Zweite Szene

[701] Ein Zimmer in der Burg Sandal, bei Wakefield in Yorkshire.


Eduard, Richard und Montague treten auf.


RICHARD.

Bruder, vergönnt mir, bin ich schon der Jüngste.

EDUARD.

Nicht doch, ich kann den Redner besser spielen.

MONTAGUE.

Doch ich weiß Gründe von Gewicht und Kraft.


York tritt auf.[701]


YORK.

Nun, meine Söhn' und Bruder? So im Streit?

Worüber ist der Zank? Wie fing er an?

EDUARD.

Kein Zank, nur eine kleine Zwistigkeit.

YORK.

Um was?

RICHARD.

Um was Eu'r Gnaden angeht, so wie uns:

Die Krone Englands, welche Euer ist.

YORK.

Mein, Knabe? Nicht vor König Heinrichs Tod.

RICHARD.

Eu'r Recht hängt nicht an seinem Tod und Leben.

EDUARD.

Jetzt seid Ihr Erbe, drum genießt es jetzt.

Laßt Ihr das Haus von Lancaster Odem schöpfen,

So läuft's am Ende, Vater, Euch zuvor.

YORK.

Ich tat den Eid, er sollt' in Ruh' regieren.

EDUARD.

Doch um ein Königreich bricht man jeden Eid;

Ein Jahr zu herrschen, bräch' ich tausend Eide.

RICHARD.

Verhüte Gott, daß Ihr meineidig würdet.

YORK.

Das werd' ich, wenn ich mit den Waffen fodre.

RICHARD.

Das Gegenteil beweis' ich, wenn Ihr hören wollt.

YORK.

Du kannst es nicht; es ist unmöglich, Sohn.

RICHARD.

Ein Eid gilt nichts, der nicht geleistet wird

Vor einer wahren, rechten Obrigkeit,

Die über den Gewalt hat, welcher schwört.

Und Heinrich maßte bloß den Platz sich an;

Nun seht Ihr, da er's war, der ihn Euch abnahm,

Daß Euer Eid nur leer und eitel ist.

Drum zu den Waffen! Und bedenkt nur, Vater,

Welch schönes Ding es ist, die Krone tragen,

In deren Umkreis ein Elysium ist,

Und was von Heil und Lust nur Dichter preisen.

Was zögern wir doch so? Ich kann nicht ruhn,

Bis ich die weiße Rose, die ich trage,

Gefärbt im lauen Blut von Heinrichs Herzen.

YORK.

Genug! Ich werde König oder sterbe. –

Bruder, du sollst nach London alsobald

Und Warwick zu dem Unternehmen spornen.

Ihr, Richard, sollt zum Herzog Norfolk hin

Und im Vertraun ihm unsern Vorsatz melden.

Ihr, Eduard, sollt für mich zu Mylord Cobham,[702]

Mit dem die Kenter willig aufstehn werden.

Auf sie vertrau' ich; denn es sind Soldaten,

Klug, höflich, freien Sinnes und voll Mut. –

Derweil ihr dies betreibt, was bleibt mir übrig,

Als die Gelegenheit zum Ausbruch suchen,

Daß nicht der König meinen Anschlag merkt

Noch irgendwer vom Hause Lancaster.


Ein Bote tritt auf.


Doch halt: was gibt's? Was kommst du so in Eil'?

BOTE.

Die Königin samt allen nord'schen Lords

Denkt hier in Eurer Burg Euch zu belagern.

Sie ist schon nah mit zwanzigtausend Mann;

Befestigt also Euren Sitz, Mylord!

YORK.

Ja, mit dem Schwert. Denkst du, daß wir sie fürchten? –

Eduard und Richard, ihr sollt bei mir bleiben;

Mein Bruder Montague soll schnell nach London:

Den edlen Warwick, Cobham und die andern,

Die wir dem König als Protektors ließen,

Laßt sich mit mächt'ger Politik verstärken

Und nicht des schwachen Heinrichs Eiden traun.

MONTAGUE.

Bruder, ich geh', ich will sie schon gewinnen

Und nehme so dienstwillig meinen Abschied.


Ab.


Sir John und Sir Hugh Mortimer treten auf.


YORK.

Sir John und Sir Hugh Mortimer, Oheime!

Ihr kommt nach Sandal zu gelegner Zeit:

Das Heer der Königin will uns belagern.

SIR JOHN.

Sie braucht es nicht, wir treffen sie im Feld.

YORK.

Was? Mit fünftausend Mann?

RICHARD.

Ja mit fünfhundert, Vater, wenn es gilt.

Ein Weib ist Feldherr: was ist da zu fürchten?


Ein Marsch in der Ferne.


EDUARD.

Ich hör' die Trommeln; ordnen wir die Mannschaft

Und ziehn hinaus und bieten gleich die Schlacht.

YORK.

Fünf gegen zwanzig! Große Übermacht;

Doch zweifl' ich, Oheim, nicht an unserm Sieg.[703]

Ich hab' in Frankreich manche Schlacht gewonnen,

Wo zehn die Feinde waren gegen eins:

Weswegen sollt' es minder jetzt gelingen?


Getümmel. Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 701-704.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon