Am Grabe meiner Mutter

[40] Zu dem Schatten jener Kirchhofs-Linde

Folge, traute, düstre Schwermuth, mir!

Auf der besten Mutter Aschenhügel

Weih' ich bange heiße Thränen dir.

Von den bleichen abgehärmten Wangen

Gleiten sie im Monde schwimmend ab;

Traulich blicket er auf Leichensteine

Und auf dieses frischgewölbte Grab.


Gleich dem Armen auf entferntem Meere,

Den ein Sturm auf öde Felsen trug,

Wenn der Himmel sich in Nacht verhüllte,

Ein Orkan die wilden Wellen schlug:

So verlassen, Mutter! so verlassen

Steh' ich hier in deiner Kinder Chor,

Lehne klagend mich an deine Urne,

Eingehüllt in Krep und Trauerflohr.
[41]

Hier, o Mutter! pflanz' ich deinen Manen

Rosen, Veilchen und Vergißmeinnicht;

Meine nahe dichte Schleedornhecke

Kühl' euch! Blumen, wenn die Sonne sticht;

Und wenn einst ein Lebensmüder Waller

Eine Thräne weint auf dieses Grab,

O! dann saget ihm: daß Schmerz und Liebe

Euch, ihr Blumen, euer Daseyn gab.

Quelle:
Elise Sommer: Poetische Versuche, Marburg 1806, S. 40-42.
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