Sechzehender Absatz

[669] Beschreibet den Blut-Rath Polyphili / so er über Evsephilistum beschlossen / und wie er selbigen der Macarien entdecket / auch wie bestürtzt diese antwortet; dann endlich / wie sich Polyphilus betrogen: Lehret die anfeindende Laster / in hohen Trübsalen / die mehrentheils / mit der vergifften Süsse / der Verzweiflung / zu locken pflegen.


Wir wollen aber / unser Zeit / nicht mit ihm / verderben / sondern wieder zum Polyphilo kommen / und sehen / was der vor Rath erfunden. Alsbald er zum Agapisto kam / eröffnete er ihm / aber unter dem Pfand der Verschwiegenheit / was ihm Macarie vertrauet: welcher / wegen der Rede / so Macarie mit ihm vom Polyphilo gehalten / noch immerdar einen Zweiffel / an ihre Beständigkeit / setzte / und sonderlich in dieser Begebenheit / da er vermeyne / Macarie wolle ihn / mit Höflichkeit / und als gezwungen / abweisen /weil aus allen Reden zu schliessen / daß sie Evsephilistum mehr liebe / dann ihn / und was sie ihm mehr erweise / sey eine verfälschte Befriedigung seines Begehrens. Diese Rede setzte Polyphilum in solche Bestürtzung / daß er nicht wuste / was er dencken solte. Wurde gezwungen / Melopharmis / die seine endliche Zuflucht war / in aller Noth / um Rath zu fragen /welche / nach erkundigter Sache / keine bessere Erlösung ausdencken konte / als daß Polyphilus[669] Schwert und Tod drohen solle: die er auch nicht achten würde / wann sie gleich / wider Verhoffen / sich gegen ihm wenden solte. Dann auf solche Art / sprach Melopharmis / werdet ihr Macarien von jenes Liebe abschrecken / jenen aber von dieser. Das alles billigte Polyphilus um desto lieber / als sehr er verlangte /entweder mit Macarien friedlich zu leben / oder ohne sie / rühmlich zu sterben: Doch war das noch ein Anstoß / wie ers dem Evsephilisto / ohne Schaden und Nachtheil der bekümmerten Macarien / hinterbringen könne. Dann / gedachte er / wird die That kündig /was wird man von Macarien sagen? Was wird selbsten Evsephilistus für Spott-Reden ausstossen / welcher zu beförchten / daß er den Kampff abschlage /und mich mit einer scharffgespitzten Zungen / mehr verwunde / als er mit Schwert und Lantzen hätte thun können. Und / welches alles übertrifft / wie wird Macarie / Ach! das zarte Kind! erschrecken / wann sie deren einen ertödet hören wird / der um ihrentwegen gestorben: Dieser Vorbedacht hielt ihn wie lange auf: So bald ihm aber die Erinnerung / der beförchtenden Untreu / seiner Vertrauten / dann der gewisse Verlust Macarien / zusamt der gewaltsamen Werbung Evsephilisti / aus Hertz stieß: fieng er an / ja! es kan nicht anderst seyn / der Rath Melopharmis muß zu Werck gerichtet werden.

Was thut aber der Leid-tragende Agapistus? Er sinnet hin und wieder / kan aber nichts fügliches ersinnen / biß er endlich den Rath Melopharmis / vor gut erkannt / dafern er nur klüglich vollbracht werde. Drum sprach er: Mein weniges Bedencken ist das /wie wir Macarien ausser Schrecken und[670] Schande: Polyphilum aber ausser Forcht setzen können. Beyden ist geholffen / wann Polyphilus diß sein Vorhaben der Macarien schrifftlich entdeckt / dem Evsephilisto aber / durch einen seiner Bekandte / heimlich / und als Polyphilo unwissend / hinterbringet. Dieses kan hernacher mit der Entschuldigung / als wäre der Hinterbringer / durch das nichtige Geschwätz / betrogen worden / beschönet bleiben: jenes kan Macarien / von der Liebe Evsephilisti abschrecken / daß sie selber Gelegenheit suchen wird / seiner müssig zu gehen /und Polyphilum zu lieben / will sie nicht eine Ursach grosses Unglücks und Blutvergiessens heissen. Wohl war das gerathen: Melopharmis nahm die Verwaltung auf sich / Evsephilisto den Schluß Polyphili kund zu thun: Polyphilus verständigte dessen seine Macarien /mit folgender Zuschrifft:


Allerliebstes Kind!

In was Schmertzen / mein geängstetes Hertz / sich befinde / zeugen genugsam diese gebrochene Wort / die mit tausend Seuftzern / aus dem / von heisser Pein brennenden / Grund heraus quillen. Und weil ich keine Stunde / ohne ihr Andencken / vollbringen kan /auch keinen Schlaf / viel minder einige Freude und Wohl-seyn / bey mir / empfinde; es sey dann / daß ich entweder ihre Gegenwart mir betrüglich vorstelle /oder sonst meinen Gedancken die willige Freyheit gönne / auf die Erlösung unsers / ach! wie grossen[671] Unglücks / zu sinnen: wird sie mir hoffentlich auch diß nicht verüblen / daß ich so zeitig sie wieder besprechen darff. Was ich vor ein betrübtes Heimreiten verbracht / laß ich sie selber / als verständiger / richten: und in wie grosser Betrübnus ich mich täglich ängstige / zeugen allein meine Seuffzer / von denen ich nicht zweifle / daß sie / meinem Befehl nach /auch bey ihrem Hertzen anklopffen werden / dann sie sonst die Lufft / in so gehäuffter Meng / trüben würden. Aber was thu ich? Ich solt trösten / und nun klage ich: wie kan ich anderst? wolte der erzürnte Himmel / daß ich ihn / mit meinem Tod / befriedigen solte / wäre ich bereit / Allerliebste! ihrentwegen zu sterben / und hätte ich volle Genüge / wann nur sie /wieder in die vorige Freud / versetzet würde. So könt auch mir nichts erwünschters widerfahren; Dann ohne die leben / so meines Lebens Erhalterin ist / ist selbst der Tod: sie aber / erwähltes Hertz! in eines andern /und zwar unwürdigen Gewalt sehen / (O des unmüglich-erleidenden Worts!) ist der erste Grund meiner Verzweifflung / und muß mein Hertz ehe alles Hertz verlohren / auch meine Faust kein Gewehr mehr führen können / ehe ich solche unverdiente Schmach und Schmertzen / ungerochen ertragen würde.[672] Solte Polyphilus ein Schwerdt tragen / das sich nicht freuete /wann ihm der angenehme Befehl ertheilet würde /seine Liebste zu retten? Mord und Tod soll entweder mich in Evsephilisti; oder ihn / in meine Stelle setzen: Dann das Leben ist uns nur schädlich. Ich weiß /Hertz-vertraute! daß sie sich hierüber betrüben wird /und erschrecken: Doch nein / liebet sie getreu / wird sie das ehe fördern / als hindern. Da sie aber ihrem rühmlichen Namen / den sie allezeit vor alles geschätzt / dieses zu wider zu seyn glaubet / so bleibe sie beständig / und lasse sich / weder durch Macht /noch List / verleiten / dann ich ihr verspreche / daß /wann sie will / und mir lieb-gebührend beystehet /mein geringer Verstand allbereit einen solchen Rath erdacht / der uns aufs nächste erlösen wird: der gütige Himmel gebe ein solches Werck / als die Hoffnung verspricht. Solte derowegen der Unwürdige / sich ferner / die jenige zu bestreiten / unterwinden / deren er schuldiger zu dienen wäre / und glückselig genug /wann er von ihr / mit Höflichkeit / unterwiesen würde / wie er sein unverschämtes Beginnen hindern solle; solte der / sag ich / seine grobe Künheit weiter zu üben / nicht unterlassen / habe ich auch dem ein Gebiß einzulegen beschlossen / doch so / daß es[673] beyderseits / ohn unsern Schaden / geschehen kan. Nur das bitte ich / sie wolle mein Vorhaben / durch keinen Verzug des Berichts / wie sie in dieser Sach zu handeln gesinnet / zu ruck halten. Die Kürtze der Zeit heisset mich schliessen / und sie / mein Kind! in guter Hoffnung / ohne Sorge / zu ruhen anmahnen / auch zu bitten / daß sie mich liebe / dann so wird der Himmel selbsten / seinen Zorn / an uns / nicht verüben können / sondern mir vergünstigen / daß ich hinwieder sey und bleibe / der sie / mein Kind! nicht kan / noch will verlassen / weil er sich nennet / den

getreuen

Polyphilum.


In was Verwirrung Macarie / durch diß Brieflein / geführet / können wir nicht besser / als aus ihrer eigenen Antwort vernehmen / die wir daher setzen wollen. Das müssen wir aber zuvor bemercken / daß Polyphilus / der getreuen Macarien / nicht wenig Unrecht gethan / in dem er ihr Hertz / in dem Argwohn einiger Falschheit / oder Liebe gegen Evsephilistum / behielt: das vielmehr Tag und Nacht darauf bedacht war / ein Mittel zu ersinnen / wie sie sich von jenem befreyen könne. Die Antwort aber war diese:


Mein Herr!

Ihr könnet leicht schliessen / daß ich euer verlangtes Brieflein be gierig erbrochen[674] / und in der betrüglichen Hoffnung / ob würde ich / durch dasselbe / Trost und Linderung / in meiner Betrübnus / erhalten / eilfertig durchlesen / welches aber so weit gefehlet / daß dadurch vielmehr alle meine Sinne untergeschlagen /und mein / ohne das / entgeistertes Gemüthe vollend in Verzweifflung gesetzt worden / in dem meine unglückselige Augen lesen müssen / in was hefftige Verwirrung euch eure Liebe gestürtzet / und durch was gefährliche Entschliessung / ihr euch zu retten gedencket; so / daß ihr selbsten gestehet / es können solche Wort / mir / nichts als Schrecken / verursachen. Ihr vermahnet mich zwar ruhig zu seyn / unterlasset aber indessen nicht / neue Unruh zu erregen. Ihr heisset mich ohne Sorge seyn / und gebet mir doch tausend Ursach zu sorgen. Glaube also nicht / daß jemaln ein Schiff / verzweiffelter zwischen Wind und Wellen geschwebet / als mein ängstiges Gemüth / von Furcht und Hoffnung umgetrieben wird. Weil ich dann sehe /daß das verhässige Glück gesonnen / mein arbeitseliges lieben / zum Ziel / seiner grausamen Pfeile zu stellen: als will ich viel lieber selbst sterben; als andern den Tod verursachen / und weit sicherer geloben / alle Lieb in Ewigkeit aus meinem Gemüthe zu verbannen / und[675] das schwartze Grab zum Hochzeit-Hause zu wählen / als zugeben / daß einer Mord-klingen das Richter-Amt aufgetragen / und meine Ehe-beredung mit Blut solte geschrieben werden. Derowegen / mein Herr! lasset euch / in diesem Beginnen /vielmehr die gesunde Vernunfft / als den erhitzten Grimm / die Schrancken setzen / und betrachtet / daß es viel sicherer sey / sich beugen / als zerbrechen. Fliehet die Ubereilung / welche allezeit eine Mutter ist vieler Mißgeburten / und ergebet den Ausschlag /nicht einem kalten Eisen / sondern der allweisen Vorsehung des Höchsten / die so unermüdet für unsre Wolfahrt wachet / und gegen welche weder Gewalt /noch List / noch Glück siegenkan. Haltet euch versichert / daß ich kein vernünfftiges Mittel unterlassen werde / dieses Werck entweder gäntzlich zu ruck zu treiben / oder da dieses unmüglich wäre / doch so lang aufzuziehen / biß ich von euch gewisse Antwort erhalten. Zweifle indessen nicht / ihr werdet auch /eures Theils / die Hülffe befördern / doch durch ein solches Mittel / das mehr einer klugen Entschliessung / als einer Verzweiflung ähnlich siehet. Mehr vor dißmal nicht / ohne daß ich bitte / ihr wollet euch nichts schrecken lassen / und / weil eure jüngste Besuchung / in dieser kleinen geschwätzigen Insul /[676] so viel ungleiche Reden und Gedancken verursachet /meiner zu schonen / mich nicht mehr allhie besuchen /damit also den unmässigen Leuten / die Ursach der Verleumdung möchte entzogen werde: Wir wollen unsre Freundschafft auch wohl / durch Briefe / unterhalten / oder daja die Gegenwart von nöthen wäre /solche auf meinem Land-Gut suchen; Indessen lebet ihr mit so viel Glückseligkeit / als ich euch immer wünschen kan / und glaubet gewiß / daß ich Lebens-lang verbleibe

Eure beständige Freundin

Macarie.


