An Herrn Maler Zeller,

als ich das Bildniss der Grossherzogin von Hessen gesehen, das er gemalt hatte

[119] Wer hob die Hand dir? welche Schöpfermacht

Hat dich bei diesem holden Bild' beselet?

Wo himmlisch-mild aus blauen Augen lacht

Die Anmuth, mit der Schönheit sanft vermählet!


Ich singe nicht den Hauch, der fein und zart

Den Farbenschmelz wie ein Gedüft umflossen,

Wo sich das Schöne mit dem Edlen paart,

Von Himmels-Glanz ätherisch übergossen;


Nicht dieser feinen Lippen Lieblichkeit,

So wahr, so treu dem Urbild nachgemalet,

Nicht diese Form, von Grazien geweiht,

Vom zarten Reiz der Weiblichkeit umstralet!


Ich singe, was durch alle Zeiten lebt:

Die Schönheit, die das Göttliche begründet;

Die Seele, die das Schwindende erhebt,

Und dir den Kranz des Seelenmalers windet.
[120]

Dem Urbild gleich, vor dem mein Herz sich beugt,

Spricht Huld und Hoheit aus den holden Mienen;

Der Blick, der treu das Göttliche bezeugt,

Ist dir in seiner Klarheit wahr erschienen.


O seliges, o hochbeglücktes Land!

Du schwebst uns vor in unsern schönsten Träumen,

Aus welchem Götterhuld herabgesandt

Dies Ideal zu unsern Erdenräumen!


Es leben die Unsterblichen! durch sie

Ward deines Pinsels Glut so hoch gehoben;

Einst wird, bewegt von zarter Sympathie,

Dies Bild die Nachwelt und den Meister loben.

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 119-121.
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