Vierte Szene

[705] Ebendaselbst.


Getümmel. York tritt auf.


YORK.

Das Heer der Königin gewinnt das Feld;

Mich rettend fielen meine beiden Onkel,

Und all mein Volk weicht dem erhitzten Feind[705]

Und flieht wie Schiffe vor dem Wind, wie Lämmer,

Verfolgt von ausgehungert gier'gen Wölfen.

Gott weiß, was meine Söhne hat betroffen;

Doch weiß ich dies: sie hielten sich wie Männer,

Zum Ruhm geboren, lebend oder tot.

Dreimal drang Richard bis zu mir hindurch,

Rief dreimal: »Mutig, Vater! Ficht es aus!«

So oft kam Eduard auch an meine Seite,

Mit purpurnem Gewehr, bis an den Griff

Gefärbt in derer Blut, die ihn bestanden.

Und als zurück die kühnsten Ritter zogen,

Rief Richard: »Greift sie an! Weicht keinen Schritt!«

Und rief: »Eine Krone, sonst ein ruhmvoll Grab!

Ein Szepter, oder eine ird'sche Gruft!«

So griffen wir von neuem an: doch ach!

Wir schwankten wieder, wie ich wohl den Schwan

Der Flut sich fruchtlos sah entgegen mühn

Und sich erschöpfen an zu mächt'gen Wellen.


Kurzes Getümmel draußen.


Da horch! Die tödlichen Verfolger kommen,

Und ich bin schwach, kann ihre Wut nicht fliehn,

Und wär' ich stark, wollt' ihre Wut nicht meiden.

Gezählt sind meines Lebens Stundengläser;

Hier muß ich bleiben, hier mein Leben enden.


Königin Margareta, Clifford und Northumberland treten auf mit Soldaten.


Kommt, blut'ger Clifford! stürmischer Northumberland!

Ich reize noch eu'r unauslöschlich Wüten:

Ich bin eu'r Ziel und stehe eurem Schuß.

NORTHUMBERLAND.

Ergib dich unsrer Gnade, stolzer York!

CLIFFORD.

Ja, solche Gnade, wie sein grimm'ger Arm

Mit derber Zahlung meinem Vater bot.

Nun ist vom Wagen Phaeton gestürzt

Und macht schon Abend um die Mittagsstunde.

YORK.

Mein Staub kann wie der Phönix einen Vogel

Erzeugen, der mich an euch allen rächt;

Und in der Hoffnung schau' ich auf zum Himmel,[706]

Verachtend, was ihr auch mir antun mögt.

Nun, kommt ihr nicht? So viele, und doch Furcht?

CLIFFORD.

So fechten Memmen, die nicht fliehn mehr können;

So hacken Tauben nach des Falken Klau'n;

So stoßen Dieb', am Leben ganz verzweifelnd,

Schimpfreden gegen ihre Schergen aus.

YORK.

O Clifford, denk' doch einmal nur zurück!

Durchlauf' im Sinne meine vor'ge Zeit

Und, kannst du vor Erröten, schau mich an

Und beiß' dir auf die Zunge, welche den

Mit Feigheit schändet, dessen finstrer Blick

Schon sonst verzagen dich und fliehn gemacht.

CLIFFORD.

Ich will nicht mit dir wechseln Wort um Wort,

Nein, Streiche führen, zweimal zwei für einen.


Er zieht.


MARGARETA.

Halt, tapfrer Clifford! Denn aus tausend Gründen

Möcht' ich noch des Verräters Leben fristen. –

Zorn macht ihn taub: sprich du, Northumberland!

NORTHUMBERLAND.

Halt, Clifford! Ehr' ihn so nicht, nur den Finger

Zu ritzen, um das Herz ihm zu durchbohren.

Was wär's für Tapferkeit, dem Hund, der fletscht,

Die Hand zu strecken zwischen seine Zähne,

Wenn man ihn fort kann schleudern mit dem Fuß?

