Sechster Absatz

[403] Beschreibet den Schrecken Polyphili / den er über das unberitten-widerkehrende Pferd Agapisti eingenommen / und wie er zum Talypsidamo kommen: Ist eine Lehre / von der blinden Glücks-Neigung / welche auch die Tugend-suchende nicht selten begleitet.


Dieser verlangte seinen Agapistum zu sehen / deßwegen er folgendes Tages / da er seine Widerkunfft hoffete / fast alle Stunde / auf die Zinne des Schlosses sich erhebte / doch aber sein Verlangen nicht erwarten kunte / daher er in tausend-fache widrige Gedancken gerieth / und bald an Agapisti Treue / bald an Talypsidami Gunst / bald wieder an Macarien Gnade zweiffelte. Und mit dieser Furcht kümmerte er sein Hertz /biß in den dritten Tag / da er / in seinem Zimmer / die Unglückseligkeit seiner Liebe wehmütig beklagte /auch die Götter um mitleidige Erbarmung anflehete /als einer der[403] Hof-Diener / mit erhitztem Gang / ihm die Ankunfft Agapisti / den er an dem Pferd erkenne /ansagte: deßwegen Polyphilus fast erfreuet / doch heimlich erschröckt / ihm geschwind entgegen eilete /um zu vernehmen / was die Antwort seyn würde.

Ach! aber unglückseliger Polyphile! welche Angst wird dein Hertz klemmen / wann du nicht Agapistum / sondern einen fremden das Pferd wirst herzu bringen sehen. Polyphilus hoffete Freude / aber so bald er den Reuter vernahm / ersäuffete die zufallende Furcht sein Gemüth / mit tausend Betrübnus / welche um desto häuffiger vermehret wurden / als er erfuhr /daß dieser Reuter nichts von dem Ritter wisse. Die erhitzte Begierde Polyphili konte nicht warten / biß er völlig zu ihm kam / da er schon gefragt hatte / was Agapistus mache? dann es bethörete ihn die Hoffnung / als hätte Agapistus ihm gefallen lassen / bey Talypsidamo zu bleiben / und deßwegen diesen Botschaffter zu ruck gesendet / daß er ihm die Nachfolge verkündigen solte. Aber die erhitzte Frag / überkam eine kalte Antwort / weil der vermeynte Botschaffter /keinen Agapistum gesehen zu haben / sich bekandte.

Wer bist du denn / sprach Polyphilus / und wie kommst du zu dem Pferd? Ich bin / versetzte der Antworter / ein Bauer / aus dem nächsten Dorfs / und habe in dem Wald / da ich Holtz gehauet / diß Pferd /ohne Reuter und Zügel angetroffen / kan nicht wissen / woher es kommen / oder wohin es gehöret / doch hab ich wol gesehen / daß es müsse von nichts schlechtes herkommen / deßwegen ich selbiges daher bringen wollen / zu vernehmen / ob es nicht daher gehöre?[404]

Ach! du erschlagenes Hertz Polyphili / und / O ihr Leid-erweckende Wort! die ihr den armseligen Polyphilum / gleich einem Donner / danider schlaget! daß müglich wäre / die bethränte Wort Polyphili alle zu bezeichnen / und die rauchende Senfftzer zu zehlen /damit er den Tod Agapisti beklagte / so würde ein jeder / die Schmertzen / seiner inwendigen Angst /leicht ermessen können. Er konte nichts gewissers /als den Tod Agapisti schliessen. Darum fiel er dem Pferd um den Halß / und druckete dasselbe hertzlich /stellete sich auch / aus Zwang der grossen Schmertzen / als wolt er mit demselben reden / und fragen; wo es seinen Herrn gelassen: aber keiner mochte ihm antworten. Er druckete seinen Mund auf den Sattel / den Sitz zu küssen / welchen der getreue Agapistus innen gehabt. Ach! sprach er / von hinnen hat dich ja das mörderische Schwerdt / oder ein ander verdammt Gewehr / weggerissen. Ach! daß mich doch in meinem höchsten Unglück diß Glück beseeligen solte / daß meiner Hand die Rach zu üben unverwehret bliebe! Ach! daß ich den Blut-Hund sehen und bekommen solte / der dich / du treues Hertz! du liebes Hertz! du verlangtes Hertz! mir / mit solchem Grimm / entnommen / gewißlich solte meine Faust / diß Blut / an deinem Leibe / bezahlen.

