[234] Klosterzelle des Bruder Martin. Brennende Kerze. Nackte Wände. Kruzifix. Lager des Mönches. In der Tür steht der Bruder Johannes und mustert den anderen, der rechts vom an der Wand lehnend sein Antlitz vor dem Mitbruder im Arm verbirgt.
BRUDER JOHANNES.
Da bin ich wieder, störe dich in deiner
Betrachtung. Zeig dein Angesicht! Her, Bruder!
DER BRUDER MARTIN.
Die Ängste, oh! die Ängste! Ganz die Nacht
Hindurch!
BRUDER JOHANNES.
Ich weiß es. Hör ich deine Stimme schon
So ängstlich grau, fahl, ohne Klang der Hoffnung.
O Bruder!
DER BRUDER MARTIN.
Ja, wer hilft von Sünden auf!?
Ich bin so sehr verstrickt! Werd ich bestehen?
BRUDER JOHANNES.
Von Sünden hilft dir Christus durch Sein weh
Vergossenes Blut. Was schließt du deine Augen,
Als ob Der da nicht hinge
Weist auf das Kruzifix.
angenagelt
Um unsre Last, als ob nicht dieser kahle
Kreuzbaum die Urschuld trüge, die erwürgt
Vor Gott ist mit dem Einen, dessen Name
Heißt Ohnschuld?
DER BRUDER MARTIN.
Worte! Worte! Müßig!
Ich quäle mich hinan durch Werke, Werke,
Zerquält bis an die Nieren, quäle mich –;
Wann geht mir auf die Sonne süßen Friedens?[234]
Ich quäle mich der Werke Stufen an,
Der Himmel wird nicht hell.
BRUDER JOHANNES.
O Martin! Martin!
Gott hadert nicht mit dir, doch du mit Ihm!
DER BRUDER MARTIN.
Selbst Haderer! Schweig, Bruder!
BRUDER JOHANNES.
Martin! Martin!
Mein Aug sieht tief! Mein Aug sieht tief! So kommst du
Nicht aus.
DER BRUDER MARTIN.
Ich bitte dich, laß mir die Zelle,
Und stör mir nicht das Tiefe, das aus mir
Sich loszuringen ist bestrebt!
BRUDER JOHANNES.
Ja, du
Gehst einsam, Bruder Martin, gehst beiseite,
Gehst einen eigenen Weg. Ist dir die sichre
Stiege im Silberlicht nicht licht genug,
Die wir alltäglichen
Menschen hingehen in der Gnade Christi,
Kleinwinzig wie wir sind?
DER BRUDER MARTIN.
Kenne sie wohl.
Ihr nehmt zu leicht es, ihr! Ein Ablaß macht
Euch selig, lächelt vor euch hin, vergnügt. –
BRUDER JOHANNES.
Und hat nicht Er die Sündenstrafen gnädig
Macht zu erlassen aus dem kostbaren
Gefunkel Seiner heiligen Sühnetat?
Und ziert nicht unsere Freude
Den bleichen Kreuzeshelden, laut Ihn kündend
Als Licht in tiefster Nacht?
DER BRUDER MARTIN.
Hast du Gesichte?
Wie? Nein! Nun freilich! Hast gut lächeln, lachen
Dir in die Faust! Doch ich, ich habe also
Schreckliche Heimsuchungen,[235]
Daß mir die Haare stehn, die Zähne klappern,
Daß es mich schüttelt irr und wirr, – ja, freilich,
Dann dein Getrost von lichtem Weg und sichrem
Gelangen klingt wie ein gepfiffnes Lied
Hin in die Luft!
BRUDER JOHANNES.
Christus ist Jubel, Martin!
Ist Jubel über Jubel und kein bloßes Lied!
DER BRUDER MARTIN wendet sich jetzt zu dem Sprechenden um.
Mir aber hat der Herr
Gegeben diese Hoffnung: »fürchterliche
Trübsal ist nur die Morgenröte Meiner
Liebseligen Ankunft.« – So werd ich geprüft!
Gott wohl hat Großes noch im Auge.
BRUDER JOHANNES.
Bruder,
Das steht bei Gott. Doch hast du Trost, was also
Dies Jammern schmerzentstellter Züge?
DER BRUDER MARTIN.
Nimm du
Mein bleiernschweres Herz und sieh dann lächelnd!
BRUDER JOHANNES.
Doch weshalb schwer?
DER BRUDER MARTIN.
Schwer ist der gnädige Gott!
BRUDER JOHANNES.
O leichte, süße Last, o Joch aus Lilien, –
Spricht denn nicht so der Herr –? Und wo ist Schwere?
Eine Uhr schlägt. Alsbald ruft ein Glöcklein singend hin und her sein Lied.
DER BRUDER MARTIN schlägt um im Ton.
Ich müh mich ab, mein Bruder, sieh, mein Werkeln
Bringt mir den Frieden nicht. Und Frieden such ich,
Laut sehnend meine Arme nach ihm dehnend,
Such meiner Qual ein Grab. – Und woher stammt dies:
Daß mir die lechze Seele lechzender
Zu meinem Bann und Tun
Reißt in der Brust und mir die Augen tief[236]
Einhöhlt?
Das Glöcklein singt fort.
BRUDER JOHANNES.
Das weiß ich nicht zu sagen, Bruder
Doch eines weiß ich: –
DER BRUDER MARTIN unterbricht.
Nicht zu sagen! Nicht
Zu sagen! Weiß ich nicht zu sagen! Sieh da!
Ein starker Trost! Fürwahr!
Kurze Stille.
Hei! Nicht zu sagen!
BRUDER JOHANNES.
Doch eines weiß ich, Sohn der Unruh, wohl:
Du hast die gnadenvolle Auserwählung
Des Priestertums. So süßer Labe-Trost
Ist dir durch jene heimlich minnigen Worte,
Daß du vom Lichte reif und süß und schwer
Fast brechen müßtest, vor so vieler Gnade!
DER BRUDER MARTIN.
Was Worte? Was für heimlich minnige Worte?
Was weißt du für ein ganz geheimes Mittel,
Mein Bruder Zauberer?
BRUDER JOHANNES.
Die innige
Geschwisterschaft der Fünf, den süßen Reihen,
Der dir erschwingt den liebeglühenden
Christus vom höchsten Himmel, der liebkosend
Auf jene Worte sich verdemütigt
Und wird zur weißen Scheibe. Diese fünf:
Hoc est enim corpus meum.
DER BRUDER MARTIN.
Ich kenne sie! Ich kenne sie! Ich kenne sie!
BRUDER JOHANNES.
Und ziehst ein trüb Gesicht? O du Philister!
DER BRUDER MARTIN.
Wahr deine Zunge! Ich bin nicht gut bei Mut!
BRUDER JOHANNES.
Bist du ein Heide, daß du aus dem Israel
Der hellen, hohen, heilen, jubelnden[237]
Freude dich ausschließt und dich selbst belegst
Mit einem Bann der Trübsal voller Marter?
DER BRUDER MARTIN.
Wie! Pharisäer! Hast du Sünden!? Eitler
Heuchler!
BRUDER JOHANNES.
Ich heuchle meinen Frohmut nicht.
Noch meine liebeselige Gemeinschaft
Mit meinem süßen Christ. Denn meine Sünden
Bring ich in Stille unter Tränen vor
Den Herrn. Doch Seine himmlische Barmherzigkeit
Wischt mir die Tränen ab und macht mich lachend,
Daß ich wie eine kleine Sonne leuchte
Zu Lob und Ehre meinem süßen Christ!
DER BRUDER MARTIN.
Herunter mal die Kappe!
BRUDER JOHANNES fällt ihm ein.
Doch du, Bruder,
Bist in der Trübsal ohne Wiederkehr
Zur freudigen Losung. Wie? Du weißt doch wohl,
Daß uns die heiligen Väter warnend lehren,
Dem trüben Mut in unsrem Wesen keine
Stätte zu gönnen. Also blicke froh!
Es spricht auch der Apostel von der Freude –
BRUDER JOHANNES.
Herunter mal die Kappe! Ei, es frommt nicht,
Dastehn aufs Maul geschlagen wie ein Schulbub!
Ei, guter Bruder! Guter Bruder Trost!
Du bist ein braver Arzt! Doch deine Pillen
Sind überzuckert, bergen bittre Galle,
Fein sauber überzuckert, Teufels Listen!
BRUDER JOHANNES weicht zurück.
Was ist das für eine Sprache –!
DER BRUDER MARTIN.
Ja, eine gerade Sprache, gerad heraus!
Oh, über Last der Werke! Eitles Mühen!
»O vanitatum vanitas!« wie richtig
Der Prediger sagt. Wir mühen uns ins Eitle.
Es ruht kein Segen drauf. Und Frieden? Nein![238]
Wir quälen uns mit Beten und mit Fasten;
Kommt doch nicht Ruh. Wo aber Ruh, wo ist sie –?
– Kein Wunder, wahrlich! Meint ihr den gestrengen
Richter und Herrn durch euer kleinlich Rechten
Und Haschen nach Verdienst,
Wie? zu versöhnen? Nimmer! Nimmer! Nimmer!
BRUDER JOHANNES.
O Bruder Martin, du sprichst keckes Wort,
Den eignen schlimmen Willen, schlimm noch pflegend,
Dich selbst verallgemeinernd in die weite
Anzahl! Oh, hüte dich! Ich seh mit Jammer –
DER BRUDER MARTIN.
Ich kann es nicht! Kann's nicht! Den Frieden nicht
Finden durch reuzerfleischter Lippen Paar,
Noch wunde Knie, noch stöhnende Gehärme.
Kann's nicht! Vermag's nicht!
BRUDER JOHANNES.
Was tut das der Sache?
Was tut dem Frieden (der den wunden Knieen
Und rotgeweinten Augen niederkommt),
Was tut ihm, daß du ihn nicht findest? Vielmehr
Bist du es, Martin, der da Rechten übt
Mit Gott; denn nicht genügt dir allgemeine
Und wahrhaft mitleidsvolle Mild-Verzeihung
Aus Christi Tropfen. Unsere Werke nicht
Versöhnen; unsrer Werke Stammeln aber,
Getan in Christo und vereint mit Christi
Ganz einzig gültigem Werk –:
Dieses versöhnt und macht uns heil und heilfroh.
DER BRUDER MARTIN.
Komm laß uns gehn zur Mette!
BRUDER JOHANNES bleibt.
Bist du Priester?
Bist du es nicht, der in der heiligen Messe
Das Lamm hält opfernd zwischen beiden Händen,
Darbietend Dem den Eingeborenen,
Den einzig der durchstochene Sohn versöhnt?
Du hebst das Unterpfand unsrer Versöhnung
Täglich zu Gott auf, und du zweifelst noch?[239]
DER BRUDER MARTIN.
Kennst du die Angst?
Das Glöcklein wird still.
BRUDER JOHANNES.
Die Angst –? Wie meinst du?
DER BRUDER MARTIN.
Du kennst sie nicht, und weißt mir nichts zu sagen.
Die Angst vor dem verdammenden Gezürne,
Angst, die das elende Gewürm durchbebt,
Ahnt es den Urteilsspruch.
BRUDER JOHANNES.
Was meinst du, Martin –?
Vertrauen überklimmt noch jede Angst
Mit innigem Aufstieg. Wir sind dessen, der
Zum Abendmahle unsre Füße wusch,
Sich niederbückend in der triefenden
Barmherzigkeit des Worts, das Fleisch geworden.
DER BRUDER MARTIN.
Ich aber kenne sie, du kennst sie nicht!
Hör an ein Stückchen, schaudre! Die Primiz
War da, und ich der Neue, Ungewohnte
Am Altar handelnd. Wie nun nach dem Sanctus
Ich in den Kanon komme und beginne
»Te igitur«, ergreift mich solch ein Beben
Weit aufgerißnen Augs, gesträubten Haares,
(Stand ich doch vor der großen Majestät!)
Daß Fort-sich-reißen, in gehetzten Sprüngen
Die Stufen niederfliehn mir war Ergötzen
Gewesen, selige Beruhigung! Nun aber
Hielt man mich da ...
BRUDER JOHANNES.
O Martin! Martin! Martin!
Das ist nicht gut! Nicht gut! Pax tecum, frater!
Die Angst ist nicht von Christus, Christus tröstet –,
Die Angst ist nicht von Christus –
DER BRUDER MARTIN schreit auf.
Von wem denn?
BRUDER JOHANNES.
Pax tecum, frater! Laß uns die horas lesen!
Zur Mette! Komm mit mir![240]
DER BRUDER MARTIN.
O Martin! Martin!
Gott will noch sonderlich hinaus mit dir.
Bruder Johannes geht voran und Bruder Martin folgt nach.
Durch die offen bleibende Tür sieht man in einen Kreuzgang. Kurze Zeit Stille. Nun kommen der Bruder Peter und der Bruder Thaddäus rechts her den Gang hinab, Bruder Thaddäus hält vor Martins Zelle an, blickt hinein, tritt in die Tür.
BRUDER THADDÄUS.
Er ging schon fort. Der Bruder Martin.
BRUDER PETER nun auch heran. Die beiden stehen im Rahmen der Tür.
Sieh!
Dieses die Wohnung seiner ewigen Seufzer!
BRUDER THADDÄUS.
Sehr sonderbar der Bruder Martin, wahrlich!
BRUDER PETER.
Ist er besessen, daß er schrie beim Künden
Des Evangeliums vom Besessenen?
BRUDER THADDÄUS.
Was ist denn dies für eine neue Sache?
BRUDER PETER.
Vorgestern erst geschehn. Du warst verreist,
So will ich's dir erzählen. Wir sind alle
Miteins im Chor beim feierlichen Opfer,
Johannes hielt das Amt. Als jetzt die Zeilen
Gesungen werden, welche vom Besessnen
Aussagen, hören wir ersticktes Stöhnen.
Und mitten in der feierlichen Obacht
Der Bruder Martin hingeworfen zitternd,
Zerrissenen Gemüts und ruft: »Ich bin's nicht!
Ich bin's nicht! Ich bin's nicht!« Und Krämpfe
Betraten grausam den mit Schaum bespienen,
Blaurot ward das Gesicht. Und schrie und schlug.
Wir aber – (komm, daß wir uns nicht versäumen!)
Indem er den Bruder Thaddäus mit sich zieht.[241]
Wir aber, ganz erschreckt ob der so grausen
Verwirklichung des Evangeliums –
Sie sind abgegangen. Stille. Man sieht die Brüder einzeln und zusammen von rechts her den Gang entlang ziehen. Verschwinden. Stille. Der Bruder Martin kommt linksher mehr gestürzt als gelaufen. Er bleibt erschöpft am Türpfosten lehnend.
DER BRUDER MARTIN nach einer Weile bangen Atems.
– Ich kann jetzt nicht! Jetzt nicht! Kann nicht wie ein
Puppe, die schreit, wenn man die Bänder zieht,
Zur festgewollten Zeit die horas singen,
Gott loben, wo's im Innren tobt und wütet
Von Schreckensübermaß. Bin ich ein Heuchler?
Soll meine Zunge loben, während mir
Das Herz vom Lob weitab ist?
Er schreit hoch, auf.
– Die Versuchung –!
Ai! – Die Versuchung lästernd auszusprechen
Den Namen Gottes! Kann ich widerstehn?
Er fällt und wälzt sich.
CHORUS DER BRÜDER stimmen froh, fest an, singen.
ERSTE HÄLFTE.
Deus, in adjutorium meum intende!
ZWEITE HÄLFTE.
Domine, ad adjuvandum me festina!
ERSTE HÄLFTE.
Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto,
ZWEITE HÄLFTE.
Sicut erat in pricipio et nunc et semper et in saecula saeculorum! Amen!
CHORUS GESAMT.
Alleluia!
DER MÖNCH LUTHER springt auf und wirft mit Wutgebärde die Tür ins Schloß.
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