Im Krieg ist's Sitte, jeden Vorteil nutzen;

Zehn gegen eins setzt nicht den Mut herab.


Sie legen Hand an York, der sich sträubt.


CLIFFORD.

Ja ja, so sträubt die Schnepfe sich der Schlinge.

NORTHUMBERLAND.

So zappelt das Kaninchen in dem Netz.


York wird zum Gefangenen gemacht.


YORK.

So triumphieren Räuber mit der Beute,

So gibt der Redliche sich übermeistert.

NORTHUMBERLAND.

Was will Eu'r Gnaden, daß wir mit ihm tun?

MARGARETA.

Ihr Helden, Clifford und Northumberland,

Kommt, stellt ihn hier auf diesen Maulwurfs-Hügel,

Der Berge griff mit ausgestreckten Armen,

Doch nur den Schatten mit der Hand geteilt. –[707]

Wart Ihr's, der Englands König wollte sein?

Wart Ihr's, der lärmt' in unserm Parlament

Und predigte von seiner hohen Abkunft?

Wo ist Eu'r Rudel Söhn', Euch beizustehn?

Der üpp'ge Eduard und der muntre George?

Und wo der tapfre, krumme Wechselbalg,

Eu'r Junge Richerz, dessen Stimme, brummend,

Bei Meuterei'n dem Tatte Mut einsprach?

Wo ist Eu'r Liebling Rutland mit den andern?

Sieh, York! Dies Tuch befleckt' ich mit dem Blut,

Das mit geschärftem Stahl der tapfre Clifford

Hervor ließ strömen aus des Knaben Busen;

Und kann dein Aug' um seinen Tod sich feuchten,

So geb' ich dir's, die Wangen abzutrocknen.

Ach, armer York! Haßt' ich nicht tödlich dich,

So würd' ich deinen Jammerstand beklagen.

So gräm' dich doch, mich zu belust'gen, York!

Wie? Dörrte so das feur'ge Herz dein Innres,

Daß keine Träne fällt um Rutlands Tod?

Warum geduldig, Mann? Du solltest rasen;

Ich höhne dich, um rasend dich zu machen.

Stampf, tob' und knirsch', damit ich sing' und tanze!

Du foderst, seh' ich, Lohn für mein Ergötzen.

York spricht nicht, wenn er keine Krone trägt.

Eine Krone her! und, Lords, neigt euch ihm tief. –

Ihr, haltet ihn, ich setze sie ihm auf.


Sie setzt ihm eine papierne Krone auf.


Ei ja, nun sieht er einem König gleich!

Er ist's, der König Heinrichs Stuhl sich nahm

Und der von ihm zum Erben war ernannt. –

Allein wie kömmt's, daß Fürst Plantagenet

So bald gekrönt wird, und der Eid gebrochen?

Mich dünkt, Ihr solltet noch nicht König sein,

Bis Heinrich erst dem Tod die Hand geboten.

Wollt Ihr das Haupt mit Heinrichs Würd' umfahn,

Des Diadems berauben seine Schläfe,

Dem heil'gen Eid zuwider, da er lebt?[708]

Oh, dies Vergeh'n ist allzu unverzeihlich!

Die Kron' herunter und das Haupt zugleich,

Und keine Zeit versäumt zum Todesstreich!

CLIFFORD.

Das ist mein Amt, um meines Vaters willen!

MARGARETA.

Nein, haltet! Laßt uns hören, wie er betet.

YORK.

Wölfin von Frankreich, reißender als Wölfe,

Von Zunge gift'ger als der Natter Zahn!

Wie übel ziemt es sich für dein Geschlecht,

Daß du, wie eine Amazonentrulle,

Frohlockst beim Weh des, den das Glück gebunden!

Wär' dein Gesicht nicht wandellos wie Larven,

Durch böser Taten Übung frech geworden,

So wollt' ich suchen, stolze Königin,

Erröten dich zu machen; denn dir sagen,

Woher du kamst, von wem du abgestammt,

Wär' g'nug, dich zu beschämen, wärst du nicht schamlos.

