUS.

Was soll sie nicht vergessen?

ULYSSES.

Lauscht!

CRESSIDA.

Nicht weiter

Verlocke mich zur Torheit, süßer Grieche!

THERSITES.

O ihr Gesindel!

DIOMEDES.

Nun dann, –

CRESSIDA.

Hör' mich an!

DIOMEDES. Nichts, nichts da; Kinderei! Du hältst nicht Wort.

CRESSIDA. Wirklich, es geht nicht. Was verlangst du denn?

THERSITES. 'nen Diebesdietrich für geheime Fächer.

DIOMEDES. Was hast du zugesagt? Was schwurst du mir?

CRESSIDA.

Ich bitte dich, besteh nicht auf den Schwur;

Nur das begehre nicht, mein süßer Grieche!

DIOMEDES.

Gut' Nacht!

TROILUS.

O Wut!

ULYSSES.

Still, Troer!

CRESSIDA.

Diomed –

DIOMEDES.

Nein, nicht gut' Nacht; ich bin dein Narr nicht länger.

TROILUS.

Dein Beßrer muß es sein!

CRESSIDA.

Ein Wort ins Ohr –

TROILUS.

O Tod und Wahnsinn! –

ULYSSES.

Ihr seid bewegt, Prinz; laßt uns fort, ich bitt' Euch,

Daß Euer Schmerz sich nicht entladen möge

Zu wüt'ger Tat! Der Ort hier ist gefährlich,

Die Zeit todbringend; ich beschwör' Euch, kommt![96]

TROILUS.

Seht nur, o seht!

ULYSSES.

Entfernt Euch, werter Prinz!

Ihr seid dem Wahnsinn nah – kommt, lieber Herr!

TROILUS.

Ich bitt' dich, bleib'!

ULYSSES.

Ihr habt nicht Fassung, kommt!

TROILUS.

Ich bitt' Euch, bleibt! Bei Höll' und Höllenqual,

Ich rede nicht ein Wort.

DIOMEDES.

Nun dann, gut' Nacht!

CRESSIDA.

Du gehst doch nicht in Zorn?

TROILUS.

Das kümmert dich? –


Verwelkte Treu'!

ULYSSES.

Still, Prinz!

TROILUS.

Beim Jupiter!

Ich schweige.

CRESSIDA.

Mein Beschützer, – lieber Grieche –

DIOMEDES.

Pah! Pah! Lebt wohl! Ihr habt mich nur zum besten!

CRESSIDA.

Nein, ganz gewiß nicht. Kommt noch einmal her!

ULYSSES.

Ihr schreckt zusammen, Prinz – wollt Ihr nun gehn?

Ihr brecht noch los!

TROILUS.

Sie streicht die Wang' ihm!

ULYSSES.

Kommt!

TROILUS.

Nein, bleibt! Beim Zeus, ich rede nicht ein Wort!

Geduld hält Wache zwischen meinem Willen

Und aller Kränkung. Bleibt nur noch ein wenig!

THERSITES. Wie der Unzuchtteufel mit dem feisten Bauch und dem Kartoffelfinger die zwei zusammenkitzelt! Siede, Lüderlichkeit, siede!

DIOMEDES. So willst du wirklich?

CRESSIDA. Nun ja, ich will, sonst trau' mir niemals wieder!

DIOMEDES. Gib mir zur Sicherheit ein Unterpfand!

CRESSIDA. Ich hole dir's. Cressida geht ab.

ULYSSES.

Ihr schwurt Geduld!

TROILUS.

Seid unbesorgt! Ich will

Ich selbst nicht sein; will mir bewußt nicht werden,

Was ich empfinde; ich bin ganz Geduld.


Cressida kommt zurück.[97]


THERSITES.

Nun kommt das Pfand; jetzt, jetzt, jetzt! –

CRESSIDA.

Hier, Diomedes, trag' die Ärmelkrause!

TROILUS.

O Schönheit! Wo ist deine Treu'?

ULYSSES.

Mein Prinz. ...

TROILUS.

Ich will ja ruhig sein; von außen will ich's.

CRESSIDA.

Ihr seht die Kraus' Euch an; beschaut sie wohl!

Er liebte mich! O falsches Mädchen! Gebt sie wieder!

DIOMEDES.

Wes war sie?

CRESSIDA.

Gleichviel wes! Ich hab' sie wieder.

Ich werd' Euch nicht erwarten morgen nacht;

Ich bitt' dich, Diomed, besuch' mich nicht!

THERSITES.

Nun wetzt sie; recht so, Schleifstein!

DIOMEDES.

Ich muß sie haben.

CRESSIDA.

Was?

DIOMEDES.

Nun, diese da!

CRESSIDA.

O Götter! O du liebes, liebes Pfand!

Dein Herr liegt jetzt im Bett, und denkt gewiß

An dich und mich, und seufzt; nimmt meinen Handschuh,

Und gibt ihm manchen süßen Kuß gedenksam,

So wie ich dir. Nein, reiß' sie mir nicht weg;

Wer diese nimmt, muß auch mein Herz mit nehmen.

DIOMEDES.

Dein Herz war mein schon; dieses folgt ihm nach.

TROILUS.

Ich schwur Geduld!

CRESSIDA.

Dies kriegst du nicht, nein, wahrlich, Diomed;

Ich geb' dir etwas anders.

DIOMEDES.

Ich will dies Pfand: wes war's?

CRESSIDA.

Das gilt ja gleich.

DIOMEDES.

Komm, sag' von wem dir's kam?

CRESSIDA.

Von einem, der mich mehr geliebt als du:

Doch nun es dein, behalt' es!

DIOMEDES.

Wessen war's?

CRESSIDA.

Bei Diana selbst und ihren Nymphen dort,

Das werd' ich dir nicht sagen.

DIOMEDES.

Ich trag' es morgen früh an meinem Helm

Und kränk' ihn, der's nicht wagt zurückzufodern.

TROILUS.

Wär'st du der Teufel, der es trüg' am Horn,

Gefodert soll es werden.[98]

CRESSIDA.

Nun gut, 's ist aus, vorbei! Nein! Doch nicht aus;

Ich will mein Wort nicht halten!

DIOMEDES.

Leb denn wohl!

Du neckst den Diomed zum letzten Mal.

CRESSIDA.

So bleibe doch! Sagt man auch nur ein Wort,

Gleich fährst du auf!

DIOMEDES.

Ich hasse solche Possen.

THERSITES.

Ich auch, beim Pluto! Doch was dir mißfällt,

Behagt mir just am besten.

DIOMEDES.

Nun, soll ich kommen? Wann?

CRESSIDA.

Ja, komm! O Zeus,

Komm nur. Schlimm wird mir's gehn!

DIOMEDES.

Leb wohl so lange!


Geht ab.


CRESSIDA.

Gut' Nacht; – ich bitt' dich, komm! – Ach, Troilus,

Noch blickt mein eines Auge nach dir hin,

Das andre wandte sich, so wie mein Sinn.

Wir armen Frau'n, wir dürfen's nicht verhehlen,

Des Augs Verirrung lenkt zugleich die Seelen:

Was Irrtum führt, muß irr'n: so folgt denn, ach!

Vom Blick betört, verfällt die Seel' in Schmach!


Ab.


THERSITES.

Das sind untrüglich folgerechte Sätze;

Noch richt'ger: meine Seele ward zur Metze.

ULYSSES.

So wär's denn aus!

TROILUS.

Ja, aus!

ULYSSES.

Wozu noch bleiben?

TROILUS.

Um mir's im Geist recht tief noch einzuprägen,

Silbe für Silbe, was ich hier gehört. –


Doch, sag' ich, wie die beiden hier gehandelt,

Werd' ich, das Wahre kündend, dann nicht lügen?

Denn immer noch wohnt mir ein Glaub' im Herzen,

Ein Hoffen also fest und unverwüstlich,

Das leugnet, was mir Aug' und Ohr bezeugt;

Als wenn die Sinne, uns zum Trug erschaffen,

Nur als Verleumder tätig hier gewirkt.

War's Cressida?

ULYSSES.

Denkst du, ich banne Geister?

TROILUS.

Gewiß, sie war's nicht!

ULYSSES.

Ja, gewiß, sie war's.[99]

TROILUS.

Nun, mein Verleugnen schmeckt doch nicht nach Tollheit?

ULYSSES.

Auch meins nicht. Cressida war eben hier.

TROILUS.

Um aller Frauen Ehre, glaubt es nicht!

Denkt, daß wir Mütter hatten, gebt nicht recht

Den rohen Läst'rern, die auch ohne Grund

Die Frau'n erniedern, – jedes Weib zu messen

Nach Cressida: eh'r denkt, sie war es nicht! –

ULYSSES.

Was tat sie, unsre Mütter zu beflecken? –

TROILUS.

Nichts, gar nichts, wenn dies Cressida nicht war.

THERSITES.

Will er seinen Augen einen blauen Dunst vormachen?

TROILUS.

Dies wäre sie?

Nein, dies ist Diomedes' Cressida!

Hat Schönheit Seele, dann war sie es nicht.

Wenn Seele Eide zeugt, wenn Eide heilig,

Wenn Heiligkeit den Göttern Wonne ist,

Wenn Maß und Ordnung in der Einheit walten,

Dann war sie's nicht. O Wahnsinn der Gedanken,

Der Gründe aufstellt für und gegen sich,

Durch schnöde Anmaßung! Wo sich Vernunft

Empört und nicht vernichtet, wo Verlust

Alle Vernunft mit fortreißt ohn' Empörung:

So war dies Cressida und war es nicht!

In meiner Seele hebt ein Kämpfen an

Seltsamster Art, das ein unteilbar Wesen

Mehr von einander reißt als Erd' und Himmel! –


Und doch gewährt die weitgespaltne Kluft,

Um einzudringen, nicht den kleinsten Zugang

Für einen Punkt, fein wie Arachnes Faden.

Beweis, Beweis, so fest wie Plutos Pforte:

Ein Himmelsband schließt mich an Cressida; –


Beweis, Beweis, fest wie der Himmel selbst:

Das Himmelsband ist mürb, erschlafft, gelöst,

Ein andrer Knoten, den fünf Finger knüpften,

Schlingt jetzt die Trümmer ihrer Lieb' und Treu',

Den Abhub, Nachlaß, Rest und ekle Brocken

Der abgestandnen Lieb' um Diomed.

ULYSSES.

Und kann der würd'ge Troilus nur halb

Das fühlen, was der Wahnsinn aus ihm spricht? –[100]

TROILUS.

Ja, Griech', und offenkundig soll's erscheinen,

In Lettern, purpurrot wie Mavors' Herz,

Entflammt von Venus! Nimmer liebt' ein Jüngling

Mit so unendlich ewig fester Treu'!

Hör', Grieche: wie ich Cressida geliebt,

Ganz so unendlich hass' ich Diomed.

Die Kraus' ist mein, die er am Helm will tragen;

Und wär' der Helm ein Schmiedewerk Vulkans,

Mein Schwert zerschnitt' es: nicht der grause Schwall

Des Meers, den Schiffer Hurrikano nennen,

Durch den allmächt'gen Sol zum Berg verdichtet,

Betäubt mit mehr Gekrach das Ohr Neptuns

Im Niedersturz, als meines Schwertes Wucht

Einschmettern soll auf Diomed.

THERSITES.

Er wird ihn kitzeln für seine Fleischeslust! –

TROILUS.

O falsche Cressida! O falsch, falsch, falsch!

Zu deinem schnöden Namen hingestellt,

Glänzt alle Untreu' rein! –

ULYSSES.

Bezähmt Euch, Prinz! –


Eu'r Toben wird gehört! –

Äneas tritt auf.


ÄNEAS.

Seit einer Stunde such' ich Euch, mein Prinz;

Hektor legt schon die Waffen an daheim,

Und Ajax, Eu'r Geleitsmann, harrt auf Euch.

TROILUS.

Ich steh' zu Dienst; – mein güt'ger Fürst, lebt wohl!

Falsche, fahr' hin! Und stürze, Diomed,

Ob auch ein Turm auf deinem Haupte steht!

ULYSSES.

Ich bring' Euch bis ans Tor.

TROILUS.

Empfangt verwirrten Dank!


Troilus, Äneas und Ulysses ab.


THERSITES. Käme mir nur der Schurke Diomed in den Wurf, ich wollte krächzen wie ein Rabe; – dem wollt' ich – dem wollt' ich prophezeien! Patroklus gibt mir, was ich will, wenn ich ihm von dieser Hure sage: kein Papagei tut mehr für eine Mandel, als er für eine willige Metze. Unzucht, Unzucht; lauter Krieg und Lüderlichkeit; die bleiben immer in der Mode. Daß ein brennender Teufel sie holte! – Er geht ab.[101]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 95-102.
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