Erste Szene

[712] Eine Ebne bei Mortimers Kreuz in Herefordshire.


Trommeln. Eduard und Richard mit ihren Truppen auf dem Marsch.


EDUARD.

Wie unser edler Vater nur entkam?

Und ob er wohl entkommen oder nicht

Von Cliffords und Northumberlands Verfolgung?

Wär' er gefangen, hätten wir's gehört;

Wär' er erschlagen, hätten wir's gehört;

Wär' er entkommen, dünkt mich, müßten wir

Die frohe Zeitung schon vernommen haben.

Was macht mein Bruder? Warum so betrübt?

RICHARD.

Ich kann nicht froh sein, bis ich sicher weiß,

Was unser tapfrer Vater ist geworden.

Ich sah ihn streifen durch die Schlacht umher

Gab acht, wie er heraus den Clifford suchte;

Mir schien's, er nahm sich in der dicht'sten Schar

So wie ein Löw' in einer Herde Rinder,

So wie ein Bär, von Hunden ganz umringt,

Der bald ein paar so zwickt und macht sie schrein,

Da nur von fern die andern nach ihm bellen.

So macht' es unser Vater mit den Feinden,

So flohn die Feinde meinen tapfern Vater:

Mich dünkt, sein Sohn zu sein, ist Ruhms genug.

Sieh, wie sein goldnes Tor der Morgen öffnet

Und Abschied von der lichten Sonne nimmt!

Wie sie erscheint in aller Jugendfülle,

Schmuck wie ein Buhler, der zur Liebsten eilt!

EDUARD.

Bin ich geblendet, oder seh' drei Sonnen?

RICHARD.

Drei lichte Sonnen, jede ganz vollkommen;[712]

Nicht unterbrochen durch die zieh'nden Wolken,

Von blassem klarem Himmel rein getrennt.

Sieh, sieh! sie nahn, umarmen, küssen sich,

Als ob sie einen heil'gen Bund gelobten,

Sind jetzt ein Schein, ein Licht nur, eine Sonne.

Der Himmel deutet ein Begegnis vor.

EDUARD.

's ist wundersam, man hörte nie dergleichen.

Ich denk', es mahnt uns, Bruder, in das Feld.

Daß wir, die Söhne Held Plantagenets,

Ein jeder strahlend schon durch sein Verdienst,

Vereinen sollen dennoch unsre Lichter,

Wie dies die Welt, die Erde zu erleuchten.

Was es auch deuten mag, ich will hinfüro

Drei Sonnengötter auf der Tartsche tragen.

RICHARD.

Nein, laßt sie weiblich bilden: denn, vergönnt,

Ihr mögt das Weibchen lieber als das Männchen.


Ein Bote tritt auf.


Doch wer bist du, des trüber Blick ein Unglück,

Auf deiner Zunge schwebend, ahnden läßt?

BOTE.

Ach, einer, der mit Jammer angesehn,

Wie daß der edle Herzog York erlag,

Eu'r hoher Vater und mein lieber Herr.

EDUARD.

O sprich nicht mehr! Ich hörte schon zu viel.

RICHARD.

Sag, wie er starb, denn ich will alles hören.

BOTE.

Umzingelt war er von der Feinde Menge,

Und er bestand sie, wie die Hoffnung Trojas

Die Griechen, die in Troja dringen wollten.

Doch weicht selbst Herkules der Übermacht,

Und viele Streich', obwohl von kleiner Art,

Haun um und fällen selbst die härtste Eiche.

Eu'r Vater ward besiegt von vielen Händen,

Allein ermordet bloß vom grimm'gen Arm

Des wilden Clifford und der Königin.

Den gnäd'gen Herzog krönte sie zum Hohn,

Lacht' ihm ins Angesicht, und als er weinte,

Gab die Barbarin ihm, sich abzutrocknen,

Ein Tuch, getaucht in das schuldlose Blut[713]

Des jungen Rutland, welchen Clifford schlug;

So nahmen sie, nach vielem Spott und Schimpf,

Sein Haupt, und aufgesteckt am Tor von York

Ward selbiges; und da verbleibt es nun,

Das jammervollste Schauspiel, das ich sah.

EDUARD.

Geliebter York, der unsre Stütze war!

Uns bleibt kein Stab noch Halt, nun du dahin.

O Clifford, rauher Clifford! Du erschlugst

Europas Blüt' und Zier im Rittertum;

Und hast verräterisch ihn überwunden,

Denn, Stirn an Stirn, hätt' er dich überwunden.

Nun ward der Seele Palast mir zum Kerker:

Ach, bräche sie doch los! daß dieser Leib

Zur Ruh' im Boden eingeschlossen würde;

Denn nie werd' ich hinfort mich wieder freun,

Niemals, o niemals werd' ich Freud' erleben.

RICHARD.

Ich kann nicht weinen: alles Naß in mir

G'nügt kaum, mein lichterlohes Herz zu löschen;

Auch kann die Zunge nicht mein Herz entlasten:

Derselbe Hauch, womit sie sprechen sollte,

Schürt Kohlen an, die ganz die Brust durchglühn

Mit Flammen, welche Tränen löschen würden.

Wer weint, vermindert seines Grames Tiefe:

Drum, Tränen für die Kinder, Rache mir!

Richard, dein Nam' ist mein, ich will dich rächen,

Wo nicht, so sterb' ich rühmlich im Versuch.

EDUARD.

Dir ließ der tapfre Herzog seinen Namen,

Sein Herzogtum und Stuhl blieb mir zurück.

RICHARD.

Nein, stammst du von dem königlichen Adler,

So zeig' es auch durch Schauen in die Sonne:

Statt Herzogtum und Stuhl sag Thron und Reich;

Dein muß dies sein, sonst bist du nicht der seine.


Ein Marsch. Warwick und Montague kommen mit Truppen.


WARWICK.

Nun, lieben Lords! wie steht's? Was gibt es Neues?

RICHARD.

Wenn wir die grause Zeitung, großer Warwick,

Erzählen sollten und bei jedem Wort[714]

Mit Dolchen uns zerfleischen, bis zum Schluß:

Der Worte Pein wär' ärger ab der Wunden.

O tapfrer Lord, der Herzog York ist tot!

EDUARD.

O Warwick! Warwick! der Plantagenet,

Der wert dich hielt wie seiner Seele Heil,

Ist von dem finstern Clifford umgebracht.

WARWICK.

Schon vor zehn Tagen hab' ich diese Zeitung

Ertränkt in Tränen, und, eu'r Weh zu häufen,

Meld' ich euch jetzt, was sich seitdem begab.

Nach jenem blutigen Gefecht bei Wakefield,

Wo euer wackrer Vater seinen Odem

Hat ausgehaucht, ward Nachricht mir gebracht,

So schnell, wie nur die Boten laufen konnten,

Von eurer Niederlag' und seinem Scheiden.

Ich nun in London, als des Königs Hüter,

Hielt Must'rung, sammelte der Freunde Scharen

Und zog, sehr gut gerüstet, wie ich glaubte,

Sankt Albans zu, die Königin zu hemmen;

Den König nahm ich, mir zu Gunsten, mit.

Denn meine Späher hatten mir berichtet,

Sie komme mit dem ausgemachten Zweck,

Den letzten Parlamentsschluß zu vernichten

Betreffend Heinrichs Eid und euer Erbrecht.

Um kurz zu sein: es trafen zu Sankt Albans

Sich die Geschwader, beide fochten scharf;

Doch, ob es nun des Königs Kälte war,

Der auf sein krieg'risch Weib gar milde blickte,

Was des erhitzten Muts mein Volk beraubte;

Ob auch vielleicht der Ruf von ihrem Sieg;

Ob ungemeine Furcht vor Cliffords Strenge,

Der Blut und Tod zu den Gefangnen donnert,

Kann ich nicht sagen: doch, um wahr zu enden,

Wie Blitze kam und ging der Feinde Wehr;

Der Unsern, wie der Eule träger Flug,

Wie wohl ein träger Drescher mit dem Flegel,

Fiel ganz gelind, als ob sie Freunde träfen.

Ich trieb sie an mit der gerechten Sache,

Mit hohen Soldes, großen Lohns Verheißung.[715]

Umsonst! Sie hatten zum Gefecht kein Herz,

Wir keine Hoffnung auf den Sieg durch sie,

So daß wir flohn: zur Königin der König,

Lord George, eu'r Bruder, Norfolk und ich selbst

Sind schleunigst hergeeilt, zu euch zu stoßen,

Da wir gehört, ihr wär't in diesen Marken

Und brächtet Mannschaft auf zu neuem Kampf.

EDUARD.

Wo ist der Herzog Norfolk, lieber Warwick?

Und wann kam George von Burgund nach England?

WARWICK.

Der Herzog steht etwa sechs Meilen weit

Mit seiner Schar, und euren Bruder sandte

Jüngst eure güt'ge Tante von Burgund

Mit einer Hülfsmacht zu dem nöt'gen Krieg.

RICHARD.

Das muß wohl Übermacht gewesen sein,

Fürwahr, wo der beherzte Warwick floh!

Oft hört' ich beim Verfolgen seinen Ruhm,

Doch nie bis jetzt beim Rückzug seine Schande.

WARWICK.

Auch jetzt nicht hörst du, Richard, meine Schande;

Denn wisse, diese starke Rechte kann

Von Heinrichs schwachem Haupt das Diadem,

Aus seiner Faust das hehre Szepter reißen,

Wär' er so ruhmvoll auch und kühn im Kriege,

Als man ihn milde, fromm und friedlich rühmt.

RICHARD.

Ich weiß es wohl, Lord Warwick, schilt mich nicht;

Für deinen Glanz der Eifer heißt mich reden.

Doch, in der trüben Zeit, was ist zu tun?

Soll'n wir hinweg die Panzerhemden werfen,

Den Leib in schwarze Trauerkleider hüllen,

Am Rosenkranz Ave-Maria zählend?

Wie? Oder soll'n wir auf der Feinde Helmen

Mit rächerischem Arm die Andacht üben?

Seid ihr für dies, sagt Ja, und Lords, wohlauf!

WARWICK.

Ja, deshalb hat euch Warwick aufgesucht,

Und deshalb kommt mein Bruder Montague.

Vernehmt mich, Lords. Der frechen Königin,

Samt Clifford und Northumberland, dem stolzen,

Und andern stolzen Gästen dieses Schlags,[716]

Gelang's, den König leicht wie Wachs zu schmelzen.

Er schwor zu eurem Erbrecht Beistimmung,

Verzeichnet ist sein Eid im Parlament;

Und nun ist all die Schar nach London hin,

Den Eidschwur zu entkräften und was sonst

Dem Hause Lancaster zuwider ist.

Ich denke, dreißigtausend sind sie stark;

Wenn nun der Beistand Norfolks und der meine,

Und was an Freunden, wackrer Graf von March,

Du schaffen kannst bei den ergebnen Wäl'schen,

Sich nur beläuft auf fünfundzwanzigtausend:

Wohlan! so ziehn gesamt nach London wir,

Besteigen nochmals die beschäumten Rosse

Und rufen nochmals: In den Feind gestürmt!

Nie wieder Rücken wenden oder fliehn.

RICHARD.

Ja, nun hör' ich den großen Warwick reden!

Nie werde mehr durch Sonnenschein erfreut,

Wer Rückzug ruft, wenn Warwick Halt gebeut.

EDUARD.

Lord Warwick, deine Schulter soll mich stützen,

Und wenn du sinkst (verhüte Gott die Stunde!),

Muß Eduard fallen, was der Himmel wende!

WARWICK.

Nicht länger Graf von March, nein, Herzog York;

Die nächste Stuf' ist Englands hoher Thron.

Du sollst als König ausgerufen werden

In jedem Flecken, wie wir weiter ziehn,

Und wer vor Freude nicht die Mütze wirft,

Verwirke seinen Kopf für das Vergehn.

König Eduard! Tapfrer Richard! Montague!

Laßt uns nicht länger hier von Taten träumen:

Blast die Trompeten, und an unser Werk!

RICHARD.

Nun, Clifford, wär' dein Herz so hart als Stahl,

Wie deine Taten steinern es gezeigt,

Ich will's durchbohren oder meins dir geben.

EDUARD.

So rührt die Trommeln. – Gott und Sankt Georg!


Ein Bote tritt auf.


WARWICK.

Wie nun? Was gibt's?[717]

BOTE.

Der Herzog Norfolk meldet euch durch mich,

Die Königin sei nah mit starkem Heer;

Er wünscht mit euch sich schleunig zu beraten.

WARWICK.

So ziemt's sich, wackre Krieger; laßt uns fort!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 712-718.
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