Jetzt wird ja Polyphilus zu frieden seyn / weil er so theure Versprechungen überkommen; nun weiß er ja /daß Macarie sein ist / und sein seyn will / dafern sie nur beyde einen Rath erdencken können / der ihr Verlangen beseeliget: und daran fehlets Polyphilo auch nicht. Aber / O du unglückseliger / in dem höchsten Glück / und in der grösten Freude / Höchst-betrübter Polyphile! du köntest dich freylich den seeligsten /durch die gunst-geneigte Gewogenheit / so wohl des viel-gütigen Himmels / als deiner Treu-liebenden Macarien / grüssen / wann nicht deine Glücks-Fahne / so offt sie sich außbreitet / das Creutz der Widerwertigkeit zeigete. Kaum hatte Polyphilus / mit den erfreulichen Worten / seine Traurigkeit in etwas gemindert /als Melopharmis / mit so erhitztem Gang / auf ihn zulief / daß ihr[677] der Athem / so sich zuruck zog / die erschreckende Wort / nicht unverstümmelt hervor bringen ließ: Polyphile! morgendes Tags wird der Greiff (so sagte sie aus dem Traum Polyphili / weil sie Evsephilistum nicht wohl nennen konte / oder / vor Eyfer nennen mochte) mit Macarien öffentlich versprochen werden / das mir selbst Talypsidamus hinterbracht.

Solte wohl ein Donner / so mächtig er auch seinen Strahl führen könte / das / was er anfasset / in so viel Stück zertrümmern / als die Freude Polyphili zerschmettert / mit Schrecken / dahin fiel. O falsche Macarie! das war das erste Wort; Untreue Macarie! Macarie! du Prob alles Betrugs! aller Verführung! Ach! Agapiste! du bester meiner Freunde! Warum hab ich dir nicht gefolget? Warum hab ich dir nicht geglaubet? O Lasterhaffte Betrügerin und betrügliche Laster-Seele / die den Leib Macarien regieret! Ach Melopharmis! getreue Melopharmis! sehet doch / leset doch / was die verlogene Hand an mich geschrieben. Wo ist ein grösserer Betrug / als der Weibliche! Ach! du beständiges Hertz Polyphili / solt du mit solcher Untreu belohnet / oder vielmehr verworffen werden? Rehmet doch hin Melopharmis diesen Brief / und erschrecket über das Lasterhaffte Beginnen deren / die wir vor eine Tugend-Göttin geehret.

Melopharmis durchsahe die Schrifft / und da sie fast zum Ende kam / sprach Polyphilus: Das ist der Betrug / daß ich Soletten meiden soll / damit ich nicht erfahre / wie sie mit bösen Tücken umgehet. Aber wart Greiff / ich will dir biß auf den Felsen folgen /du solt meine Klinge fühlen. Ja / sprach Melopharmis / thut das Polyphile / aber handelt mit[678] Bedacht. Ihr wisset / daß das viel-züngige Gerüchtofftermals unsern Glauben bethöret / so hütet euch / daß ihr nicht gleiches klagen dörffet. Setzet euch alsobald auf / und verfüget euch hin zu Macarien / und erinnert sie an die Treue / so sie euch / nach ihrem Versprechen schuldig. Nimmt sie euch an / so habt ihr / was ihr wünschet: wo nicht / so suchet / was ihr wünschet / und entfesselt eure Bande / durch den Tod dessen / der euch zu binden sich unterstanden. Ihr werdet bey Göttern und Menschen / wegen billicher Rache /unsträfflich erkannt werden.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 669-679.
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