Die bösen Schwestern und die gute.

[164] Ein Mährchen.


Eine Frau lebte mit drei Töchtern in einem großen Walde von allen Menschen abgesondert. Die beiden ältesten Schwestern waren sehr böse, und als sie erwachsen und die Mutter alt und schwach geworden, behandelten sie diese oft unfreundlich und rauh. Auch die kleine Schwester, Rose, hatte es recht schlimm und mußte viel von ihrer üblen Laune und Bosheit dulden. Eines Tages kam eine Frau zu ihnen und erzählte, daß mitten im Walde eine ungeheure Höhle sei, welche bis[164] Oben zu, mit Gold und herrlichen Sachen angefüllt wäre. Als die Frau weg war, sprachen die Mädchen sogleich davon, daß sie diese Höhle aufsuchen wollten, um diese Herrlichkeiten mit eignen Augen zu sehen, und vielleicht etwas davon zu erhaschen. Die Mutter warnte sie, und meinte, die alte Frau habe wie eine Betrügerin ausgesehen, die sie, wer weiß es in welcher Absicht, in dem Wald locken wollte; doch die beiden, Setti und Netti, hörten nicht darauf und gingen fort, die Höhle mit ihren Kostbarkeiten aufzusuchen. Lange gingen sie so herum, als sie auf einen freien Platz kamen, der von Felsen umher eingeschlossen war. Es zeigte sich ihnen der Eingang in eine Höhle; aber über diese war auf einem Felsenstück eine Inschrift eingehauen, welche anzeigte, daß der, welcher es wagte diese Höhle zu betreten, von den schönen Sachen, welche sie verbarg, so viel mitnehmen könne, als er wolle, daß er aber, wenn er wieder herausgekommen, nur drei Tage leben und sich nur so lange der erbeuteten Dinge erfreuen könne. Ihre Habsucht gab ihnen sogleich den abscheulichen Gedanken ein, Rosen herab zu schicken und durch sie so viel als möglich herauf schleppen zu lassen. Da sie dann sterben mußte, behielten sie beide allein alles. Sie gingen wieder nach Hause und erzählten so viel[165] schönes von der Höhle, daß auch Rose Lust bekam, sie zu sehen; und gleich am nächstfolgenden Tage machten sie sich mit ihr auf den Weg. Bei ihrer Ankunft erlaubten sie ihr nicht die Inschrift zu lesen, sondern zwangen sie, da beide weit größer und stärker waren, hinein in die Höhle zu steigen. Rosa mußte gehorchen und betrat mit Furcht und Zittern den schmalen Pfad, der senkrecht in die Tiefe führte. Lange tappte sie so im Finstern umher; da zeigte sich ihr ein helles Licht, und sie kam in einen schönen Garten, welchen viele Lampen erhelleten. Die Bäume waren mit den herrlichsten Früchten beladen, und diese Früchte waren vom feinsten Golde künstlich nach der Natur geformt. Ein schönes Haus war in der Mitte des Gartens, und sie wagte es auch dieses zu betreten. Aber wie staunte sie über die Menge von hochaufgethürmten seidnen Zeugen zu Kleidern, Halstüchern und dergleichen von allen Farben und Arten. Auch von dem glänzendsten Schmuck war ein Uebefluß da, und das geblendete Mädchen wußte gar nicht mehr, wohin sie zuerst sehen sollte. Endlich wagte sie es mit Furcht und Zittern, dem Befehl der gebieterischen Schwestern, welche ihr gedroht, wenn sie leer zurückkehrte, sie zu kratzen und zu schlagen, zu gehorchen, und nahm ein Tuch, und dann wieder etwas, wie sie mehr Muth[166] bekam, und zuletzt brach sie noch im Garten eine Menge goldner Früchte ab, und trat so, ziemlich beladen, den beschwerlichen Rückweg an. Die beiden Schwestern warteten indeß vergeblich auf ihre Wiederkehr, und da es endlich Nacht geworden, fingen sie an zu fürchten, es möchte ihr etwas zugestoßen seyn, daß sie in der Höhle gestorben wäre. Voll Furcht gingen sie nach Hause, wo sie in der Morgendämmerung nach langen hin und her irren, anlangten, und wo die Mutter, welche um sie ängstlich besorgt, kein Auge geschlossen hatte, schon an der Thüre saß, und ihrer Kinder harrete. Sie erzählten ihr, Rose sei aus Vorwitz, wider ihren Willen, in die Höhle hinab gestiegen und nicht mehr wieder zum Vorschein gekommen. Die arme Frau vergoß die bittersten Thränen um das beste von ihren Kindern; sie konnte sich es aber wohl vorstellen, daß Rose nicht aus freiem Antriebe, sondern nach dem Willen der Schwestern in die Höhle gegangen, und während die Beiden sich niederlegten, um den versäumten Schlaf nachzuholen, machte sie sich selbst auf den Weg, zu der ihr so schrecklichen Höhle. Sie ging, immer weinend nach der Gegend zu, wo sie sich befinden mußte, und fand mit einem nicht zu beschreibenden Entzücken, Rosen gesund und frisch unter einem Baum schlafend. Neben[167] ihr lag eine kleine Ziege und nicht fern war ein Haufe der schönsten Sachen und goldner Früchte aufgethürmt. Die gute Frau, welche, sie wußte selbst nicht warum, eine Flasche mit Milch gefüllt mit sich genommen, setzte sich ganz still neben die Schlafende, um sie ja in ihren Schlummer nicht zu stöhren; doch gab sie der kleinen Ziege etwas Milch aus ihrer hohlen Hand zu trinken, welche Wohlthat diese dankbar zu erkennen schien, indem sie ihr freundlich die Hand leckte. Endlich erwachte Rose, und nachdem sie sich, mit der mitgebrachten Milch gelabt hatte, erzählte sie, wie die Schwestern sie gezwungen, hinab zu steigen, und was sie da gesehen, und wie im Rückwege sie diese kleine Ziege, die vor Mattigkeit kaum noch kriechen konnte, gefunden und mit sich genommen habe. Das hatte freilich ihren Rückweg sehr langsam und beschwerlich gemacht, so daß darüber die Nacht eingebrochen, und sie ihre Schwestern nicht mehr gefunden. So kehrte sie nun mit allem was Rose mitgebracht, zur Hütte zurück. Die Schwestern traueten ihren Augen nicht, als die Vermißte, reich beladen, wieder erschien; und gern hätten sie sogleich alles zu sich genommen, wenn sie sich nicht gefürchtet. Sie warteten nur auf den, gewiß bald erfolgenden Tod Rosens, um sie dann zu beerben, und schalten oft, daß[168] sie sich mit der dummen Ziege belastet, anstatt noch mehr schöne Sachen mitzunehmen. Aber zu ihrer Verwunderung blieb Rose gesund und am Leben, obgleich sie sich von ihnen hatte bereden lassen, von dem einfachsten der Zeuge sich eine Kleidung zu verfertigen und zu tragen. Sie bereueten es nun ihr nicht alles weggenommen zu haben, und beschloßen selbst mit ihr die Höhle zu besuchen, und so viel mitzunehmen, als alle drei wegschleppen konnten; doch sollte Rose auch nicht das Mindeste davon bekommen. Gesagt, gethan, die Mutter mochte dagegen einwenden was sie wollte, und Rose mußte durchaus mit und zuerst hinabsteigen. Sie langten Alle wohlbehalten unten an; und nun wurden Garten und Haus die in unveränderter Schönheit prangten, besehen und bewundert; dann ging es ans Auswählen und Einpacken, und Rose ward so schwer beladen, daß sie nur mit Mühe sich und die Sachen fortschleppen konnte. Am Ausgange des Gartens, der heraufwärts den schmalen Pfad führte, lag, wie das erstemal, eine kleine Ziege und blickte sie wehmüthig an; aber Netti und Setti stießen sie mit den Füssen fort und gingen hartherzig vorüber. Rose, obgleich so schwer beladen, daß sie kaum sich regen konnte und weit hinter den Schwestern nachbleiben mußte, konnte sich nicht entschließen,[169] das arme hülflose Thier hier liegen zu lassen, und nahm es auf den Arm, um es mit fort zu nehmen. Die beiden älteren Schwestern waren schon lange wieder zu Hause, als sie erst, ermüdet zum sterben, ankam. Zu sehr beschäftigt mit ihren neuen Herrlichkeiten, achteten sie nicht auf das kleine Thier, welches Rose mitgebracht, sonst wäre es ihr übel gegangen. Am andern Morgen liefen sie mit den schönen Sachen in die Stadt, und die jüngere Schwester mußte fast alles tragen. Sogleich bestellten sie einige Schneider und eine Menge Putzmacherinnen zu sich, um sich wie Damen von hohem Stande zu kleiden und zu schmücken; und da in einigen Tagen ein großer Ball war, blieben sie gleich da, um auf demselben zu erscheinen. Rose verfertigte in aller Stille, da die Schwestern, welche gar nicht müde wurden in der Stadt umher zu laufen, nicht da waren, sich auch einen Anzug von seidnem Zeuge, welches sie ihr noch gelassen, da es ihnen viel zu einfach schien; und als Beide prächtig geputzt auf den Ball gingen, putzte sie sich auch und folgte ihnen unbemerkt. Alle Leute erstaunten über die Pracht ihrer Kleider und die Kostbarkeiten, mit welchen sie überladen waren, und man hielt sie für Gräfinnen, wohl gar für Prinzessinnen. Ihr Stolz und ihr Uebermuth waren ohne Grenzen; und da sie auf die andern[170] Frauenzimmer gar nicht achteten, bemerkten sie auch Rosen nicht. Diese lief, ehe sie den Ball verließen, fort, kleidete sich geschwinde aus und bereitete ihnen Thee, wie sie es befohlen hatten. Am andern und dritten Tage tanzten sie wieder, weil es viele Bälle und Lustbarkeiten nach einander gab; und immer neu geschmückt. Rose bat, sie möchten ihr doch erlauben zu der Mutter zu gehen, aus Furcht, es möchte der armen alten Frau in ihrer Einsamkeit etwas zustoßen, sie verboten es ihr aber, weil sie sie bedienen mußte und sagten: »Ei, es wäre auch ein rechtes Unglück, wenn die Alte stürbe!« Darüber fing Rose, welche die Mutter zärtlich liebte, an zu weinen; da schlugen die beiden bösen Drachen sie unbarmherzig. Es war wieder ein großer schöner Ball, den sie besuchten, und auch Rose bekam Lust zu tanzen. Sie hatte es seit dem erstenmale nicht wieder gewagt hinzugehen, und besaß auch nur das einzige hübsche Kleid vom vorigen Balle. Geschwinde kleidete sie sich an; und um doch etwas verändert zu erscheinen, schmückte sie sich mit natürlichen Rosen. Sie sahe den Hochmuth und das eitle Betragen ihrer Schwestern wohl, und schämte sich im Stillen anstatt ihrer. Da erschien eine ältliche Frau auf dem Balle, die sehr armselig angezogen war, deßhalb betrachteten sie einige mit Verwunderung,[171] daß sie es gewagt, so hier zu erscheinen, und andere spöttelten. Aber die beiden übermüthigen Schwestern verspotteten sie laut und beschimpften sie. Eine Zeitlang schwieg die Frau. Plötzlich aber stand sie auf und berührte mit einem kleinen Stäbchen, welches sie in der Hand hielt, die Beiden; da verwandelten sich ihre herrlichen Kleider in alte schmutzige Lumpen und die Brillanten in Kieselsteine; Rosens Anzug aber blieb wie er war. Ein lautes, schallendes Gelächter erhob sich rings umher, und so wie sie vorher Andere verspottet hatten, wurden nun sie verhöhnt. »Wißt, sprach die Fee, daß ich die Besitzerin der Höhle bin, und euch die Sachen, die ihr mir genommen, wohl gegönnet hätte, wäret ihr nur gutmüthige Geschöpfe. Um eure Herzen zu prüfen, flehte ich euch, verwandelt in eine kleine hülflose Ziege, um Erbarmen an; ihr stießet mich aber unbarmherzig zurück. Noch einmal wollte ich euch beobachten, in der Hoffnung, mein armseliger Anzug werde euer Mitleid erregen; aber ihr habt mich verhöhnt, und eure arme Mutter habt ihr hülflos in der Hütte zurückgelassen. Jetzt geht; ich beobachte euch künftig genau, und wenn ihr euch nicht bessert, so bestrafe ich euch noch härter.« Tief beschämt und gedemüthigt, schlichen die Beiden nach ihrer Wohnung,[172] wo sie die dort noch habenden schönen Sachen, so wie ihre Kleidung verwandelt fanden, und leer zogen sie nach Hause. Rose trug ihr Päckchen und fand, als sie zurückgekommen, alles was sie das erstemal aus der Höhle getragen und was ihr gehörte, unverändert schön. Sie war voll Freude ihre Mutter, wohl besorgt um sie, aber gesund wieder zu finden; und da sie nun den Werth der Edelsteine und des Geldes genau kannte, ging sie am andern Tage wieder in die Stadt und verkaufte sie, und gab der Mutter das dafür empfangene Geld. Nun konnte diese sich vieles Land kaufen und besser leben, und Rose pflegte und wartete sie kindlich; die kleinen Ziegen waren aber verschwunden. Die bösen Schwestern, so gern sie es auch gethan hätten, wagten es nicht, Rosen zu mißhandeln, noch auch der Mutter übel zu begegnen, aus Furcht vor der mächtigen Fee. Aber sie konnten die Beschimpfung auf den Ball nicht verschmerzen, und den Verlust so vieler Herrlichkeiten; dazu waren sie voll Wuth und Mißgunst über Rosens Glück. Das zog Beiden das Gallenfieber zu, und sie starben nach einem Jahre. Rose aber war so glücklich, ihre gute Mutter bis in das höchste Alter bei sich zu sehen und sie pflegen zu können.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 164-173.
Lizenz:

Buchempfehlung

Jean Paul

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon