Siebentes Bild


[221] Weite Ebene. Im fahlen Mondlicht sitzt der heilige Franziskus mit seinen Elf. Er sitzt auf einem Stein, und sie im Kreis zu beiden Seiten vor ihm. Aus einem Korbe langt der Heilige Stücke Brot und verteilt sie. Sie gehen von Hand zu Hand, sie brechen die Brote und halten Mahl.


DER HEILIGE.

Wir essen nun das letzte Mal mitsamt. –

Dann geht hinaus, zweie und zwei, wie Christi

Jünger hingingen, einer und der andre

Und wieder zweie durch das ganze Land.

Also auch ihr!


Stille.


DER BRUDER LEO.

Wen wählst du aus dir, Vater?

DER HEILIGE.

Ich wähle mir den Leo, Schäfchen Gottes.


Stille.


Seht, welch ein Morgen nah am Tagen ist!

Das Graue ist so keusch und ungetastet,

Wie unseres Heilands Mantel grau vom Staub

Des Wanderns und doch unberührbar.

So auch der Morgen. Alles Gott zur Ehre!

Und Seinem Christus! Wie der Wind nun hinstreicht

Und uns die Mäntel hebt! Viel schöner weht

Der blumige Gottesgeist zu unsren Häupten,

Lüftend die Decke unsrer armen Ohnmacht

Und Nacht von Mensch und Schuld.


Er hebt beide Hände und kehrt das Antlitz gen Himmel.


Ja, Brüder, preiset

Den Süßen, den die Himmel all nicht fassen;

Und der doch klein ist, wie ein weißes Brot

Und runde, weiße Scheibe –, der zu Hause

In einem Zelt, das niemals ganz enthüllt wird

Erschaffenem, und das die Engel heilig

Bestaunen jede Ewigkeit und alle

Die lieben, tapfren Heiligen: das Zelt[222]

Der allerheiligsten Dreifaltigkeit!

Ja, Brüder, kniet mit mir und betet an!


Sie knien alle mit ihm nieder.


O süßer Gott, der Du das Würmlein herzest,

Das in dem Grase kriecht, der Du sogar

Das Würmlein Mensch mit Gegenwart beseligst,

Allgegenwärtiger, so innig nah,

Daß wir nur fassungsloses Staunen haben

Und Tränen, rinnend ob der vielen Güte –:

Sieh hin auf Deine kleine, mindre Herde,

Die in dem Grase weidet, das Du sätest

Durch Wort des Sohnes, die dem treuen Hirten

Durch Ewigkeiten folgsam folget nach;

Sieh an, wie sie nun ziehn, zu zweien also,

Gesegnet nur durch Dein erhabenes Beispiel,

Ziehn in die böse Welt! Und Wolle lassen

Und Blut um den ganz teuren, hohen Christus,

Das ist der Herzwunsch, den Dir jedes Herz schlägt

Der kleinen Herde, der geringen. Daher

Gib Deinen Segen, Vater, Sohn und Geist,

Und Deine Gnade! Deine Salbung salbe

Uns mit dem lauteren Geist der heiligen Armut,

Demut und des Gehorsams; unsre Hände

Mach allzeit leer, daß sie schön bitten lernen,

Wie es sich ziemt für Hände minderer Menschen!

Und segne uns! Und benedeie uns!

Ja, gib uns Segen! Amen.

ALLE.

Amen.

DER HEILIGE.

Amen.


Er steht auf und alle Brüder stehen.


DER HEILIGE weisend.

Ihr nach Ägypten, ihr nach Spanien, ihr

Nach Palästina, – euch sagt ich es schon –,

Ihr in den Norden, also zieht mir hin,

Geliebte!

Ich bete allzeit um euch, ihr für mich!

Gott gab mir oft die Gnade, die Entfernung[223]

Betend zu überschauen, oft schon sah ich

Den Weitzerstreuten mit dem Blick der fliegenden,

Sorgend wachsamen Liebe allen zu.

Ich weiß dann, wo Gefahr ist, Räuber, Flüsse,

Verleumdung, Kerker, Wolf, Frostnächte, Hitze:

Ich schaue sie und komme heil zu Hilfe,

Betend, um Engel bittend, die da schützen.

So geht nun allesamt und kehrt mir wieder

Hierher an diesen Ort und baut mir Hütten,

Wartend einander ab bis wieder elf sind

Und ich der mindere Vater! Meine Söhne!

Betet ihr schlicht, so betet »Vater unser«,

»Gegrüßt, Maria« und »Herr Jesus Christus,

Wir beten an und benedeien Dich,

Denn durch Dein Kreuz hast Du die Welt erlöst.«

DER BRUDER GINEPRO jäh einfallend.

Oh, träfe mich der Henker mit dem Eisen!

Oder die heil'ge Flamme fräße mich

Und gäbe endlich, endlich süße Einung

Mit meinem Herrn, die minnigliche Hochzeit!

Franziskus, bitt, daß mich die Flamme frißt!

DER BRUDER LEO.

Auffrißt mich auch, Franziskus, auch den Leo!

ALLE.

Und mich! Und mich!

DER HEILIGE.

O teure Schafe, Herde!

Das steht im Willen unsres Herrn. Dies süße,

Feurige Bett ist eine große Gnade.

Verlangt es nicht so unbescheiden! Wer

Ist solcher liebenden Umarmung würdig?

ALLE.

O niemand, Vater! Niemand!

DER HEILIGE.

Also, Schäfchen,

Zieht hin, und niemand gebe Anstoß von euch!

Die Völker grüßt: »Der Herr verleih dir Frieden!«

Und bietet an die Liebe immerzu,

Die Liebe Gottes laut oder auch leise,[224]

Wo ihr nur Menschen trefft, geheim und offen.


Aufwachsend.


Ihr habt den Schatz, ihr Armen! Salz der Erde

Seid ihr, mit glaubeninnigen Tränen salzend

Das ganze Erdreich und die ganze Erde.

Mit herber, starker Lehre aller Menschen

Glückloses Dasein zwingend, beizend treffend.

Mit Salz vom Ewigem salzend das Schale

Der Zeit in dieser Welt, o mächtige Herren,

Ihr allesamt aus dem, der Opfersalz ward,

Aus ihm, dem Lamm!


Stille.


Und sprecht mir auch die Horas

Gut und pünktlich, wo sie treffen, ob im Gehen,

Im Stehen oder Liegen: Gott die Ehre

Demütiger Anrufung! Im Regen oder

Im Schnee, bei Tag und Nacht, ihr Brüder, allzeit

Ewige Lampen, brennend vor dem Herrn,

Die Herzen! Geht nun! Zwei und zwei ihr tretet

Heran und nehmt von mir den Kuß des Friedens

Und schenkt ihn euch und bringt ihn heil zurück!

Und schafft mir Frucht! Sämänner meine! Kommt!


Sie treten hinzu, immer zwei, sich bei den Händen haltend. Die Stirnen neigen sie, dann küßt sie der heilige Vater, dann küssen sich die beiden, wappnen sich mit dem Kreuzzeichen und gehen wortlos hin nach ihrer Richtung. Zugleich mit dem Kusse haucht ihnen der Heilige das: »Pax tecum«. Man sieht, wie sie über die weite Ebene sich verbreiten. Zuletzt ist Sankt Franziskus allein mit dem Bruder Leo.


DER HEILIGE.

Komm Bruder, in dem Zeichen unsres Herrn!

Doch vorerst deiner Stirn ein Kuß und meiner,

Und leise zeichne uns der fromme Finger

Auf unser Haupt das auserwählte Zeichen,

Das T, wie wir es im Propheten lesen!1

Hier nimm es hin! Nun gib es mir! Ich gab es[225]

Allen. Da ziehen sie. Zieht hin, ihr Brüder!

Und kehrt zurück, die Kutten weiß vom Reifen

Des Weizens, den euch Gott reichlich beschere!

Voran, mein Leo, wie wir es gewohnt sind!


Er schlägt das Kreuz, so auch der Bruder Leo. Bruder Leo geht vor und Franziskus folgt nach.


Quelle:
Reinhard Johannes Sorge: Werke in drei Bänden. Nürnberg 1964, S. 221-226.
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