Einhundertundzwölftes Kapitel.

[163] Wer weiß, was »ärgerlich« ist, wird auch wissen, daß es nichts Aergerlicheres geben kann, als fast einen ganzen Tag in Lyon, der reichsten und blühendsten Stadt Frankreichs, zu verweilen und von ihr und ihren Alterthümern, derentwegen sie so berühmt ist, nichts besehen zu können. Es ist schon ärgerlich, durch irgend welche Ursache daran verhindert zu werden, aber ist diese Ursache auch noch etwas Aergerliches, so ist das


Aergerlich ±


wie ein Mathematiker sich ausdrücken würde.

Ich hatte meine zwei Tassen Milchkaffee getrunken (was, nebenbei gesagt, ein vortreffliches Getränk ist, nur muß Milch und Kaffee zusammengekocht werden, denn sonst ist es weiter nichts, als Kaffee mit Milch), und da es erst 8 Uhr morgens war, das Boot aber vor Mittag nicht abfuhr, so hatte ich Zeit genug, so viel von Lyon zu sehen, um alle meine Freunde mit dem Bericht darüber zu langweilen. – Ich will nach der Kathedrale gehen, sagte ich, indem ich meine Liste überflog und mir[163] vor Allem den merkwürdigen Mechanismus besehen, den Lippius von Basel an der großen Uhr angebracht hat.

Nun verstehe ich aber von allen Dingen in der Welt von Mechanik am allerwenigsten; es fehlt mir dazu an Anlage, an Neigung, an Verständniß, und mein Gehirn ist für Alles, was dahin einschlägt, so ungeschickt, daß ich nun und nimmer im Stande gewesen bin, den Mechanismus eines Eichhornkäfigs oder eines gewöhnlichen Scherenschleiferrades zu begreifen, obgleich ich manche Stunde meines Lebens mit der größten Andacht bei dem einen und mit der christlichsten Geduld bei dem andern gestanden habe.

– Ich will mir den erstaunlichen Mechanismus dieser großen Uhr ansehen, sagte ich; das soll das Allererste sein, und dann will ich der großen Jesuitenbibliothek einen Besuch abstatten und mir wo möglich die dreißig Bände der chinesischen Universalgeschichte zeigen lassen, die (nicht in tartarischer, sondern) in chinesischer Sprache und mit chinesischen Zeichen geschrieben ist.

Nun verstehe ich von der chinesischen Sprache gerade so viel wie von dem Mechanismus der Lippiusschen Uhr; – wie beides also dazu gekommen war, auf meiner Liste obenan zu stehen, ist ein Räthsel der Natur, das lösen mag, wer will. Mir scheint es eine der Wunderlichkeiten dieser Dame zu sein, und wer ihr den Hof macht, wird es vielleicht mehr als ich in seinem Interesse halten, hinter ihre Launen zu kom men.

– Wenn ich diese Merkwürdigkeiten gesehen habe, sagte ich halb zu mir, halb zu dem Lohndiener, der hinter meinem Stuhle stand, so wird es nicht übel sein, wenn wir nach der St. Irenäuskirche gehen und den Pfosten besehen, an den Christus gebunden wurde, und dann nach dem Hause, wo Pontius Pilatus wohnte – Das wäre in der nächsten Stadt, sagte der Lohndiener, in Vienne. – Das ist mir lieb, sagte ich, wobei ich rasch vom Stuhle aufstand und mit doppelt so großen Schritten als gewöhnlich durchs Zimmer ging, – das ist mir lieb, denn um so schneller komme ich dann zum Grabe der beiden Liebenden.

Was war die Ursache dieser Aufregung, und weshalb machte[164] ich so große Schritte, als ich das sagte? Ich könnte das zu errathen dem Leser überlassen, aber da es sich hier um kein künstliches Uhrwerk handelt, so kann ich's auch selbst erklären.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 163-165.
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