Zwölffter Absatz

[624] Beschreibet die selbste Besuchung der Macarien /von Polyphilo geschehen /[624] und was sich darinnen begeben / auch wie sie / nach dem / einander zuschreiben: Ist ein Beweiß / der unvergnüglichen Begierde / menschlichen Verlangens / welches von Tugend-Liebe entzündet ist.


Diese Gedancken führeten ihn biß zum Thor / da er Servetum / seinen Diener / ihm entgegen lauffen sahe / zu verkündigen / daß Agapistus und die andere junge von Adel / Urlaub überkommen / gen Soletten zu reiten / weil die Sonne einen so schönen Tag zeigete / deßwegen sie ihn zum Führer begehrten / wann er verlange mitzureiten. Aber das hätte man nicht fragen dörffen; laß mir mein Pferd satteln; das war die erste Antwort / und nahm er ihm kaum die Weile / daß er sich ritterlich anlegte. Sie setzten sich zu Pferde / und kamen / in unglaublicher Geschwindigkeit / wohin sie wolten / und weil sichs nicht schickete / daß sie / in so grosser Meng / Talypsidamo zusprachen / auch die Gesellschafft nicht gern theileten / kehreten sie bey einem fremden Wirth ein / welcher gerad / gegen der Behausung Macarien über / wohnete / in solcher Nähe / daß Polyphilus Macarien / durchs Fenster /sehen und erkennen konte.

Die Begierde / so Polyphilum mehr auf Soletten trug / als sein Pferd / lässet nicht zu / daß wir sagen /was er / bey dieser unvermutheten Gelegenheit / Macarien zu sehen / muß gedacht haben: sein Hertz war voller Freuden / die aber / nach dem / bald verbittert wurden. Dann ob gleich Polyphilus vorher dachte / er hätte genug / wann er nur seine Augen / in ihrer Gegenwart / weiden könte / erfuhr er[625] doch / daß die übrige Sinne nicht weniger begierig waren / zumaln / da sie unvergnügt bleiben solten / und den Augen allein ihre Befriedigung überlassen. Er empfand die verliebte Thorheit / in seinem Hertzen / dergestalt / daß er gewünschet hätte / Macarien lieber gar nicht / als unbesprochen / zu sehen. Aber es halff alles nichts / er muste / vor dißmal / leiden. Ach betrübtes / ach schweres Leiden! kaum war Polyphilus mit seiner Gesellschafft abgestiegen / da er sich mit Agapisto in das Fenster legte / welches gegen das Hauß der schönen Macarien / gerichtet war: aber Macarie ließ sich nicht sehen. Und weil Agapistus erinnerte / vielleicht scheue Macarie seine Gesellschafft / deßwegen er vor das ander Fenster trat / siehe! da ersiehet er Macarien / an der andern Seiten / herauf wandeln / deßwegen er Polyphilum behend zu sich rufft. Was fehlet /daß Polyphilus / durch den ersten Anblick seiner Macarien nicht vor Freuden entzucket wird? Warlich nicht viel. Die Verwunderung ihrer Trefflichkeit erfüllete seine Sinnen / mit solcher Verwirrung / daß er nicht gnug sehen / nicht gnug hören / nicht gnug dencken konte. Die Zucht und Höflichkeit scheinete selber auf der Gassen zu gehen: so bescheiden war der Gang / in ihren Schuhen / so höflich die Bewegung des gantzen Leibs / so züchtig die untergeschlagene Augen / daß sie sich auch nicht erkühneten / dahin zu schauen / wo sie doch ihre Lust und Herberg wusten. Dennoch beobachtete Polyphilus samt Agapisto / ihre gebührende Schuld / und verehreten den Fürgang /mit entblößtem Haupt / ob die schöne Macarie solches gleich nicht gewahr nahm: Vielleicht / weil sie wusten / daß / wann das Auge die Würde derselben[626] ersehe / müsse der gantze Leib schon bereit stehen /seine Bedienung abzulegen.

So bald Macarie in ihr Zimmer kam / eröffnete sie ein Fenster desselben / durch welches sie Polyphilum / Polyphilus sie hinwieder grüssete. Die verliebte Blicke / so sie hin und wieder schickten / solte eins gezehlet haben / hätte er eben gnug zu thun gehabt: mehr aber der / welcher die Seufftzer Polyphili aufzeichnen sollen. Er lag an dem Fenster / und verruckte seine Augen nicht / von der Bestrahlung Macarien /ließ sich auch nichts hindern / wiewohl ihm die Gesellschafft allerhand Kurtzweil anbot: biß Agapistus /der das Gefängnus seiner Sinnen sahe / einen / ausser den andern / heimlich erinnerte / daß er Polyphilo ein Glaß / in Gesundheit seiner Liebsten / zubringen solte. Und wie Agapistus sehr schertzhafft war / ließ er ein hohes und schönes Glaß bringen / und brachte alsobald / auf das erste / die Gesundheit Macarien /Polyphilo zu / doch den andern unvermerckt. Auf andere Art war Polyphilus nicht zu gewinnen / und glaube ich / er wäre / ohne einigen Trunck / wieder weg geritten / wann er nicht die Gesundheit seiner Macarien / allem ihrem Zwang und Bedienung vorgezogen: Deßwegen er die beyden Gläser annahm / und nachgesetzte Wort / nicht ohne wohlgefälligem Schertz /denen Anwesenden zu vernehmen gab:


Man zwingt mich / da ichs doch so hertzlich gerne thu /

zu Ehren meinem Sch atz ein Gläßgen auszutrincken:

Ach! könnt ich / wie ich wolt / dir unvermercket wincken /

ich brächt es / glaube mir / dir selber jetzo zu:

Du thätest mir Bescheid: ich trincks in einem nu /

biß auf den Grund heraus / und ließ es wieder füllen /

und geb es / Schätzgen! dir. Da könnt / da wolt ich stillen /[627]

was mich bißher beschwert; du gebest mir die Ruh

hinwieder / daß ich könnt an deinen Wangen büssen

die lang-verlangte Lust / und ohne End geniessen /

weß ich jetzt leer muß gehn: die Hände trückten mich /

und der Corallne Mund mit lächlenden Geberden

könnt mir / nach meinen Wunsch / zum süssen Nectar werden /

den ich mit Freuden kost / nun aber änderts sich /

weil du nicht bey mir bist; ich trincke nun alleine

Gesundheit deiner / doch gedenck ich an die meine.


Alle fiengen sie an darüber zu lachen. Ein anderer aber nahm daher Gelegenheit / Gesundheit der Seinen zu trincken / deme so viel folgten / daß sie sämtliche wohl berauschet wurden / ohne Polyphilum / der seine Zeit mehr / in dem Gedächtnus der Macarien / als mit Trincken zubrachte: biß die ankommende Abend-röthe / sie wieder scheiden hieß. Sie sassen alle zu Pferd / da Polyphilus noch am Fenster lag / welcher /damit er von Macarien desto unvermerckter und bequemer Abschied nehmen kunte / hieß er sein Pferd für die Thür führen / allda aufzusitzen: Deßgleichen that auch Agapistus. Die andern waren / im Hinter-Hof / zu Pferd gestiegen.

Polyphilus machte seine Sach gar zu verdeckt / daß auch Macarie den letzten Blick nicht merckte: wiewol sein Roß / der Schönsten und Liebsten zu Ehren / sich mit dreyen Lufft-Sprüngen / gegen ihr Fenster erhebte / damit den letzten Gruß Polyphili zu bewähren: Das ich aber nicht weiß / hats Macarie gemerckt oder nicht. So lang Polyphilus wuste / daß ihn Macarie sehen könne / so lang erhebte er sich / vor andern /mit seinem Pferd / so begierig / daß ihn offtermals Agapistus warnete / und seiner zu schonen bat: aber die Liebe gegen Macarien war mächtiger; ja sie verdienre das / in dem sie Polyphilum mit ihren Augen begleitete / so weit sie konte.[628]

Warum ist aber Polyphilus nicht zu Macarien kommen / die ihn doch so gern gesprochen / weil sie etwas sonderliches und hochwichtiges / mit ihm zu reden gehabt? Das werden wir / aus dem jetztfolgenden Brief / von Polyphilo selber vernehmen / den er / alsbald er auf Sophoxenien kommen / an Macarien abgehen lassen / auch die betrübte Heimreise / die er vollbracht / selbsten darinnen beschrieben / deßwegen wir selbige / mit mehrern / nicht berühren mögen. So lautet aber der Brief Polyphili an Macarien:


Treu-geliebtes Hertz!

Das Verbrechen / so mich bey ihrem Argwohn anklagen wird / zwinget mich / mit gegenwärtigen Zeilen /meine Schuld zu entschuldigen / und meinen Fehl zu beschönen. Zwar muß ich gestehen / daß ich nicht ein geringes begangen / in dem ich mich / durch gute Gesellschafft / an den Ort führen lassen / allwo sich meine Augen / durch den Anblick deren / welche sie so sehr verlangen / wohl gesättiget: aber dem Hertzen / durch den verhinderten Zutritt / noch tieffere Wunden eingeschlagen / bevorab / da ich / vielleicht nicht in unnöthiger Furcht lebe / es möchte / mein Kind! mich in solchen Verdacht fassen / als hätte ich den Zuspruch aufgehalten / entweder ein widriges Hertz / oder ja zum wenigsten / dessen entfesselte Freyheit zu erweisen / in dem[629] es gestatten können /daß auch das allersehnlichste Verlangen / in solcher Nähe / da Mund und Augen reden können / nicht erfüllet worden. Wird sie aber / allerliebstes Hertz! den Anhang meiner damaligen Gesellschaffter / dann die gefürchtete unmüssige Reden und Gedancken / so meine nähere Besuchung hätte verursachen können /behertzigen / wird sie gleichfalls auch sehen / daß /wie beydes sehr gefährlich / also auch gültig gewesen / mich von meiner Begierde abzuhalten; und hoffe ich sonderlich / es werden nunmehr die schwätzige Zungen einen Zaum bekommen haben. Aber / allerschönstes Hertz! wie meynet sie / sey mir zu Muth gewesen / daß ich ohne ihr Besprechen / betrübt müssen zuruck ziehen? Wann ich tausend Schmertzen benennen würde / die meine Freud / ohne Aufhören / bestritten / wäre es doch nicht genug / die ängstige Betrübnus auszusprechen. So gar war alle Freud todt /daß / wann ich nicht letzlich / durch ihren erfreulichen Anblick / in etwas wäre von fernen gestärcket worden / und meine Gedancken nicht / an statt der Unterredung / gewesen / ich leicht glaube / daß mich ehe Furcht und Noth / als mein Pferd / heimgetragen. Unterdessen wird sie aber / liebstes Kind! meine Seufftzer gemercket / und mein Augenspiel verstanden[630] haben / das nehme sie auf / an statt der Rede und des Grusses / und glaube für gewiß / daß ich ihre zarte Hände / und den beliebten Mund / in meinen Gedancken / auch abwesend / mehr denn tausend mal gedrücket und geküsset: wie ich dann stündlich thue /und mich / mit dieser Zufriedenheit / so lang tröste /biß ich des völligen Glücks wiederum zu geniessen /künfftig / von dem gütigen Himmel / beseeliget werde. Biß dahin / und noch ferner / bleibe sie / mein Kind! getreu und beständig / wie sie mich hinwieder finden soll. Nun solt ich / meiner Schuldigkeit nach /ihr höfliches (darff auch sagen) gelährtes und künstlich verfassetes / angenehmes Brieflein beantworten: alle n / wann sie von mir gleich-gezierte Reden begehret / will ich alsobald meine Unwissenheit / bey der Unmüglichkeit / bekennen / und die Netze ihrer Versuchung / mit einem treu-beständigen Hertzen /zerreissen / weil die Wort allhier nichts richten. Gleichwol aber / damit ich ihrem Befehl Folge leiste /welcher verlanget / meiner übel-gesetzten Gedichte mehr zu sehen / will ich mit nächsten / mein / unter Handen habendes Wercklein / benahmet / die entdeckte Liebes-Kunst; oder zum wenigsten / einen Theil davon / gehorsamlich überschicken / bloß zu dem Ende / daß es / durch ihren Anblick[631] / eine Zierde überkommen / oder wol gar von ihrem Lob beschönet werde: Dieses wird auch die Antwort / auf ihre verständige Brieffe / mit sich führen / weil solche nicht sicherer / als ausser der verschlossenen Liebes-Kunst / beantworten werden. Aber / ausserwähltes Hertz! warum hat sie mein schlechtes Buch / mit ihrer beschönten Hand und klugen Gedichten zu verehren /nicht würdigen mögen? Weiß sie dann nicht / daß diese / so fern ich meiner Bitte gewähret worden / in aller meiner Noth / würden gewaltige Tröster gewesen seyn? Doch / was sag ich? Meine Hand ist unwürdig /neben der ihren zu stehen / und sie durch ihre sinnreiche Schrifften und Gedichte / meine nicht beschämen wollen. Ist etwas: aber dencket sie nicht / liebstes Hertz! daß durch ihre Beehrung / die Einfalt meines geringen Buchs / dermassen würde erhöhet worden seyn / daß es den höchsten Grad der Ehren zu besteigen / würdig erkannt wäre / daß es jetzo in tieffster Verachtung danieder liegen muß. Zwar hat es anfangs / durch ihren ertheilten Ruhm / sich höher schätzen wollen: nach dem ich ihm aber bedeutet /wie in diesem Fall / ihre Höflichkeit / mehr der vertrauten Freundschafft / als der Warheit beygelegt / hat es bald erkennet / daß es solchen Ruhm nicht zu verdienen[632] wisse. Meine Wenigkeit aber betreffend / leide ich anjetzo Noht / in dem es mich / ohne Ablaß / um die Vermehrung / anspricht / ist vielleicht gesonnen /alsdenn w eder ruckwerts zu gehen / und seine / dißmals versäumte Beute / fleissiger einzuholen: wiewol ichs / ohne Bestraffung der übermässigen Künheit /nicht werde abztehen lassen. Weil sich aber meine Unwürdigkeit / in diesem Fall / so viel erkühnet / die sie doch / wie ich bitte und hoffe / vor einen Antrieb getreu-beständiger Liebe / aufnehmen wird: warum wägert sie sich dann so lang / mich mit der angenehmen Post / ihrer Lob- und Lieb-würdigen Gedichte /dem Versprechen nach / zu erfreuen? In Warheit! werden mich die angenehme Gäste nicht bald zu Sophoxenien begrüssen / werde ich mich vor den Unglückseligsten / in der Liebe / bekennen müssen. Die Hoffnung laß ich mich trösten / daß sie nicht trügen werde / und verbleibe

der ewig-beständige

Polyphilus.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 624-633.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon