Siebender Absatz

[59] Beschreibet die Wiederkunfft Polyphili auf Soletten /durch Talypsidami / der ihm den Tod Philomathi verkündet: Lehret / daß dennoch Kunst- und Tugend-lieben den das Glück beförderlich seyn / und sie / nach vieler Widerwertigkeit / endlich begnaden müsse.


Ob nun wol die damalige Lust des Polyphili sehr groß / und unbeschreiblich / so vermochte doch die Furcht / wegen des erlittenen Angst-Traums so viel /daß / wann er an Philomathum gedachte / sein Hertz allmählig zu sincken anfieng / und seine Freudigkeit zu verlassen. Darzu ihm der zugegen erhobne Berg nicht weniger Ursach gab / in dessen begrünten Thal /er die Stätte kennen kondte / allwo sie das herrliche Gespräch gehalten / und von dannen er / durch die ungestümme Wellen; am meisten aber / durch seinen selbst-eigenen Vorwitz / sey weggeworffen worden. Doch dorffte hie die vergebliche Hoffnung sich gleichwol unterstehen / den Klagen Polyphili einigen nichtigen Trost beyzulegen / als ob er ehistens desselben / was er damals versäumet / ohne Verhindernus /weiter geniessen würde. Dieses nun / sonderlich aber das Gesicht Philomathi / veranlassete ihn darzu / daß er mit voller Begierd / und hefftigem Riß / auf die Insul Soletten zueilete / in willens / seinen Freund Philomathum anzutreffen / der ihm Gelegenheit würcken würde / die Solettische Göttin / die er stetig / in seinen Sinnen / vor ein Wunder der Welt ehrete / mit Augen zu sehen / und mit ehrenfreundlicher Höfligkeit zu begrüssen.[59]

Sein Vornehmen zu befördern / erbot sich die Insul selber / in dem sie eben damals ein Schiff wiederkommen hieß / welches sie in den beschifften Meer-Strom segeln lassen / um allerhand nötige und nutzbare Wahren einzuholen / weiln sich eben derselben Insul Groß-Fest herbey nahete / da man ein und anders gebrauchete. Dieses Schiff / so bald ers am Wasser herauf steigen sahe / und sich der Insul zu nähern / gab er von dem Ufer / mit einem flattrenden weissen Tuch /das Zeichen seines Begehrens. Der Schiff-Patron / ein freundlicher / bescheidener Mann / gab alsobald denen / die das Schiff bedienten / Befehl / auf einem kleinen Kahn ans Land zu stossen / und den Hülff-begehrenden herbey zu bringen: wie auch geschahe.

Polyphilus / so bald er des Schiff-Patrons ansichtig worden / legte seine gebührende Reverentz / mit schuldigem Danck ab / erzehlete auch / auf Begehren / was ihm bißher widerfahren / und wie er nun zum andernmal daher komme / und ein besser Glück hoffe. Der Schiff Patron / welcher von Natur ein schertzhaffter / lustiger Mann war / als er sahe / daß Polyphilus in vielen seines gleichen wäre / fieng erstlich an / ihn um Bekandtschafft anzusprechen / und richtete / nach beyderseits erkundigten Namen / Vatterland und Vorhaben / einen Eyd-befestigten Freundschaffts-Bund mit ihm auf / versprechend / daß er ihn nicht nur zum Philomatho wieder führen / sondern auch zu der Glückseeligkeit verhelffen wolle / die er zu erlangen / so viel Lebens-Gefahr ausgestanden; nemlich den Tugend-Preiß dieser Insul / und aller weiblichen Gaben Vollkommenheit zu sehen / auch wol gar mit ihr zu sprechen: wann nur das Glück gnädiger[60] denn vorhin / seine böse Tück nicht auch an sie legte. Wo aber das / sagte er / so will ich doch meinen Schiff-Leuten befehlen / daß sie nirgend schiffen sollen / als wo mirs / und dem Polyphilo gefällt. Das sagte er aber Schertz-weise / dann sie waren schon am Ufer / und wolten jetzo aussteigen: also war der unmüglichen Gefahr wol zu spotten.

Da sie nun beyde ausgestiegen / und Talypsidamus / (so war der Name des Schiff-Patrons) seinen Befehl gebührender massen ergehen lassen / und alles aufs sicherste verordnet / nötigte er Polyphilum / mit ihm nacher Hause zu gehen / allda um ein und anders weiter zu berathen. Polyphilus entschuldigte sich zwar zu erst / mit Vorwendung der grossen Unhöfflichkeit / die er in diesem Fall begehen würde: aber es mochte seine Entschuldigung vor dieses mal nicht statt finden / besondern er muste / auf instehende Bitt / folgen / weil er wol wuste / daß grosser Herren Bitt / mehrentheils einem Befehl ähnlich seyn. Auch that ers um desto lieber / weil er nunmehr sein unvergnügtes Verlangen zu stillen gedachte. Beyde wurden sie von denen Hauß-Bewohnern aufs höflichste empfangen. Talypsidamus von seiner Liebsten / nach der Lieben Gebrauch: Polyphilus aber nach Landes-Art.

Das erste und beste / so Polyphilus verrichten kundte / war / daß er / so viel ihm zu Gesichte kam /die übertreffliche Schönheit der hochgeführten Gebäu; die Wunder der künstlichen Natur; die geraume Plätz und kostbare Tempel; die fest aufgeworffene Thämme / und was dergleichen mehr / aufs fleissigste und genäueste betrachtete: alles / was er mit Augen sahe /verursachte seinem Hertzen viel Nachdenckens[61] und Wunder / so gar / daß er nicht anders schliessen kundte / als daß hie der alleredelste Ort des Lebens / und ein ergötzliches Wohl der tugend-begierigen Jugend /ja / eine reich-besetzte Tafel der mitteln Jahre müsse vorhanden seyn / auch sehr vermuthlich / daß / wenn an einem Ort der mühseligen Welt / eine Göttin zu leben erwählet / freylich dieser / vor allen zu erkiesen / würdig gewesen. Der einige Wunsch / welchen noch die Hoffnung küssete / war / daß er durch Hülff des Schiff-Patrons erstlich zum Philomatho kommen /hernach die Erden-Göttin grüssen / und nach gebührender Ehr bedienen möchte. Daher ihme alle unnötige Complementen / welche Talypsidamus mit ihm vornahm / alles Essen und Trincken / alle Lust-Bedienungen / ja! auch alle Reden zuwider waren / die nicht von seinem Verlangen zeugeten. Und weil Talypsidamus die Seiten etwas zu lang stimmete / und seine eilig versprochene Hülf / desto längsamer zu befördern scheinete / erkühnte sich Polyphilus / sein Hertzens-Gedancken ihm völlig zu eröffnen / wie er nicht ruhen könne / er habe sich dann / durch Erfüllung seines so lang geführren Verlangens / in eine angenehmere Ruh versetzet.

Das gefiel Talypsidamo nicht übel / derentwegen er ihn auf einen erhöhten Saal in das Ober-Hauß führete / allda mit ihm sicherer zu reden / wie er sein Vornehmen vollbringen könne: wolle auch / weil Philomathus ein verschlagener Kopff wäre / denselben hieher holen lassen / damit er sein Gutachten vernehmen / und zu seinem Besten anwenden könne.

Polyphilus gehet in den Saal: Talypsidamus befihlet / man soll Philomathum holen: wird aber von seiner Liebsten deßwegen höflich verlachet / welche[62] sagte: Ist mir dann müglich / einen Todten aus dem Grab zu ruffen?

Dessen erschrack der Schiff-Patron über die massen / und nach dem er die Art seines Todes verstanden / beförchtet er nicht mehr / als die Ungedult Polyphili / welcher sich über seinen so guten Freund hertzlich betrüben würde. Beschloß derowegen alsobald /ihm solches zu verhelen / verbot auch den Seinigen /nichts davon zu gedencken / biß es mit guter Gelegenheit geschehen köndte.

Indessen Talypsidamus dieses alles verrichtet / und etwas lang verweilet / nimmt Polyphilus erwünschte Gelegenheit / der beschönten Augen-Lust der künstlichen Gemähle / damit dieser Saal gezieret war / sich zu gebrauchen. Und weil er / sonderlich unter den Ovidianischen Lieb-Gedichten / viel befunde / die sattsam erweisen kondten / daß der Pinsel in allem der Feder nachfolge: Hinwiederum die / bey manchem Conterfey / künstlich gesetzte Verse nicht minder erwiesen / wie auch die Feder dem Pinsel alles nachmache: gedacht er bey sich selbsten; wie hätt ich eigentlicher verstehen können / was die Kunstberühmte Mahlerey; ja auch / was die Himmelwürdige Poesis sey? und wie viel diese von jener entschieden / als eben bey diesem Mahl-Werck / da ich ohne Trug sehen kan / daß das edle Mahlen sey die schweigende Poesis; und diese hinwieder sey ein redendes Gemähl und Bild / das da lebe.

Unter so vielen denckwürdigen Stücken aber /deren keines nicht sonderbahrer höchst-fleissiger Betrachtung werth war / leuchtete doch / vor allen / das holdselige und wunder-würdige Bildnüs / deren /davon wir bißher so offt gedacht / und / um welche zu erlangen[63] / der gute Polyphilus so viel erlitten. Die lieb-lächlende Gestalt derselben / die hocherhabene Stirn / die scham-rothe Wangen / der Purpur ihres Mundes / der Marmor des schlancken Halses / und die bräunlichte Augen; ja / welches das allermeiste / die sittsame Geberden / die aufgezogene Lefftzen / die leiß-geschlossene Augenlieder / die ziemende Falten des Mundes / und die keusch-lächlende Wangen; welche doch in dem Bild nicht anders / als nur in dem Bild / zu erkennen waren / verführeten das Hertz Polyphili der gestalt / daß er der Solettischen Göttin allerdings vergaß / und es vor ein blosse Unmüglichkeit hielt / daß auch aus der Himmel Schoß / eine vollkommenere / schönere und mehr bereicherte Tugend entspringen köndte / weil er ihm so nicht anders einbildete / es sey dieses ein Himmels-Kind. Und war das das aller elendeste / daß bey dieser Himmel-Dame nicht bezeichnet war / wer sie wäre: Vielleicht deßwegen / weil ihre gleichsam redende Gestalt gnugsam erwiese / daß sie etwas sonderliches auf dieser Welt seyn müste. Noch mochte Polyphilus / so klug er auch sonst war / nicht verstehen / daß eben diß die Abbildung der Solettischen Würde und Tugend-Göttin wäre; biß endlich Talypsidamus zu ihm kam / und folgender Gestalt zu reden anfieng:

Treu-verbundener Polyphile! die Pflicht / welche /theils mein abgelegter Eyd / theils meine Schuldigkeit / bey euch / und allen Kunst-werbenden Hertzen /erfordert / soll euch versichern / daß alle meine Vermögenheit / euch einig zu dienen / sich nicht wägern soll; und wolte ich von Hertzen wünschen / daß ich einige Gelegenheit schöpffen köndte / darinnen ich mein williges und dienstfertiges Hertz gegen Freunde[64] und Ausländische köndte sehen lassen: so würde ich mich bemühen / wofern die Schwere der Sachen nicht mein Vermögen erdrückte / daß der Will der Müglichkeit gemäß / alles zu ihren und euren Nutzen richtete. Ja! solt ich noch heute die güldene Zeit erleben /daß ich eurem Begehren ein Genügen thun / und euch befriedigen köndte / wolt ich diese Stund seelig / und diesen Tag herrlich preisen. Ihr wisset aber selber /kluger Polyphile! und habts allbereit offt erfahren /daß dem Menschen nicht allemal sey zugelassen /nach seinem Willen zu leben / oder nach seinem Wunsch zu handeln. Sintemal gar offt / wann wir meynen am festesten zu stehen / der Fall sich findet /und wann wir die Glücks-Rosen brechen wollen / die Stachel und Dornen des Unfalls dafür fühlen müssen. Was wollen wir uns dann / geliebter Polyphile! diesem allgemeinen Gesetz entziehen? Vielmehr wird uns dißfalls gebühren / die Unbeständigkeit des Kugel-runden Glücks / auch durch unsern Schaden zu erkennen / und auf Tugend / die da allein fest bestehet / bauen zu lernen. Sehet an / sprach Talypsidamus weiter / diese vor euren Augen hangende Gemähl / so viel ihr deren sehet / werdet ihr aller Orten den Wechsel menschlicher Dinge sehen / die bald eine Sonne erfreuet / bald wieder ein Ungewitter betrübet.

Polyphilus / dem diese Rede frembd vorkam / als die sich auf ihr Vorhaben gar nicht schicken wolte /konte sich länger nit enthalten; sondern fieng zum Talypsidamo solcher Gestalt an: Geehrter Herr! Die Ursach / welche mich durch so unzehlich viel Gefährlichkeit hat hieher geführet / ist eben das / daß ich auf Tugend bauen / und keinem leichtfallendem Glük[65] mehr trauen will. Weiln ich diß alles mit voller Genüge an mir selber / und leider! durch mehr als zu grossen Schaden / erfahren / was ihr mir an diesen Kunst-Gemählen erwiesen / und sonst überreden wollet. Darum verzeihet mir / geehrter Herr! daß ich von mir selber bekennen muß / ich sey in dem gelehrt genug / und begehr jetzt nicht mehr / als einige Mittel / mich mit der Tugend zu bewahren / von euch zu lernen / darum ich nochmalen / durch Himmels Vergeltung bitte / mir völligen Bericht / entweder von diesem hie zugegen leuchtenden Damen-Bild; (die ich glaube / daß sie selbst von der Tugend sey gebildet worden) oder von der Solettischen Göltin zu ertheilen / alsdann ich euch mein ferners Vornehmen / nach Begehren / öffnen will.

Dieses verlegte Talypsidamus mit folgender Rede: Kunst-verlangender Polyphile! ich sehe / daß ihr /wohin meine Rede zielet / nicht allerdings verstanden / wolt auch wünschen / daß ihrs nimmermehr verstehen solltet / weil das Verstehen bey euch ein hertzlich Betrüben verursachen wird. Nun / daß ich eurem Begehren ein sattsames Genügen thue / und euch endlich deren Sorg und Kümmernus / die euer Hertz so lang gefangen gehalten / entbinde / so wisset / Glück-bereichter Polyphile! daß dieses Bild / welches ihr billich von der Tugend selbst gebildet glaubet / sey eben diese unsere Tugend-Dame / die ihr die Solettische Göttin / wir aber Macarien nennen. Und daß ihr wisset / wie meine Gunst-Gewogenheit / euch in allen beförderlich zu seyn / sich sehr bemühe / so ist zwar nicht ohne / daß ich euch / sonder höchst-gefährliche Mühe / nicht zu ihr führen kan / weil sie ihr gantzes Thun der beliebten Einsamkeit ergeben /[66] und nichts /was ihr etwa eine Zerstörerin ihres Vornehmens werden könte / für Augen kommen läst: Doch / so fern ihr nur dero Tugend-Ruhm zu verwundern / und ihren Verstand zu erforschen / sie sprechen wollet / will ich mich eussersten bemühen / ob die nahe Verwandschafft / welche uns mit Freundes-Blut verbunden / so viel richten könne / daß sie euch in ihrem Zimmer / aber nicht anders / als einen Tugend-Wer ber / leiden und aufnehmen möchte.

Polyphilus / vor Freuden halb todt / neigte sich in tieffster Demut vor Talypsidamo / ergriff dessen Hände / küssete dieselbe hertzlich? weil er damals sein denckgeneigtes Gemüt nicht anders bezeugen konte; und preisete sich den / durch viel Unglück /Glückseligsten / und unzehlich Betrübnüs / Erfreutesten / auf dieser gantzen Welt; den Glückseligsten /als dem die unfehlbare Hoffnung sein endliches Verlangen erfüllen / und der / ach! der tausend-verlangten Macarien Glück-gesegneten Anblick verleihen werde: Den Erfreutesten aber / als welchen das Glück schon so hoch erhoben / daß er gewürdiget sey / mit dem in Verbündnüs sich einzulassen / der selbsten der Tugend Verwandter / und der Kunst-Göttin Bluts-Freund sich bekennete. Darum fiel er dem Schiff-Patron um den Hals / bat ihn flehentlich / sein Beförderer in dieser Tugend-Bahn zu seyn; legte auch die rechte Hand / als das Unterpfand des Glaubens / in seine lincke Seiten / unter das Hertz / und schwur ihm bey Treu und Glauben: hätte er einmal Philomathum geliebet / so solte er ihm vor viel tausend Philomathen stehen; Er allein solte seine Dienste beherrschen; Er allein solte sein Hertz in seiner Bothmässigkeit halten. So viel war Polyphilo an Kunst und Tugend gelegen.[67]

Talypsidamus / als er hörte / daß er ihn vor Philomathum erwählen wolte / dachte / jetzt die rechte Zeit zu seyn / desselben schmähligen Tod ihm anzusagen /deßwegen er ihm / auf vorhergehende Wort / diese Antwort gab: Jetzt will ich euch durch eure eigene Wort / entweder fällen / oder vor getreu erkennen. Ihr zeuget / daß ihr mich an statt Philomathi / und vor ihn / lieben wollet: Nun / so erweiset eure Wort im Werck / und vergesset feiner / wokt ihr mein Freund seyn. Dencket aber nicht / daß ich dieses aus feindseligem Hertzen / oder einigem Haß / sage / damit ich ihn etwa verfolge; ach nein! mein freund-gebührliches Mitleiden / theils seines Unglücks / theils eurer Betrübnüs halber machet mich so reden. Drum erschrecket nicht / betrübter Polyphile! daß ich euch verkünden muß: Philomathus / euer Hertzens-Freund / ist todt. Betrübet euch nicht zu sehr / daß ich sagen muß: Er ist durch die Spitze eines Mörders gefallen. Aengstiget eure Seele auch mit dem nicht zu hart / daß ich euch den Argwohn des gemeinen Pöbels hinterbringen muß: Philomathus ist um der Ubelthat willen / die er an Polyphilo erwiesen / elendiglich ermordet worden. Bedencket vielmehr das zum Trost / daß der wachhaltende Himmel und dessen Vorsorg / euch / an Philomathi statt / mich / einen gleich-vertrauten Freund gegeben / ja / der auch mehr euer Wolfahrt fördern mag / als eben Philomathus / durch alle seine Kräffte / verrichten können.

Polyphilus / dem zwar der Tod Philomathi sehr zu Hertzen gieng / und sonderlich deßwegen / daß er auf so grausame Weise / und solcher Ursachen halber /fallen sollen / die er mit nichten vor Warheit erkennen[68] / oder / wo dieselben herrühren möchten / mit seinen Sinnen ergründen köndte: gab sich doch leicht zu friden / weil er durch den Tod Philomathi nichts verlohren / sondern mehr gefunden; ja / weil er Philomathum / nicht seinet wegen / sondern die Macarien zu erhalten / geliebet / hatte er nicht sonderliche Ursachen / sich gar zu ängstiglich zu bekümmern. Doch würckete die Erinnerung des gehabten Traums / den er nunmehr erfüllet wuste / solche Traurigkeit / daß er sein hertzliches Betrüben mit mannigfaltiger Veränderung / und tiefgeholten Seuffzen zu erkennen gab; aber auf solche Art / daß man leicht vernehmen kunte / wo neue Freundschafft in einem Hertzen gestifftet / da vergesse man der alten. Welches er doch mit solcher Höfligkeit verblümen kunte / daß Talypsidamus glauben muste / es schmertzte ihn nichts / dann seine treue Dienste / die er ihm nun nicht wieder vergelten könte: sein Versprechen aber / das er Talypsidamo gethan / zwinge ihn fast so / daß er die Todten todt seyn lassen / der Lebenden aber stets-fertigster Diener seyn und bleiben müsse. Welche und dergleichen viel andere Reden mehr / das Hertz Talypsidami dermassen befeuerten / daß / wie Polyphilus in allem recht geredt / und sich gebührlich gehalten / er ihn je länger je mehr von Hertzen lieb gewann / und / seiner Befreundin Macarien zuzuführen / vor wol-würdig erkandte: auch alsobald um Urlaub bey derselben bitten ließ / daß er mit einem Tugend-begierigen guten Freund / ihre ruhige Einsamkeit zu verstören / sich unterfangen dörffte.

Das Wonhauß Macarie war etwas ferne / darum sich Polyphilus nidersetzte / und seine letzte[69] Treu zu bezeugen / auch sein schmertzliches Mitleiden zu klagen / folgende Leich-Ode auf den Tod Philomathi verfertigte / biß die Gesandtin wieder kam / und ihnen die Erlaubnus / bey Macarien zuzusprechen / ankündete.


Liebster / nach dem Liebsten / du /

O du meiner Freunde Seele!

wie kan ich / in meiner Ruh /

bleiben / weil die Toden-Höle /

mir unwissend / dich vergraben /

wie kan ich nun Freude haben?

Alles stirbet gleich mit dir /

was sonst hat mit mir gelebet;

Hertz und Sinn / und was in mir

meine Wonne sonst erhebet /

ist nun alles mit verdorben /

weil du bist / mein Freund! gestorben.

Ach gestorben? trauter Freund!

und um deines Freundes willen;

Den der Freund-verliebte Feind /

wollen rächen / und erfüllen /

was ich anders ihm vertrauet /

da er meinen Tod geschauet.

Aber wie? er weiß es nicht:

dennoch ist er drum zu loben /

hätt er nur das Rach-Gericht

nicht / mit Unrecht / aufgehoben:

müst ich rühmen seine Klingen /

die mir Hülffe wolte bringen.

Nun ist aber das versehn /

ohne Schuld bist du gestorben:

wie wird / Liebster! mir geschehn?

wird nicht / was ich hab erworben /[70]

alles / wie ein Wind / verwehen /

weil dir das / durch mich / geschehen?

So verdien ichs! meine Schuld

kan die Strafe nicht verhelen:

aber deine Gnad und Huld

wird mich loß und ledig zehlen;

weil du doch nicht kanst verderben /

ob du schon hast müssen sterben.

Dann was ist das Leben doch /

in dem nichts / als Sterben / lebet?

Nichts: und wär es etwas noch;

selbst der Tod / so vor uns schwebet /

wann wir unsre Augen-Lieder

öffnen / oder schlagen nieder.

Aber nun / nun bist du frey /

in dem Leben / ohne Sterben!

sag / wer dir zu gleichen sey /

der / wie du / nicht könn verderben:

dessen Leib nicht könne krancken /

dessen Freude nicht mehr wancken?

Alles ist hier Eitelkeit:

dort allein ist volle Gnüge /

dort die Freude / hie das Leid /

biß die letzte Todes-Züge /

mit dem Ende / deinem Leben

jenes Lebens Anfang geben.

Drum kanst du zu frieden seyn /

Liebster-bester meiner Freunde!

und das Klagen stellen ein

über mich und deine Feinde /

die / an dich / mich wollen rächen /

meine Noth / durch deine / brechen.

Ich auch selbst will trösten mich /[71]

und abtrücknen meine Zähren /

weil / was ich gesucht an dich /

GOtt / durch andre / wird gewähren /

die an deine Helffers-Stelle /

ich mir selbsten zugeselle.

Dieses noch nur thut mir weh /

dieses machet mich noch klagen:

daß ich forthin dich nicht seh /

noch dir schuldig Danck kan sagen;

daß ich den erwießnen Willen

nicht hinwieder kan erfüllen.

Aber glaube / meine Schuld

soll mit dir nicht seyn gestorben;

auch nicht deine Freundschaffts-Huld

soll bey mir seyn gantz verdorben:

ich will meinen Danck erweisen /

ewig deinen Ruhm zu preisen.

Nun / so ruhe / Seele! dort /

schlaff / entschlaffner Leib im Grabe /

dencke nicht an diesen Mord /

den ich dir verschuldet habe:

laß Polyphilum im Frieden

seyn von dir / mein Freund! entschieden.


Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 59-72.
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