Dein Vater heißt von Napel und von beiden

Sizilien König und Jerusalem:

Doch reicher ist ein Bürgersmann in England.

Hat trotzen dich der arme Fürst gelehrt?

Es kann nichts helfen, stolze Königin,

Als daß das Sprichwort sich bewährt: der Bettler,

Der Ritter worden, jagt sein Pferd zu Tod.

Die Schönheit ist's, was stolz die Weiber macht:

Allein Gott weiß, dein Teil daran ist klein!

Die Tugend ist's, warum man sie bewundert:

Das Gegenteil macht über dich erstaunen;

Die Sittsamkeit läßt göttlich sie erscheinen:

Und daß sie ganz dir fehlt, macht dich abscheulich.

Du bist von allem Guten so getrennt,

Wie es von uns die Antipoden sind

Und wie der Mittag von der Mitternacht.

O Tigerherz, in Weiberhaut gesteckt!

Du fingst des Kindes Herzblut auf und hießest

Den Vater sich damit die Augen trocknen

Und trägst noch eines Weibes Angesicht?

Weiber sind sanft, mild, mitleidsvoll und biegsam;

Du starr, verstockt, rauh, kieselhart, gefühllos.[709]

Ich sollte rasen? Ja, dir ist's gewährt.

Ich sollte weinen? Ja, du hast's erreicht.

Denn Schauer stürmt der wüste Wind herbei,

Und wenn der Sturm sich legt, beginnt der Regen.

Die Totenfeier meines holden Rutlands

Sind diese Tränen; jeder Tropfe schreit

Für seinen Tod um Rache wider euch,

Grausamer Clifford! tückische Französin!

NORTHUMBERLAND.

Fürwahr, mich rühren seine Leiden so,

Daß ich im Auge kaum die Tränen hemme.

YORK.

Die Kannibalen hätten sein Gesicht

Nicht angerührt, mit Blute nicht befleckt;

Doch ihr seid unerbittlicher, unmenschlicher,

O zehnmal mehr, als Tiger von Hyrkanien.

Sieh eines unglücksel'gen Vaters Tränen,

Fühllose Königin: du hast dies Tuch

In meines süßen Jungen Blut getaucht,

Und ich, mit Tränen, wasche weg das Blut.

Behalte du das Tuch und prahl' damit:


er gibt das Schnupftuch zurück


Und wenn du recht die Leidgeschicht' erzählst,

Bei Gott, die Hörer werden Tränen weinen,

Ja, heiße Tränen meine Feinde selbst,

Und sagen: »Ach, es war ein kläglich Werk!«

Da, nimm die Kron' und meinen Fluch mit ihr

Und finde solchen Trost in deiner Not,

Als deine Hand, zu grausam, jetzt mir beut.

Hartherz'ger Clifford, nimm mich von der Welt;

Die Seel' gen Himmel, auf eu'r Haupt mein Blut!

NORTHUMBERLAND.

Hätt' er mir alle Blutsfreund' auch erschlagen,

Doch müßt' ich, um mein Leben, mit ihm weinen,

Wie innerliches Leid die Seel' ihm nagt.

MARGARETA.

Wie? Nah am Weinen, Lord Northumberland?

Denkt nur, was er uns allen zugefügt,

Und das wird schnell die weichen Tränen trocknen.[710]

CLIFFORD.

Das hier für meinen Eid, das für des Vaters Tod.


Ersticht ihn.


MARGARETA.

Und dies für unsers sanften Königs Recht.


Ersticht ihn gleichfalls.


YORK.

Tu' auf dein Tor der Gnade, guter Gott!

Durch diese Wunden fliegt mein Geist zu dir.


Stirbt.


MARGARETA.

Den Kopf ab! Setzt ihn auf das Tor von York;

So überschaue York nun seine Stadt!

Alle ab.[711]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 705-712.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon