[148] 1.
Du bist es/ edles Fühlen/
du schönster Sinn allein/
dehm aller Tichter Kielen
zu Dienste sollen sein/
und ihm ein Lobmahl sezzen
das nicht Gewalt noch Zeit/
noch Unfall kan verlezzen/
biß nach der Ewigkeit.
2.
Kommt her/ ihr Weißheit-Gründer/
ihr Priester der Natur/
kommt alle Föbus-Kinder/
wofern ihr nur der Spur
der Wahrheit/ nachzugehen
ein wenig seid gesinnt:
so sollt ihr mir gestehen
daß fühlen überwindt.
3.
Gesicht/ die Götter-Gabe/
so zwar unschäzbar ist/
bringt manchen zu dem Grabe/
der sich zusehr vergist
in einer Schönen blikken/
was ich nicht sehen kan/
das kan mich nicht bestrikken
noch sträfflich reizen an.
4.
Das hören bringt offt Schrekken
und schafft Uneinigkeit.[149]
Was Musik kan erwekken
währt eine kurze Zeit.
Ach! manche wird bethöret/
wenn sie der Rede Tohn
der Junggesellen höret/
und kömmt in Spott und Hohn.
5.
Geruch ist kaum zunennen/
sein Tuhn hat schlechten Dank.
Die Rosen-wind nicht kennen/
veriaget kein Gestank.
Ein Mensche kan wol leben/
und hätt' ihm nimmermehr
das Riechen Lust gegeben.
Bleibt Schmekken denn die Ehr.
6.
Dem Wollust-vollem Schmekken/
dem Lufft/ Fluht/ Erde dient/
dem Vogel junge hekken/
dem Wald und Wiese grünt/
umb den der Fischer leget
die falschen Reusen ein/
ists nicht/ der Beutel feget/
und heißt uns kranke sein.
7.
In Fühlen nur alleine
besteht der Sinnen Grund/
ohn diesen Leben keine.
Aug/ Ohren/ Nase/ Mund/
ergreiffen keine Sachen
die ihnen gegen stehn.
Was alle Sinnen machen/
muß erst durch den geschehn.
[150]
8.
Du aller Sinnen König
nimst gar die Seel' auch ein
der Leib ist dir zu wenig.
bedenkt den Kuß' allein/
da das besüßte Rühren
der Lippen mehr ergezzt/
als keiner von den vieren
uns in Vergnügung sezzt.
9.
Der Hände drukk/ das Reiben
an unsrer Liebsten Brust/
und was man nicht darff schreiben/
die wolbekannte Lust/
darum wir alle lieben/
Guht/ Leben wagen hin
in Kunst und Krieg' uns üben/
ist mehr als aller Sinn.
10.
Diß ist es/ Schaz Rosille/
daß ich so gern an dir
des Fühlens Werk erfülle.
Vergönn mir für und für
nur diß bey dir zu üben/
so wil ich nimmermehr
Geruch/ Schmakk/ Sehen/ lieben/
und hassen das Gehör.
Buchempfehlung
Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro