Siebente Szene

[765] Vor York.


König Eduard, Gloster und Hastings treten auf mit Truppen.


KÖNIG EDUARD.

Nun, Bruder Richard, Lord Hastings und ihr andern:

So weit macht doch das Glück es wieder gut,

Daß ich noch einmal den gesunknen Stand

Mit Heinrichs Herrscherkrone soll vertauschen.

Ich setzte zweimal glücklich übers Meer

Und brachte von Burgund erwünschte Hülfe.

Was ist nun übrig, da von Ravenspurg

Wir vor den Toren Yorks so angelangt,

Als einziehn, wie in unser Herzogtum?[765]

GLOSTER.

Das Tor verschlossen? Das gefällt mir nicht;

Denn manchen, welcher an der Schwelle stolpert,

Verwarnt dies, drinnen laure die Gefahr.

KÖNIG EDUARD.

Pah, Freund! Jetzt dürfen Zeichen uns nicht schrecken:

Ich muß hinein im Guten oder Bösen,

Denn hier versammeln sich zu uns die Freunde.

HASTINGS.

Mein Fürst, noch einmal klopf' ich an und mahne.


Der Schultheiß von York und seine Räte erscheinen auf der Mauer.


SCHULTHEISS.

Mylords, wir wußten schon von eurer Ankunft,

Und uns zu sichern, schlossen wir das Tor;

Denn jetzo sind wir Heinrich Treue schuldig.

KÖNIG EDUARD.

Wenn Heinrich Euer König ist, Herr Schultheiß,

Ist Eduard mind'stens Herzog doch von York.

SCHULTHEISS.

Ja, bester Herr, dafür erkenn' ich Euch.

KÖNIG EDUARD.

Nun, und ich fodre bloß mein Herzogtum.

GLOSTER beiseit.

Doch hat der Fuchs die Nase erst hinein,

So weiß er bald den Leib auch nachzubringen.

HASTINGS.

Herr Schultheiß, nun? Was steht Ihr zweifelnd noch?

Das Tor auf! Wir sind König Heinrichs Freunde.

SCHULTHEISS.

Ah, so? Das Tor soll euch geöffnet werden.


Von oben ab.

GLOSTER.

Ein weiser, tücht'ger Hauptmann, und bald beredet!

HASTINGS.

Der gute Alte läßt gern alles gut sein,

Bleibt er nur aus dem Spiel; doch sind wir drinnen,

So zweifl' ich nicht, wir werden baldigst ihn

Samt seinen Räten zur Vernunft bereden.


Der Schultheiß kommt mit zwei Aldermännern aus der Stadt.


KÖNIG EDUARD.

Herr Schultheiß, dieses Tor ist nicht zu schließen

Als bei der Nacht und in der Zeit des Kriegs.

Freund, fürchte nichts und gib die Schlüssel ab:


Er nimmt die Schlüssel.[766]


Denn Eduard will die Stadt und dich verfechten

Und alle die, so hold sind unsern Rechten.


Trommeln. Montgomery kommt mit Truppen auf dem Marsch begriffen.


GLOSTER.

Bruder, das ist Sir John Montgomery,

Wo ich nicht irre, unser biedrer Freund.

KÖNIG EDUARD.

Sir John, willkommen! Doch warum in Waffen?

MONTGOMERY.

In seiner stürm'schen Zeit dem König Eduard

Zu helfen, wie ein treuer Untertan.

KÖNIG EDUARD.

Dank, teuerster Montgomery! Aber nun

Vergessen wir den Anspruch an die Krone

Und fodern unser Herzogtum allein,

Bis Gott beliebt, das andre auch zu senden.

MONTGOMERY.

Gehabt Euch wohl denn! Ich will wieder fort:

Dem König, keinem Herzog wollt' ich dienen.

Trommeln gerührt! und laßt uns weiter ziehn.


Die Trommeln fangen einen Marsch an.


KÖNIG EDUARD.

Ein Weilchen haltet noch; laßt uns erwägen,

Wie man zur Krone sicher kommen möchte.

MONTGOMERY.

Was sprecht Ihr von Erwägen? Kurz und gut,

Erklärt Ihr Euch nicht hier für unsern König,

So überlass' ich Eurem Schicksal Euch

Und breche auf, um die zurückzuhalten,

Die Euch zu helfen kommen; denn warum,

Wenn Ihr kein Recht behauptet, föchten wir?

GLOSTER.

Wozu doch, Bruder, die Bedenklichkeiten?

KÖNIG EDUARD.

Wenn wir erst stärker sind, dann wollen wir

An unsre Fodrung denken; bis dahin

Ist's Weisheit, unsre Meinung zu verbergen.

HASTINGS.

Jetzt fort mit scheuem Witz! Das Schwert regiere!

GLOSTER.

Und kühner Mut erklimmt am ersten Thronen.

Bruder, wir rufen auf der Stell' Euch aus;

Der Ruf davon wird viele Freund' Euch schaffen.

KÖNIG EDUARD.

So sei es, wie ihr wollt: denn 's ist mein Recht,

Und Heinrich maßt das Diadem sich an.[767]

MONTGOMERY.

Ja, jetzo spricht mein Fürst ganz wie er selbst,

Und jetzo will ich Eduards Kämpfer sein.

HASTINGS.

Trompeten, blast! Wir rufen Eduard aus.

Komm, Kamerad, verrichte du den Ausruf.


Gibt ihm einen Zettel. Trompetenstoß.


SOLDAT liest. »Eduard der Vierte, von Gottes Gnaden König von England und Frankreich und Herr von Irland, u.s.w.«

MONTGOMERY.

Und wer da leugnet König Eduards Recht,

Den fodr' ich durch dies Zeichen zum Gefecht.


Wirft seinen Handschuh nieder.


ALLE.

Lang' lebe Eduard der Vierte!

KÖNIG EDUARD.

Dank, tapferer Montgomery! Dank euch allen!

Hilft mir das Glück, so lohn' ich eure Güte.

Jetzt, auf die Nacht, laßt hier in York uns rasten,

Und wenn die Morgensonne ihren Wagen

Am Rande dieses Horizonts erhebt,

Auf Warwick los und seine Mitgenossen,

Denn, wie bekannt, ist Heinrich kein Soldat.

Ach, störr'ger Clarence! Wie übel es dir steht,

Daß du vom Bruder läßt und Heinrich schmeichelst!

Doch dich und Warwick treff' ich, wie ich kann.

Auf, tapfre Scharen! Zweifelt nicht am Siege

Und nach dem Sieg am reichen Lohn der Kriege!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 765-768.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon