Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht

[160] Der Schnellzug tastet sich

und stößt die Dunkelheit entlang.

Kein Stern will vor. Die ganze Welt ist nur ein enger,

nachtumschienter Minengang,

Darein zuweilen Förderstellen

blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feuerkreis

Von Kugellampen, Dächern, Schloten,

dampfend, strömend ... nur sekundenweis ...

Und wieder alles schwarz.

Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht.

Nun taumeln Lichter her ... verirrt, trostlos vereinsamt ...

mehr ... und sammeln sich ... und werden dicht.

Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß,

im Zwielicht bleichend, tot –

etwas muß kommen ... o, ich fühl es schwer

Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut.

Dann dröhnt der Boden plötzlich wie ein Meer:

Wir fliegen, aufgehoben,

königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern Strom.

O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht,

Vor deren blitzender Parade

schwer die Wasser abwärts rollen.

Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht!

Wie Fackeln stürmend! Freudiges!

Salut von Schiffen über blauer See! Bestirntes Fest!

Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt!

Bis wo die Stadt

mit letzten Häusern ihren Gast entläßt.[161]

Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer.

Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion.

Und Glut und Drang

Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest.

Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer.

Zum Untergang.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 160-162.
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