Diß klägliche Beginnen Polyphili verursachete den anwesenden Diener / daß er der Melopharmis / die er wuste / daß sie ihm lieb war / diß eilig eröffnete / und ihn zu trösten / herunter zu kommen / ersuchete / welche ihn auch / mitten unter der Klag / antraff / und wiewohl sie sich hart hielt / dennoch durch die klägliche Geberden / des gar zu bitterlich weinenden Polyphili / dermassen bewogen worden / daß sie gleiche[405] Klage führete / biß sie endlich Polyphilum / solcher Gestalt / anredete: hoch-betrübter Polyphile! wer die treue Freundschafft und das Hertz-Verbündnus ansiebet / das euch / und eure Seufftzer dem Agapisto nachziehet / der muß freylich bekennen / daß euer Zähren nicht ohne Billichkeit fliessen / und eure Klagen / mit allem Recht / geführet werden. Was hilffts aber / mein Polyphile! daß ihr die tief-geschlagene Wunden eures Hertzens / immer mehr erweitert? könnet ihr ihn / mit eurer Klag-Stimme / wieder zuruck ruffen? Es ist doch alles vergebens. Drum trücknet eure Zähren / und vergesset des Jammers / der vielleicht euch ohne Noth drucket. Wisset ihr dann gewiß / daß er tod ist? kan ihm nicht sonst ein Unfall begegnet seyn / der ihn vom Pferd gesetzet / aber doch dabey nicht alsobald ertödet? Kan ihm nicht das Pferd entrissen seyn / da ers etwa an einen Strauch gebunden / welches mir / wegen des verlohrnen Zügels / gar glaubhafft vorkommet. Wer weiß / ob ihr ihn nicht heut sehet. Und solte ja der grimmige Tod ihn geraffet habn / ist ihm das wiederfahren / was wir insgesamt täglich zu er warten. Darum gebet euch zu frieden /geliebter Polyphile! und hütet euch / daß ihr durch euer all zu vieles Grämen / die bald beleidigte Götter nicht zu hoch erzürnet / und durch Bestraffung ihrer Ungnade / um diesen wenigen Verlust / eurer Macarien / nicht beraubet werdet. Hat auch / auf diese Art /der Zutritt / eurem verlangen / nicht können entschlossen werden / so glaubet mir / daß ich noch tausend Mittel habe / euch vielleicht auch morgen den schönen Händen / der hochverlangten Macarien / zu vertrauen.

Polyphilus konte leicht schliessen / daß diß ein[406] Trost / und nichts mehr sey deswegen er auch denselben keines Glaubens / noch einiger gewissen Hoffnung würdigte. Gleichwol aber wurde sein Hertz in etwas erleichtert / wie er den Namen der schönen Macarien nennen hörte / der jederzeit alle verdunckelte Sinnen / mit einem erfreulichen Liecht / erhellen / und die mächtigste Betrübnussen / mit seiner Anmuthigkeit / lindern und versüssen konte. Deßwegen gab er Befehl / daß das Pferd wohl in acht genommen / und fleissig versehen werde: dem Uberbringer aber /wurde / neben einer ansehligen Verehrung / gebührender Danck gesaget; und Polyphilus kehrete mit Melopharmis wieder in sein Zimmer.

Alsbald Polyphilus hinein kam / steurete er sich auf das Ruhe-Bett / vor grosser Müdigkeit / und schloß die Augen / daß er den Schlaf sehe: aber die Angst ließ ihn nicht ruhen / deßwegen er Melopharmis anflehete / daß sie bey ihm bleibe / und mit ihm von Agapisto rede; dann in seinem Andencken gedachte er eine heimliche Erquickung zu finden. Selbst auch Polyphilus gab alsobald Gelegenheit an die Hand / wie ihr doch düncke / wohin der Brief an Talypsidamum müsse kommen seyn? Was man gedencken werde /dafern ein fremdes Auge denselben lesen / und ein unwissendes Hertz dessen allen werde verständiget seyn? darauf Melopharmis antwortete; daß sie so gewiß sey / daß Agapistus denselben in keine andere Gewalt kommen lassen / als gewiß ihm die Treue und Aufrichtigkeit desselben bekannt sey. Wann ich nur /sprach Polyphilus / gewiß wissen solte / wo ihn das Pferd abgesetzt / oder wo er das Pferd verlassen /könte man ihn suchen / ob er vielleicht unter die Mörder gerathen / die ihn so hart verwundet[407] / daß er Krafftloß sich nicht wieder erheben können. Diß bekräfftigte Melopharmis / daß mans ohne dem thun könne / weil er / dem Zeugnus des Bauern nach / nicht weit von hinnen seyn müsse; und könne geschehen seyn / daß er auf der Ruck-Reise begriffen / den Brief schon an gehörigen Ort gebracht. Deßwegen sie beyde behend aufstunden / und die Königin / welche über dieser betrübten Post / mit ihrem gantzen Hof-Staat /nicht wenig bekümmert wurde / um Curirer ansprachen / die den Entleibten suchen möchten.

Ein jeder erbot sich willig und schuldig / und wolte einer vor dem andern den Ruhm verdienen / daß er mit dem Fund Agapisti dem Polyphilo Freud erwecke. Daher setzten sich alle die junge Edelleut / so zu Hof waren / auf ihre Roß / und ritten je zwey / den Wald durch und durch / so ferne / daß sie biß auf die Gräntze / der Insul Soletten / gelangeten / aber nichts funden.

Da die nun etzliche Tage vergeblich gesuchet / traff endlich das Glück zweyen / deren einer Aphetus / der andere Gennadas benamet / daß sie an den Ort geriethen / allwo Agapistus / den einen Mörder ins Wasser gestossen / den andern aber / mit dem Schwerdt / erwürget: dessen Leichnam Talypsidamus / in seinem Blut / liegen lassen / und nicht verscharret / vielleicht / verdienten Lohn nach / denen Raben zur Speise. Aphetus war der erste / der ihn sahe / und so bald er dessen gewahr wurde / gedachte er / es wäre Agapistus / deßwegen er hochbetrübt an#eng: Ach! ich Unseeliger! soll ich mit dem grossen Unglück beglücket werden / Agapisti Tod Polyphilo zu verkünden? soll ich dich / edler Ritter! hie in[408] deinem Blut antreffen? mit diesen Worten ritten sie etwas geschwinder und näher hinzu. Die Kleidung gleichete sich nicht der Rüstung Agapisti / daher sie zum ersten zweiffelten: doch zeugete der ertödete Cörper / und die Blut-besprengte Erde / daß daselbsten ein Würgen geschehen sey: daher Gennadas / welcher behertzter war / vom Pferd herunter stieg / und den todten Cörper auf den Rucken umwandte / weil er auf das Gesicht gelegt war / um etwa aus demselben zu erkennen / wer er wäre. Allein der scharff-geführte Streich / so das gantze Haupt zerspalten / ließ keine Erkantnus zu / ohne daß sie / aus dem erwachsenen Bart / leicht ermessen konten / es müste dieses ein anderer / und nicht Agapistus seyn.

Aphetus schloß aus dem Ansehen der Kleidung die rechte Warheit / und muthmassete / daß dieser / welchen er für einen Mörder hielt / vom Agapisto / durch die Nohtwehr / sey erleget worden / nicht wissend /wie es ihm hernach ergangen. Vielleicht / stimmete Gennadas darzu / sind ihrer mehr gewesen / die hernach den edlen Ritter umbracht: dem Aphetus widerlegte / wann das geschehen / würden sie das Pferd nicht aus Handen gelassen haben / welches ihre grösseste Beute würde gewesen seyn.

Indem sie aber in solcher Ungewißheit kämpffeten /und ein jeder seine Meynung vor gültiger wolt gehalten haben: siehe! da kommt Talypsidamus / mit seinem Schiff / von der Höhe / wieder zu ruck gefahren /weil ihn das Verlangen / zu wissen / wie es um Agapistum stehe / nicht längern Verzug gestattete. Aphetus und Gennadas sehen der Schiffart zu / und tretten /um solche eigentlicher zu betrachten / näher zum Ufer / so gar / daß Talypsidamus sie von[409] ferne ersahe / und sich alsbald erinnerte des Orts / wo er den fremden Ritter zum ersten / als seinen Erretter gesehen. Machte ihm derowegen die gewisse Einbildung /er werde unter denen seyn / die ihm so sehnlich nachsehen. Darum er Befehl gab / die Segel zu wenden /und auf sie zu fahren. Da er nun näher hinzu kam /und erkannte / daß Agapistus nicht darunter sey / wolt er vorbey fahren: allein Gennadas ruffete mit freundlichem Bucken / und höflicher Reverentz dem Schiff-Patron / um ein einiges zu fragen. Talypsidamus dorffte / Krafft seiner Bescheidenheit / dem Bittenden solches nicht versagen; viewohl er doch nicht recht trauete / weil ihm sonderlich der Ort verdächtig vorkam / daß er beförchtete / es möchten auch diese nichts gutes würcken: darum er nicht gar ans Land stossen / sondern das Schiff so ferne stehen ließ / als die Hin- und Wider-Rede leiden mochte.

Gennadas bat zu erst um günstige Verzeihung / daß er den Lauf des eilenden Schiffs / durch sein unhöfliches Begehren / hätte hindern dörffen: erwähnte dabey die Ursach / was ihn darzu verleitet / nemlich / sprach er / dieser ertödtete Cörper / den wir allhier angetroffen / unwissend / wer er ist / oder wie er zu Fall kommen. Zwar / fieng er ferner an / sind wir ausgeschickt von Polyphilo / unserem Erretter / Agapistum / seinen geliebten Freund / zu suchen / den er an Talypsidamum / einen Einwohner der Solettischen Insul / mit einer Schrifft / abgefertiget: an dessen Statt ein blosses Pferd / ohne Zügel / zu ruck kommen; aber Agapistum / den edlen Ritter dahinden gelassen / daß wir nicht wissen / wo er hinkommen / und wiees ihm gehe. Nun sind wir zu erst[410] erschrocken / da wir diesen Cörper / in der Ferne gesehen / vermeynende / es wäre der Leib Agapisti; aber so zeugen die Kleider / und seine Gestalt viel ein widerigers. Und ob wir schliessen könten / weil wir uns Agapistum nicht anderst /als gestorben einbilden / es sey dieser / welcher /allem Ansehen nach / sich einem Mörder gleichet /durch das Schwert Agapisti gefallen / indem er etwa seinen Tod gesuchet / so heisset uns doch die Ungewißheit / in zweiffelhafften Dingen / nichts gewisses schliessen: Daher wir veranlasset worden / euch /Hochgeehrter Herr! in eurer Fahrt zu hindern / ob wir etwa einige Gewißheit / durch euren Bericht / erhalten könten / weil wir nicht zweiffeln / ihr werdet eure Schiff / täglich / durch diese Wasser / segeln lassen.

Kaum konte Talypsidamus vor hertzlicher Freude erwarten / daß sich das Schiff anlendete / und wäre er / wann es müglich gewesen / alsobald auf das erste Wort / über das Wasser geflogen / so verlangte ihm mit den Fremden / die er auch vor Ritter ehrete / ferner Gespräch zu halten. Doch antwortete er kein Wort / sondern gab Befehl / das Schiff alsobald ans Ufer zu führen. Da er nun ausgetretten war / buckete er sich / in tieffer Demut / gegen die beyde / mit wiederholter Frag / ob er ihren Worten gewissen Glauben geben dörffe? Und da er das Ja-Wort / mit einer Betheurung / erhielt / fiel er ihnen beyden um den Halß /hertzete und küssete sie / als die Freunde / seines Freundes Polyphili. Diese erschracken über die Freundlichkeit / und die Thränen / so aus den Augen Talypsidami drungen / führeten sie in die höchste Verwunderung / daß sie nichts zu antworten wusten. Talypsidamus aber / der einen nach dem andern[411] umhalsete / widerholte zum öfftern die verlangte Frag: lebet Polyphilus? und empfieng allemal die erfreuliche Antwort: ja / Polyphilus lebet. Er fuhr weiter fort: hat er diesen Ritter / den ihr Agapistum nennet / zum Talypsidamo geschickt? das ihm mit gleicher Einstimmung bekräfftiget wurde. Hat er / der Liebste aller Lieben / fieng er weiter an / hat der Getreue / der lebende; O herrliches Wort! der lebende Polyphilus /an Talypsidamum geschrieben? Und da er auch auf diß das Ja-Wort erhielt / fieng er an: Ach! so flehe ich euch / durch aller Götter Gnad / und durch das Leben Polyphili selber / daß ihr mich hin zu ihm führet / daß er von mir erfahre / was ihr zu forschen ausgesendet worden / nemlich / daß Agapistus / der Freund Polyphili lebe. Eilet und saget ihm an / daß ich komme /und vom Agapisto völligen Bericht ertheilen werde.

Wer war fröher / als Aphetus und Gennadas; sie hätten gewünschet / daß sie zur Stund bey Polyphilo hätten seyn können / und die Herrlichkeit der erworbenen Freude eröffnen. Aller Verzug war ihnen zuwider / darum Talypsidamus sein Schiff heimfahren hieß / Aphetus aber sein Pferd / dem Talypsidamo darreichete / und sich hinter Gennadas aufsetzete: welches wiewohl Talypsidamus nicht annehmen wollte / dennoch endlich / um die Verhindernus zu hindern / das Verlangen nach Polyphilo / der sonst-geziemenden Höfflichkeit vorsetzete. Unter Wegens schlug sich sonderlich Gennadas / mit allerhand Gedancken /und kam nicht unbillich auf den Sinn / als wäre diß Talypsidamus; welches er daher schliessen wollte /daß er so fleissig nach demselben gefraget: dorffte sich aber nicht erkühnen / die Warheit[412] von ihm zu erforschen. Er hingegen Talypsidamus fragte / wo dann Polyphilus lebte / wie er lebte / und wie lang er bey ihnen sey: auf welches alles er völligen Bericht erhielt / so gar / daß er die Zeit seiner Ersäuffung / dieser nicht unrecht gleichete / die die Ankunfft / durch ihrer Zeugnus / bewährete.

Unter währendem Gespräch / kamen sie biß zum Schloß. Gennadas schrie alsbald der Wacht zu: Agapistus lebet / die darob sehr erfreuet wurde: Talypsidamum aber führete Aphetus / biß vor das Zimmer /darinnen Polyphilus / mit schmertzlichen Worten /seine betrübte Zeit zubrachte: Und da Aphetus sehr eilete / die Freude zu verkünden / daß es das Ansehen hatte / als wolte er dem Gennadas vorkommen / traf diesen der Eyfer / daß er ihn mit erhobener Stimm /den Stillstand gebot / wolte er sein Freund seyn. Ein jeder wolte den Danck verdienen / und die Freude dem Polyphilo verkünden: Darum sie nach gebührender Anmeldung / beyde zugleich anfiengen: Freude dem Polyphilo / und unserm gantzen Hause! Agapistus lebet / und ist nicht todt.

Alles Leid Polyphili fiel auf einmal hin / und alle Klagen hatten ein Ende / so gar / daß Polyphilus vor grosser Begierde anfieng / ob dann Agapistus komme? dagegen Gennadas versetzte: Nein / edler Polyphile! er wird aber mit ehistem kommen. Polyphilus fuhr weiter fort: Habt ihr ihn gesehen? Oder woher seyd ihr seines Lebens kündig worden? Darauf Aphetus antwortete: Wir haben ihn zwar nicht gesehen; aber die Gewißheit haben wir von einem Schiffmann / der uns am Ufer begegnet / und nach erkundigtem unserm Werben / die gewisse Verstzrechung dermassen bevestiget / daß er selbsten mündlich[413] mit Polyphilo / den er seinen getreuen Freund genennet /zu sprechen begehrt: deßwegen ich ihn auf mein Pferd gehoben / und daher bracht habe. Gefällt es nun euch / edler Polyphile! ihn eurer Rede zu würdigen /wartet er dessen vor der Thür / bereit von allen / was Agapisto zu Handen gestossen / ausführlichen Bericht zu geben / welchen er uns bißher verhalten.

Polyphilum trieb die Begierde / den fremden Gast zu sehen / den er alsbald vor einen des Talypsidami Schiff-Bedienten hielt / zum Zimmer hinaus; und da er die Thür öffnete / fiel ihm die Gegenwart / des so verlangten Hertz-Vertrauten Talypsidami zugleich in die Augen und das Hertz / so gar / daß er sein selbsten vergessend / mit vollem Lauf auf ihn zueilete /und mit hertzlichem Froh empfieng. Die Unaussprechlichkeit der Freude schloß den Mund / und öffnete das Hertz / welches sich / durch die heisse Thränen-Bäche / so häuffig ergoß / daß die benetzte Wangen Polyphili / auch das Antlitz Talypsidami bewässerten / durch beyderseits Freud-erweckendes Hertzen und Umfangen. Sie lagen einander an der Brust / und die Arm umschrancketen die Leiber / welche sie so hart zusammen drucketen / daß es scheinte / als wolten sie aus zweyen eins machen. Beyde waren sie erstummet / und konte keins dem andern ein Wort zureden / so gar hatte sie die hertzliche und unvermuthete Freude entzucket. Der Kuß muste dißmal das Beste thun / und die tief-geholte Seufftzer musten die Gedancken des Hertzens erklären. Bald verliessen sie einander / als wolten sie reden: aber so bald die Augen Polyphili Talypsidamum bestralten / und Talypsidamus hinwieder[414] Polyphilum ansahe / fielen sie einander aufs neue an / biß sie / im höchsten Grad /der tausend-verzuckerten Süssigkeit / gleich als erstarret / gegeneinander stunden / und die Hertzen /durch das seuffzende ächtzen / reden liessen / da der Mund nicht Wort gnug finden konte.

Wäre es doch müglich / die Tausendfaltigkeit / der Wunder-gebährenden Freud / dieser beyder vertrauten Freunde / ja mehr dann Freunde / auszusprechen / gewißlich würde diß gantze Buch die Beschreibung nicht fassen können / und meine Feder drüber stumpff werden. Wer sie in seinem Hertzen heimlich bey sich forschen will / der kan / etzlicher Massen / die Unergründlichkeit erkennen / wann er zu ruck gehet / und beyder Verlangen ansiehet / welches das Hertz Polyphili / mit der Begierde / Talypsidamum zu sehen; und wiederum diesen / gegen jenen entzündet. Denn so wird er leicht erkennen / daß diese Freud / sey die Erfüllung des schmertzlichen Begehrens / und zugleich eine Unterdrückung alles Kummers / aller Furcht / so gar / daß Polyphilus / samt Talypsidamo /nun die Freude selbsten ist.

Die Anwesende beyde von Adel konten sich über den unverhofften Fall / und allzugrosse Liebe / nicht gnug verwundern / daher sie auch bald diesen / bald jenen; ja sich selbsten untereinander ansahen. Sie wünscheten nicht mehr / als daß sie nur ein Wort hören möchten / wer der Fremde wäre: allein die Zunge lag in den Ketten der Vergnügung gefangen /und der Mund wuste nicht Wort gnug zu bilden / die die Unaussprechlichkeit dieser herrlichen Befriedigung erzehle. Da sie nun eine zimliche Weile einander umfangen hielten / und das Hertz allmählich zu ruhen[415] anfieng: selbst auch die aufgedruckte Lefftzen ermüdet; die angesetzte Wangen beröhtet; die geschlossene Händ ohnkräfftig und laß wurden: ja! alle inwendige Krafft / durch die hefftige Entzündung /ihrer Liebe sich verlieren wolte: fieng endlich der gantz-erfreute Polyphilus / mehr aber / wegen des beygefügten Seufftzers / mit dem Hertzen / als dem Mund / diese gebrochene Wort an zu reden: Ach! Ach Talypsidame! Ach du treues Hertz! Ach du schönes Hertz! Ach! allerliebster Talypsidame! deßgleichen that Talypsidamus auch gegen Polyphilo.

Aphetus war der erste / der den Namen Talypsidami nennen hörete / daher er verursachet wurde / weil nun gewiß war / daß diß Talypsidamus seyn müsse /die Melopharmis daher zu führen / damit auch die /der unerschöpfften Freud mit geniesse. Gennadas aber wolte diesen Dienst / mit der Königin Danck / ihm vergelten lassen; deßwegen jener zu Melopharmis; dieser aber zu Atychintida eilete / und die Gegenwart Talypsidami / mit allem dem / was sie gesehen und erfahren / verkündigten.

Da nun Polyphilus mit Talypsidamo allein war /fieng dieser an: Ach Polyphile! mein Freund! wie hat uns das Wunder-würckende Glück / durch so viel Unglück / erfreuen wollen? Meine Seele ist genesen /nun sie Polyphilum siehet / und mein Hertz ist voll alles Guten / nun ich dich / du mein ander Hertz! lebend weiß. Sag mir nun / mein Freund! was hat dein Leben erhalten? hast du dich ersäuffet / daß du lebest? O ihr wunderthätige Götter! wie habt ihr mich / durch eine vergebliche Furcht / in solchen Schrecken gesetzt? daß ich Polyphilum / den[416] Liebsten meiner Lieben; Polyphilum / den Getreuesten meiner Getreuen /vor todt gehalten / der da lebet. Leber? ja! so sehe ich. Ey so freue dich / du erschrockenes Hertz Talypsidami! und verjage die Traurigkeit der furchtsamen Einbildung / mit der freuderweckenden Gewißheit / aus deinem betrübten Hertzen: löse auf das Gefängnus /der kümmerlichen Gedancken / und laß deine Sinne /in der Sicherheit / der ergötzenden Freude / wandeln. Dann weil Polyphilus lebt / so ist aller Kummer todt; so lebet alle Freud. Und in diesen Worten umfieng er noch einmal / mit küssendem Munde / die Wangen Polyphili: Polyphilus hingegen beklagte / daß er die unermessene Freud nicht aussprechen könne / die ihm seine Gegenwart erwecket. Ach! sagte er / daß ich doch die Herrlichkeit / meines erlangten Trosts / so völlig durch den Mund ausschütten könte / als mächtig sie in meinem Hertzen ihren Glantz ausbreitet. Talypsidame! mein Freund! mein Trost! Ach Talypsidame! werde ich nicht den verschlossenen Schatz meiner Vollkommenheit / ja die Vollkommenheit meines Trostes nennen / wann ich das theure Hertz Talypsidami nenne? Der Verlust eurer Gegenwart war das Verderben meines Trosts / und der Untergang meines Glücks: nun ich aber euch sehe / aller-verlangtester Talypsidame! nun stehet Trost und Glück in froher Blüht. Ey so sey dir Danck / du günstiges Glück! und ihr gnädige Götter! seyd von Hertzen gepriesen. Jetzt erst muß ich erkennen / daß das viel-grosse Unglück /so ich Zeit her erlitten / durch seine Widerwertigkeit /mir die Bahn / zu grösserm Glück / bereitet. Wie hättet ihr mich einmal so hoch erfreuen können / wann ich nicht zu[417] erst gleich so viel betrübet worden. Aber nun / nun dancke ich eurer Güte / und eure Gnade will ich rühmen / so lang mein Hertz mit dem Hertzen Talypsidami verbunden bleibet / das ist / ewiglich.

Unter dieser Rede / trat Melopharmis herzu / deren Gegenwart / die geschlossene Hände Poliphili und Talypsidami trennete / und da sie / mit grosser Höflichkeit / den fremden Gast empfangen / und die Bezeugung ihrer Freude / mit vielen Worten / bekräfftiget / fieng Polyphilus mit erhabner Stimm an: Diß ist Talypsidamus / nach dem ich mich so hefftig gesehnet. Weil aber Melopharmis die ankommende Königin beförchtete / daß sie ihr Gespräch verhindern werde / und sie / nach dem / nicht so gute Gelegenheit / von Macarien zu reden / hoffen dörffte / fieng sie an: Liebste Freunde! verderbet die Zeit nicht / so euch der Himmel zu geheimen Sachen vergönnet / mit unnötigen Worten / die ihr auch / in anderer Beyseyn /wechseln könnet. Es wird unsre Gesellschafft durch die Gegenwart Atychintidœ bald zerstöret / und das Gespräch / darauf alle Freude Polyphili gegründet ist /verhindert werden. Darum lasset das die erste Frag seyn: Was machet die schöne Macarie? wie lebt sie? dencket sie ihres getreuen Polyphili? noch wie helffen wir dem Polyphilo wieder zu ihr? Und durch was Mittel kan seine Reise befördert werden? kan er auch /vor dem Grimm der Solettischen Inwohner / sicher hin und her kommen? dann diß ist Noth zu berathen.

Polyphilus stimmete der Rede / durch die gleichwinckende Augen / gar leichtlich bey: daß Talypsidamus auch seines Hertzens Begierde nicht übel vernehmen konte: deßwegen er / beyden zu Willen /[418] folgenden Bericht ertheilte: Die schöne Macarie lebt; und lebt in dem Verlangen nach Polyphilo; welches sie stets Dencken machet an Polyphilum: darum beyden wird geholfsen seyn / wann Polyphilus mit mir auf Soletten zureiset / von deren Innwohner Grimm er sich nicht zu beförchten.

Die Ankunfft der Königin machte Talypsidamum so kurtz antworten / weil er die bedrangte Noth Polyphili erkennete / daß ihr nicht ehe abzuhelffen: wie dann auch Polyphilus / durch diese wenige Reden /mehr getröstet wurde / als wann ihm Melopharmis ein gantz Buch voll / von Hoffnung und Zufriedenheit /vorgeschrieben hätte. Sie stelleten sich nunmehr / die Königin zu empfangen / und nahm Talypsidamus Gelegenheit / nach Landes Art / derselben Hände zu küssen. Da er aber / mit vielen Worten / seine Ankunfft entschuldigen / und die Ursach / mit einer höflichen Demut versetzen wolte / so / daß die Königin ihr Verlangen nicht länger bergen konte / fiel sie ihm / mit diesen Worten / in die Rede: Edler Herr! eure Gegenwart / die uns billich an und vor sich selbst hoch erfreuet / ist uns gleichwol wegen des Verlangens Polyphili / nicht minder auch der Erkundigung / wie es dem edlen Ritter Agapisto ergangen / um desto mehr erfreuter / daß wir euch nicht als einen Unbekandten und Fremden; besondern gleich einem werthen und angenehmen Freund aufnehmen / auch wünschen / mit der Vermögenheit begütert zu seyn / daß wir euch / so viel wir schuldig / dienen und ehren können. Habt ihr demnach keine Ursach / weder einige Unhöflichkeit zu beschönen / noch um gnädige Vergebung / eurer Künheit / zu werben. Da ihr aber eurer ruhmwürdigen[419] Höflichkeit / in diesem Fall / etwas zugeben wollet /und die sonst-gewohnte Bedingung eures vermeinten Verbrechens mit einiger Entschuldigung abgleichen /so nehmet / bitte ich / die Ursach deren / von der Erzehlung / wie ihr wisset / das Agapisto geschehen /und vergewissert uns / ob er lebe: so werdet ihr uns allen / mit Erweckung höchster Freud / einen angenehmen Dienst thun / welchen ich mit gnädigem Willen / Polyphilus / mit fertiger Gunst / und diese andere / mit schuldiger Aufwartung / nach Müglichkeit /erwidern werden.

Talypsidamus war so fertig / als willig: Polyphilus aber / der leicht sahe / daß sichs nicht schicken werde / wann die Königin so lang im Vorgemach stehen solle / hieß ihn noch eine Weile ruhen / und nötigte die Königin / mit gebührender Demut / sein Zimmer zu würdigen / und allda einen Sitz zu nehmen /um desto füglicher mit Talypsidamo zu sprechen /weil auch / ohne das / Talypsidamus / von der Reise /würde ermüdet seyn. Aber Atychintida antwortete: Mein Polyphile! ihr wisset wohl / daß ich euer Zimmer gern besuche / allein vor dißmal werde ich eurem Begehren nicht willfahren können / daß die Zeit / so uns zur Tafel fordert / allbereit vorhanden: so halt ich für gut / fieng Melopharmis an / daß wirs gar versparen / biß dahin / weil wir uns / die weil / mit dem Wort trösten können / daß wir gewiß sind / er lebe.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 403-420.
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