Dritter Absatz

[148] Die Reisende gelangen zu einem Schlosse: dessen Adelicher Besitzer sie bewirtet. Polyphilus erzehlet ihm / auf sein Ansuchen / wie es ihm zu Soletten /und bey Erlösung des Schlosses Sophoxenien /ergangen. Ihr Gespräche / von dieser Verzauberung.


Unsere Reisende ritten eine gute Weile / biß sie nahe zu dem ersehenen Schloß kamen / und befanden / daß es gantz allein stunde. Die Sonne hatte sich / theils wegen eines dicken Schnee-Gewölcks / theils auch wegen der verloffnen Tags-Zeit / verborgen: Daher sie ihnen / weiter zu reisen / nicht getraueten. Indem sie also in tieffen Gedanken schwebten / wurde Polyphilus eines Knabens gewar / welcher / nahe am Schloß /seine Zeit mit Schlittenfahren kürtzte. Auf diesen ritten sie zu / und fragten um Nachricht / ob nicht dort herum ein Dorff läge? Nein! (sagte der Jung) unter zweyen Stundenkönnet ihr keines erreichen. Dieser Antwort erschracken sie nicht wenig / und wusten nicht / was sie vornehmen solten: Dann sie so weit nicht mehr reisen kunten. Agapistus fragte ferner /wem dann dieses Schloß zugehörig wäre? der Kn ab antwortete: Meinem Vatter! Indem sie über dieser Antwort sämtlich lachten / ersahe sie des Kindes Vatter / von einem Fenster des Schlosses / ein sehr höflicher und kluger vom Adel. Dieser / weil er leicht mutmassen kunte / daß dieses fremde[148] Leute wären / die sich etwan verritten hätten / kame selbst herunter /und sagte: Er hätte wargenommen / daß sie mit seinem Söhnlein Unterredung gehalten / welches ihnen gewiß / nach seinen Jahren / eine kindische Antwort würde gegeben haben: Demnach käme er / ihnen bessere Nachricht zu erteilen / deß jenigen / wornach sie fragten.

Mein Herr! (sagte hierauf Polyphilus) seine unverhoffte Freundlichkeit / ist kräfftig gnug / unsre Furchtsamkeit / in fernerer Nachfrage / kühn zu machen. Wir sind fremde Leute / welche / über dem Gespräche / die rechte Straße vorloren / und hier ein Dorff zu erlangen gehoffet: weil wir uns aber betrogen sehen /haben wir das Söhnlein gefraget / wie weit wir noch nach einem zu reiten hätten? ist uns aber von ihm ein sehr langes Ziel gestecket worden. Ja! (sagte der Edelmann) hierinn hat er wohl die Warheit gesagt: sie werden heut schwerlich mehr ein Dorff ereilen. So sehnet sich auch die Sonne allbereit nach ihrer Schlafkammer / und beginnet auch sonsten böß Wetter zu werden. Die Herren lassen sich gefallen / ihren Diener / diesen Abend / mit ihrer Gesellschafft zu ergetzen / und in meiner geringen Wohnung zu übernachten. Die Reisende bedankten sich wegen dieser freundlichen Einladung / und sagten / sie würden es /als Unbekante / nicht wagen dürffen / eine solche Beschwerung zu verursachen. Das ist keine Beschwerung / (versetzte der von Adel) worum ich selbst freundlich bitte: sie belieben nur / herein zu kommen. Damit gieng er in den Hof / dem Knecht zu ruffen /daß er ihre Rosse abzäumte. Als sie nun ihm nachgefolget / und abgestiegen waren / kam er wieder /[149] sie zu empfahen / und hieße sie freundlich willkomm seyn.

Polyphilus entschuldigte sich / daß sie / in diesem kühnen Beginnen / mehr der Noht / und der Nacht /als der Höflichkeit / gehorchen müsten. Mein Herr! (begegnete ihm der Edelmann) ich sehe / daß er der Höflichkeit nur allzuviel nachgibt. Meine wenige Aufwartung verdienet keine so hohe Entschuldigung. Ich bitte nur / vollends herauf zu spaziren / mit gemeiner Kost und schlechter Bewirtung vergnügt zu seyn / und mehr den geneigten Willen / als das ungültige Werk anzusehen. Unter solchen Reden / führte er sie den Schnecken hinauf / nach dem Wohn-Zimmer. Sie fanden alles im Schloß wohl und zierlich gebanet / jedoch mehr nach Notturfft und Bequemlichkeit /als zum Pracht. Das erste / so ihnen aus dem Zimmer entgegen kam / und sie bewillkomte / war Julietta /des Mussards (also hiesse der Edelmann) Tochter: eine Jungfer von mittelmässiger Schönheit / aber sehr höflich und freundlich. Dieser befahle der Vatter vor dißmal die Wirtschafft / weil seine Liebste krank zu Bett lage. Er bate indessen seine Gäste / ihre Gewehr abzulegen / und ihme zu vergeben / daß er nach dem Ort fragte / wohin ihre Reise gerichtet wäre. Mein Herr wolle (antwortete Polyphilus) nach Belieben seinen Dienern befehlen! Wir sind / nach einer strengen und unbilligen Gefängnis / nun ein par Tage geritten /und gedenken auf das Schloß Sophoxenien.

So wol! (sagte Mussard) die Herren werden aber ohne Zweifel wissen / was sich unlängst mit der Erlösung selbiges Schlosses begeben; oder reisen[150] sie vielleicht dahin / solchem Wunder eigentlicher nachzufragen? Polyphilus lächelte über dieser Frage / und antwortete: Mein Herr! ich habe nicht Ursach / mich deßwegen zu erkundigen / weil ich vorhin am nächsten dabey gewesen. Uber dieser Antwort stutzte der Edelmann / und sagte / nach kurtzem Bedenken: Vielleicht ist er selbst Polyphilus / der Erretter? Als dieser es mit ja beantwortet / sagte er ferner: Ey so schätze ich billig diesen Tag glückseelig / weil er mir so unverhoffte Gelegenheit schenket / nicht allein / die Ehre seiner Erkantnus / welche ich so lang gewünschet / zu erlangen / sondern auch völligen Bericht / von der wunderbaren Erlösung gedachtes Schlosses / zu erhalten. Ich bitte aber um Vergebung / daß ich biß daher /aus Unwissenheit / ihme / hoch-geschätzter Polyphilus! die schuldige Ehrerbietung entzogen. Ach! mein Herr (fiel ihme Polyphilus in die Rede) verschone seinen Diener mit so hohen Worten! Ich bin ein schlechter Schäfer / der / in Errettung dieses Schlosses / vielmehr seine eigne Errettung gefunden / als einige Beehrung damit verdienet: Wie dann auch das Glück /welches heute unter uns Freundschafft stifften will /einig auf meiner Seiten stehet. Was sonsten die Eröffnung erwehnter Wunder-Begebnis betrifft / welche mein Herr so hoch verlanget / erkenne ich mich zwar schuldig / ihm hierin zu dienen: fürchte aber / es werde seine Hoffnung ungleich grösser seyn / weder die Erfüllung / und meine Erzehlung ihme mehr Verwunderung und Zweifel / als gründliche Nachricht /vorstellen. Deme sey / wie ihm wolle / (versetzte Mussard) Mein Herr mache mich nur seiner Wissenschafft[151] teilhafftig / und versichere sich / daß er mich damit hoch verpflichten wird.

Ich suche keine Verpflichtung / (antwortete Polyphilus) sondern wäre zu frieden / wann ich mit diesem Bericht / den geringsten Theil seiner Freundlichkeit und Gunst erwiedern konte. Und / damit ich den Grund dieser Seltenheit mit berühre / so wisse mein Herr zuförderst / daß ich / in meinem Vatterlande Brunsile / einen Theil meiner ersten Jahre / in dem ruhigen Schäfer-Orden zugebracht; nachmals aber /weiß nicht / soll ich sagen / aus unvorsichtiger Begierde zur Wissenschafft / oder aus Jugendlichem Ehrgeitz / den Hirtenstab von mir geworffen / und in fremden Ländern Kunst und Tugend zu erlernen /mich der zornigen See anvertrauet. Kaum aber hatten meine Augen die Sicherheit des Landes gesegnet / da begunte das neidische Glück / sein Mißfallen über meinem Vorsatz zu bezeigen / Wind und Wellen wider mich aufzumahnen: welche das schwache Haus unserer Wonung / mit schröcklichen Stürmen unter ihre Gewalt brachten / und es / nach eignem Belieben / bald mit sich an die Decke der schwartzen Wolken / bald wieder in den tobenden Abgrund rissen /biß es endlich von dem Streit ermüdet / an einem Felsen gescheitert. Ich sahe auf einem stück des zerbrochnen Mastbaums / dem Tod recht unter Augen /wurd aber doch wieder alles verhoffen / erhalten / und halb-todt / in der Gegend der Insul. Soletten / ans Land geworffen.

Hier hätte ich nun billich ruhen / und der Güte des Himmels meine Fehler abbitten sollen. Aber was ist unruhiger / was ist kühner / als die unbedachtsame[152] Jugend? Eben das Unglück / welches mich zu Erkentnus meines Irrtums führen solte / hat mich zu weiterer Vermessenheit gereitzet. Dann / da ich mich der Gefahr entnommen sahe / und von dem Philomates /einem berühmten Kunst-Verständigen zu Soletten /die Beschaffenheit selbiger Insul erkundiget / kunte ich / aus Begierde / solche selbsten zu sehen / seiner versprochenen Widerkunfft nicht erwarten / sondern lößte einen Nachen von denen / welche daselbst zu der Uberfahrenden Dienst angehefftet waren / und vermeinte damit / noch selbigen Abend / in die Insul zu kommen. Ich muste aber erfahren / daß die Ubereilung nur verhintere / was die Gedult hätte erlangen können. Dann / weil ich die Gelegenheit / wie am bequemsten überzufahren / nicht wuste / als begunten mich die grimmige Wellen aufs neue zu verfolgen /und stürzten den Nachen mit mir zu grunde / daß ich eine Zeitlang / ohne alle Hoffnung der Errettung / in den Klauen des Todes zappelte: biß ich endlich / vielleicht auf Anwartung eines grössern Unglücks / wieder aufs trocken / und nach allerhand Widerwärtigkeit / welche hier zu erzehlen zu lang fallen würde /durch Hülffe Talypsidami / eines Solettischen Innwohners / in die Insul gekommen.

Ich fande aber in derselben keine Sicherheit / sondern nur grössere Gefahr / auf mich warten. Dann weil kurtz vorher der besagte Philomatus / von einem unbekandten Ritter / ermordet worden / ward ich /wegen allerhand verführischer Mutmassungen / von den Innwohnern vor selbigen Mörder gehalten / da mich eine Rotte Soldaten / vor dem Hause Talypsidami / gefänglich annemen wolten.[153] In solcher Beängstigung / fasste ich den verzweiffelten Schluß / mich lieber dem Gewalt des Wassers / als so gefährlicher Gefängnus / zu überlassen: der Hoffnung / daß der mildgütige Himmel / welcher mich schon zum zweyten mal dem nassen Tod aus dem Rachen gerissen / mir auch das dritte mal davon helffen würde. In diesen Gedanken / stürzte ich mich / vor den Augen aller Anwesenden / welche sich dessen im wenigsten versehen / über die Brücke / bey der Wohnung Talypsidami / ins Wasser: welches mich zwar dem Gesicht der Nachsehenden augenblicklich entzoge / aber nicht /wie zuvor / feindlich bekriegte / sondern auf eine ganz besondere Art / mit seinen Wellen gleichsam lieblich umarmte / und zwischen denselben / sonder alle Verletzung / mit grosser Geschwindigkeit / durch die Fluten führte / und wiewohl nicht ohne entsetzliches Brausen / vor der Pforten des damals versenkten Schlosses Sophoxenien / niderlegte.

Ob ich / nach dem ich also mich wieder errettet sahe / über dieser Begebenheit in Freude und Bestürzung gerahten / stehet leicht zu ermessen: sonderlich /da ich durch einen unsichtbaren Gewalt / wider den Willen der Sophoxenischen Wächter / welche mir den Eingang verwehren wolten / in den Vorhof des Schlosses geführt wurde. Ich fande darinn mehr Lust und Zierlichkeit / als ich jemals gesehen / vielweniger unter dem Wasser vermutet hätte. Ich war ungewiß /wohin ich die Augen am ersten wenden solte / und zweiffelte / ob ich dieses alles warhafftig sähe / oder ob ich durch den Tod an den Ort gelanget / wo die tugendhafften Seelen / nach diesem Leben / ihre Belohnung suchen. Bald aber[154] wurde ich solches Zweiffels befreyet / als ich den Tycheno / meinen gegenwärtigen Gefärten / bey einem Brunnen ersahe. Weil ich befürchtete / es möchten noch mehr Leute bey ihm seyn / und mich / wie und warum ich herein gekommen / befragen: suchte ich / biß ich eine scheinbare Ursache erdenken möchte / hinter einen Baum mich zu verbergen. Ich gienge aber eben daselbst der Königin Atychintide in die Hände / welche / Früchte zu suchen / dahin gekommen war. Hier musten Furcht und Schrecken weichen / wie häfftig sie auch mich beherschten / und der Hertzhafftigkeit Raum geben.

Ich redete die Matron (dann ich wuste damals noch nicht / daß sie eine Königin wäre /) mit tiefster Demut an / und entschuldigte meinen Zutritt / so gut ich konte. Sie aber / von Verwunderung gantz bestürtzet /weil sie / seit ihrer Verbannung / keinen Menschen /ausser ihren Leuten gesehen / fragte mich gar freundlich / auf was Weise ich wäre zu ihnen gelanget? Nachdem ich alles / was ich bißher erzehlet / nach der Länge eröffnet / sagte sie / voller Freuden: So seyt ihr gewiß Polyphilus / unser Erretter! Damit rieffe sie /mit einem grossen Geschrey / ihren Bedienten / und verkündigte ihnen / als sie ungesäumt erschienen /daß nunmehr die Zeit ihrer Erlösung vorhanden / in dem der versöhnte Himmel / den jenigen / von welchem die Tafeln in dem Tempel der Liebe zeugten /mit einer wunderbaren Gewalt / zu unserer Errettung /unversehrt / durch die Wellen geführet. Sie sagte darneben / daß sie ihrem Befehl ferner gehorchen / und diese Erlösung / durch unzeitiges Reden / nicht verhintern solten. Als nun diese sämtlich / über solcher Zeitung[155] höchst erfreuet / die Königin ihres Gehorsams versichert / und ich / so erschrocken / als verwunderend / zuhörte / machte sie eilends die Anstalt /solches Werk ihrer Befreyung vorzunehmen. Sie ermahnte mich auch / daß ich mit dem Himmel mich versönen solte.

Nachdem ich dieses / so gut es die Eile und mein verwirrtes Gemüt zuliessen / mit einem demütigen Gebet verrichtet / auch etwas von Speise zu mir genommen / und noch mit einem alten Mann / welcher mir alle Gelegenheit des Schlosses und der Verfluchung eröffnete / sprach hielte: kam sie / in einem Königlichen Habit / und in prächtiger Begleitung aller ihrer Bedienten / welche ihr in einer schönen Ordnung folgten / und diesen Tycheno / als die Ursache ihrer Verbannung / nachführten. Ich entsetzte mich über diesem herrlichen Aufzug / sonderlich /weil ich sie bißher nicht wie eine Königin bedienet: weßwegen ich auch gegen den Nachfolgenden mich zu entschuldigen suchte / aber nur mit Winken und Neigen beantwortet wurde.

Wie wir nun also vor die Pforte des Tempels der Tugend gekommen / und durch einen Herold nochmals ein Stillschweigen geboten worden / führte die Königin mich bey der Hand in den Tempel / welchen ich so zierlich und köstlich erbauet sahe / daß ich zweiffelte / ob es ein Werk menschlicher Hände wäre. Sie zeigte mir darinn allerhand Bilder / und ihre Bedeutung. Als sie aber merkte / daß ich völligern Bericht verlangte / rieffe sie dem Cosmarite und Chlierarcha / beyden Vorstehern der Tempel / und befahle jenem / in den Tempel der Tugend / diesem aber in den Tempel des Glückes /[156] mich zu führen / die darinn befindliche Geheimnisse mir zu eröffnen / und durch gründliche Belehrung mich würdig zu machen / die Tafeln in dem Tempel der Liebe zu beschauen / und diesen Fluch von ihnen zu nehmen. Nachdem nun die beyde Weisen diesen Befehl mit sonderbarem Fleiß verrichtet / und mir die Beschaffenheit der Tugend und des Glückes / auch durch was Mittel man durch jene dieses erlange / mit allerhand Vorstellungen /viel ausführlicher erkläret / als ich jemals hoffen können / kamen sie wieder mit mir zurücke. Die Königin befahle sodann ferner einer Jungfer aus ihrem Frauenzimmer / mir den Tempel der Liebe zu zeigen / und mir / wie in der Liebe vorsichtig und glückseelig zu verfahren / durch die kluge Sinnbilder daselbst zu eröffnen.

Als auch diese ihren Dienst zu meiner höchsten Vergnügung abgelegt / und die Nacht / welche zu dieser Erlösung notwendig erfordert ward / allmählich herbey kam / verfügte sich Atychintide selber zu mir /und führte vielerley. Gespräche / biß die Stunde der Befreyung herbey gekommen: da sie mir / mitten in dem Glückes-Tempel / zwischen zweyen Seulen /einen / an eisernen Ketten herab hangenden Kasten zeigte / welcher das Schloß der Gefängnis verwahrte. Auf diesem opferte sie / mit höchster Andacht / und flehete den Himmel / daß er das gefährliche Werk ihrer Befreyung beglücken wolle. Nach diesem zeigte sie mir / hinter einem Gerüste / die beyde Tafeln / in welchen die Hoffnung ihrer Erledigung / mit diesen Worten verzeichnet stunde: Wann das Gelübde der Einsamkeit / durch Polyphilum aufgehoben ist / so[157] wird das Wasser wieder geben / was es verschlungen hat: und wann die Mutter ihren Sohn überkomt / wird Macarie unter einem fremden Joch gefangen ligen. Als ich nun diese Schrifft gelesen / und noch an der Auslegung dero zweydeutigen Verstands arbeitete /ward ein sehr liebliches Lied / in der Lufft / hinter uns angestimmet: worüber sowohl ich / als die Königin und beyde Weisen / vor Freuden und Wunder bestürtzt blieben / weil zuvor nie dergleichen gehöret worden.

Wiewol nun sie daher eine Hoffnung zu glückseeliger Verrichtung schöpfften / so war doch das Mittel /welches die Erlösung befördern solte / noch verborgen. Und als sie bald dieses / bald jenes / so theils gefährlich / theils ungültig schiene / vorschlugen / und aller Raht erligen wolte: ward ich / durch eine verborgene Krafft / etwas höher in den Tempel geführet /allwo ich / hinter einer Seulen / einer schwartzen Tafel / mit etlichen verworffnen Worten / warname. Die Königin / welche mir mit den zweyen Weisen folgte / liefe eilend hinzu / selbige zu lesen / konten aber nichtes verstehen. Ich aber lase folgendes: Polyphilus! suche das Schloß zur Linken / und die Schrifft zur Rechten! alsdann wirst du wissen / was dir verborgen ist. Hierauf wurde ich / zur Rechten einer ehrnen Pforte / und zur Linken eines Kästleins in der Mauer gewar: darinn ich / als ich es eröffnet / einen Schlüssel fande / und damit durch die Pforte in einen herrlichen Saal eingieng / woselbst ich / unter einem eröffneten Crystallinen Fenster / ein sehr künstliches Kästlein ersahe. Als ich selbiges mit dem erlangten Schlüssel eröffnet / erhielte ich den Zettel / von welchem die[158] Tafel gezeuget / dieses Innhalts: Gib mir mein Kind / Polyphilus! durch das Opfer / so du mir schuldig bist / und heilige die Stätte / da die Ubelthat begangen ist / welche zu versöhnen / du von mir durch die Fluten geführet worden.

Dieser Befehl erregte in mir einen neuen Zweifel /ob ich ihn nach dem Wort-Verstande / welcher des Knabens Opfferung forderte / verrichten solte? Doch wolte ichs versuchen / und gienge hin / den Tycheno zu holen: welcher sich vor dem Ort seines Unglücks sehr entsetzte. Aber ich stellete ihn zu frieden / und trate mit ihm an das eröffnete Fenster / rieffe mit heller Stimme / seiner Mutter Melopharmis / daß sie ihren Sohn erretten / und uns erlösen wolte. Hierauf ward ich / mit einem grossen Donnerschlag / dieser Worte verständigt: Opffere auf dem grossen Altar /und eile! Ich / voll Furcht und Schrecken / nam den Knaben bey der Hand / und fragte nach dem grossen Altar; und als ich solchen / in dem Liebes-Tempel /samt aller Zugehör zum Opfer fande / saumte ich nicht länger das Werk zu vollenden: der Hoffnung /daß der Himmel nichts schädliches / vielweniger sündliches / befehlen würde. Demnach stellte ich alle Anwesende um den Altar / sezte den Knaben auf denselben / und als ich / mit nochmaligem tieffen Seufzen und Gebet / vor die Erhaltung dieses Kinds / und um die Erlösung der Verbannten / den Himmel angeruffen hatte / fassete ich / mit Zittern und Entsetzen / das Messer / willens / das Kind damit zu erwürgen. Es wurde mir aber unter grausamen Donner und Blitzen /der Knabe aus den Armen gerissen / und der Altar mit Feuer verzehret: also[159] daß wir / vom Schrecken gantz entgeistert / als todtzur Erden fielen / und eine lange Zeit ohn alle Sinne verblieben.

Als wir endlich wieder zu uns selbst kamen / sahen wir uns aller Gefahr entnommen / und mit dem frölichen Sonnen-Liecht wieder beschenket. Wir stunden behende auf / und giengen / dieser Erlösung gewisser zu werden / wieder in den vorigen Saal: alda wir den Tycheno / mit seiner Mutter Melopharmis / auf uns wartend fanden. Diese empffnge uns freundlich /glückwünschte zu der erlaugten Befreyung / und führte uns zu der Königin: bey deren sie auch noch in vertraulichster Kundschafft lebet / und biß auf diese Stunde ihrer Gnade geniesset. Dieses ist nun / mein Herr! der Verlauf der Geschichte / so er von seinem Diener zu vernehmen begehret: welchen ich gern kürtzer gefasst hätte / wann es nicht so viel bedenkliche Umstände verhintert. Solte ich ihn damit / welches doch schwerlich zu hoffen / in seinem Verlangen vergnügt haben / würde ich mich billich für glückseelig schätzen.

Gewißlich / mein Herr! (antwortete Mussard) er hat mir / mit Erzehlung dieser wunderbaren Begebenheit /ein solches Gefallen erwiesen / daß ich mich willig als seinen Schuldner darstelle. Aber / (fuhr er fort zu fragen) was hält der Herr davon? solte dieses Werk /bloß von Göttlicher Rache und Erbarmung herrühren? oder stecken etwan auch einige zauberische Kräffte darunter verborgen? Polyphilus zuckte die Achsel /und sagte: hierinnen bekenne ich meine Unwissenheit / und bin zufrieden / daß ich durch diese Errettung / in welcher[160] ich mehr Dank schuldig worden / als verdienet / mein Leben erhalten. Indessen lasse ich einem jeden sein vernünfftiges Urtheil frey: wie ich dann gleich anfangs erinnert / daß ich / mit meiner Nachricht / mehr Zweifel als Gewißheit erregen werde. Der Edelmann merk to wohl / daß dem Polyphilus selber die Sache verdächtig war / weil er mit der Sprache nicht heraus wolte. Er fragte demnach den Tycheno / in Hoffnung / dieser würde / wegen seiner noch einfältigen Jahre / etwas freyer heraus gehen: Wie ihme / in solcher Handlung / wäre zu muht gewesen / und wem er sie zuschriebe? Mein Herr! (versetzte dieser) es erlaubet mir / weder meine grüne Jugend / noch die Furcht und Bestürtzung / welche ich damals empfunden / hierinn ein Urtheil zu fällen. So viel ich mich aber selbiger Verwirrung besinnen kan /bin ich / als in den Armen meiner Mutter / von dem Altar aufgehoben / und unter grausamen Donner /durch die Lufft / in den Saal / dessen Polyphilus erwehnt / geführet worden / woselbst ich mich eine gute Zeit allein befunden / und durch das eröffnete Fenster / den Fall der Wasser / welcher mit grossem Knallen ergangen / und darauf wieder das helle Son nen-Liecht / gesehen. Auf solches / hat sich meine Mutter wieder bey mir eingefunden / und uns zur Königin geführet:

Mussard / sahe hierauf den Polyphilus nach der seite an / und fragte von Tycheno ferner / wie es dann eigentlich mit der Versinkung beschaffen gewesen /und was das Schloß gesündiget / das dieser Fluch betroffen? Meine damals kindische Jahre / (antwortete Tycheno) werden wohl nicht alles[161] behalten haben: Doch erinnere ich mich noch gar genau / der vornehmsten Umstände / und daß ich / der Königin / von meiner Mutter / auf Begehren (weil sie mich / in Ermanglung eines Erben / als ihren Sohn zu erziehen /versprochen) bin überlassen worden. Es hatte aber ein altes Weib / Cacogretis genant / welcher die Königin vordessen hohe Gnade erwiesen / hieran kein Gefallen / und vermeinte dadurch an ihrem Glück verhintert zu seyn. Diese suchte mich derowegen etlich mal zu verderben: wurde aber allezeit verhintert / nicht durch meine Klugheit / welche blosse Einfalt war / sondern durch die Vorsehung des Himmels. Endlich aber / als ich in dem vorgedachten Saal am Fenster stunde / und nach den spielenden Fischen sahe / kam sie hinter mich / und stürtzte mich unversehens hinunter ins Wasser. Als ich aber / aller Sinne beraubt / auf den Boden gelangte / sahe ich die Wasser zertheilet / und das Schloß mit allen Innwohnern herab fahren: von welchen ich alsbald erkennet und aufgenommen /auch mit höchster Sorgfalt unterhalten worden. Das alte Weib aber / welches mich hinabgestürzet / wurde todt aufgehaben / und auf Befehl der Atychintide begraben.

Wie haben sie aber / (fragte der vom Adel) indessen gelebet? wie andre Menschen: (gab Tycheno zur Antwort) ohne / daß wir weder den Himmel / vielweniger die Sonne / sondern / an dessen stat / ein aufgehängtes Wasser gesehen: auch vor den Fenstern keine Felder / sondern eine Mauer von Wasser / welche das gantze Schloß umringet / wargenommen. Unterdessen haben alle Hofbediente ihre Verrichtungen getrieben. Die Königin aber / hat[162] mit den Weisen öffters geopffert / und den Himmel um gnädige Abwendung dieser Gefängnis gebetten. So war auch an Speiß und Trank kein Mangel: dann das Schloß wurde mit allem Uberfluß versenket / und hatte einen weiten Raum von Gärten und Bäumen in sich; Wie dann Polyphilus / unter einem solchen Baum / die Atychintide angetroffen. Solcher gestalt haben wir die Zeit vertrieben / und in der Hoffnung / welche uns die Tafeln in dem Tempel der Liebe gezeiget / die Erlösung mit Verlangen erwartet.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 148-163.
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