2. Uber ihr Schreiben

[82] 1.

Honig-reden/ Zukker-Zeilen/

Worte voller Lieb' und Gunst/

Lettern/ so die kranke Brunst

meiner stillen Schmerzen heilen

züge/ die die Götter führen

und mir Geist und Leben rühren.
[82]

2.

Red-art unverfälschter Treue/

Sinnen-außspruch/ Herzens-mund/

Schrifft allein uns beyden kund/

Mahlwerk/ dessen iede Reye

mehr Ergezligkeit kan machen

als Apelles Künstler-Sachen.


3.

Ewig muß der sein gepriesen

und biß in das ferne Feld/

wo Diana Feuer hält/

zu den Engeln hingewiesen

der zu Trost dem treuen Lieben

erstlich auff Papier geschrieben.


4.

Wenn mir wo das Ohre klunge/

nu erwehnt sie mein (dacht' ich)

ach! wer weiß/ wol lächerlich.

Wenn der Trauer-vogel sunge

der der Sonnen-straal nicht leidet

und sich bey den Gräbern weidet.


5.

Das bedeut der Liebsten Sterben.

Iezt liegt sie in lezter Noht/

iezt/ O weh! ist sie schon todt/

(rieff ich kläglich) dein Verderben/

Schöne/ soll auch meines werden

und entsagte gleich der Erden.


6.

Aber/ wer wird mir beschreiben

die gleich ohne Zentner Pein

wenn mich wor ein Traum nahm ein/[83]

sonderlich/ wenn nu die Scheiben

sich am Himmel heller zeigen

und die Dünste reiner steigen.


7.

Wie sie stets in meinen Sinnen

so bey Nacht/ als Tage steht/

wacht und mit zu Bette geht:

So kunt' auch kein Schlaaff zerrinnen

daß ihr Bildnis/ das so süsse

sich nicht um mich merken liesse.


8.

Wie nu eine wahre Liebe

alles fürchtet/ scheuet/ denkkt/

so: erschien sie als bekränkkt/

ging sie traurig/ sach sie trübe:

ward mein ganzer Tag ein stähnen

untermischt mit Klag' und Trähnen.


9.

Ließ sie schiessen Freuden-blikke/

fiel das Wieder-Spiel mir ein.

Sie möcht' eines andern sein/

(meint' ich) stieß sie mich zurükke.

Ja/ ihr Küssen und umfassen

Legt' ich auß auff Zorn und Hassen.


10.

Und/ so ward mir alle Morgen

umgetrieben Muht und Geist/

was mir diß und das verheist

dreute Kummer/ Zweiffel/ Sorgen

biß der süsse Bohte kahme

der mich meiner Müh entnahme.
[84]

11.

Da ward ich der Angst entrissen/

meine Schöne war gesund/

ach! was täht sie mir nicht kund.

doch/ es ziemt nur uns zuwissen/

was sie mit entzükkter Süsse

mich verdekket wissen liesse.


12.

Wo es wahr ist/ was man saget/

daß ein weisses Paar der Schwan'

auff Olympus hoher Bahn

vor der Venus Wagen jaget

zog die Feder/ so diß schriebe

deren flügeln auß die Liebe.


13.

Amor hat sie selbst geschnitten/

Venus nacher erst gebraucht/

und in Nektar eingetaucht/

und die eine der gedritten/

Liebe/ Freundligkeit und Leben

ihrem Kiel' erbeigen geben.


14.

Nu du schönste Schrifft der Schönen/

deine Dinte soll allein

meiner Marter kühlung sein/

ja des Todes Gifft verhönen:

Dich/ und was die Musen schrieben

werd' ich/ weil ich lebe/ lieben.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 82-85.
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