Sechster Absatz

[350] Polyphilus mit Agapisto nach Ruthiben reisend /kommt unterwegs nach Soletten / zu Macarien. Selbige erzehlt ihme / auf sein Bitten / ihren Lebens-Lauf / wie sie in ihrer Kindheit verloren / von Firmisco und Elengie erzogen / nachmals an Honede verheuratet / aber bald durch seinen Tod zur Witwe geworden.


Polyphilus und Agapistus / rüsteten sich nun zur Reise / nahmen vom Cumenus ein Beförderung Schreiben an den vornemsten Schäfer zu Ruthiben /und zogen folgenden Morgens / nachdem sie von allen Abschied genommen / in Gesellschaft Phormenen und des Servetus / von dannen / biß sie die Strasse trennte: da sie Phormena mit freundlichem Dank vor ihre Besuchung / neben einer unterthänigen Befehlung an die Königin / nach den Schloße Sophoxenien gehen liessen / und sich auf den Weg nach Soletten wendeten. Agapistus fragte den Polyphilus: ob er noch des Sinnes sey / Macarien zu besuchen? dann sonsten wolten sie eine nähere Strasse gehen. Freylich (sagte Polyphilus) muß ich Macarie sehen: solte ich diese Reise ohne ihr Wissen vornehmen?[350] Was werden aber die Innwohner sagen? fragte Agapistus ferner. Vielleicht erregen wir einen neuen Lärmen? Das mag seyn / wie es ist / (versezte Polyphilus) ich muß einmal mit Macarie reden. Hierauf erzehlte er ihm die Ursache / und wie er / aus dem Liede des Cumenus /(welches er auch noch bey sich hatte / und den Agapistus lesen ließe) mutmasse / daß Macarie seine leibliche Tochter sey / auch dieses von ihr völliger zu erfahren suche. Hierüber ward Agapistus voll Verwunderung und Freude / lobte auch des Polyphilus Vorsatz / und versprache ihm / treue Beförderung zu leisten. Er riete benebens / daß sie bey Talypsidamus zusprechen / und seinen Raht / wegen bevorstehender Gefahr / vernehmen wolten: welches Polyphilus annahm / und also mit seinem Freund / in gar vertraulichem Gespräch fort reisete / biß sie nahe an die Insul kamen.

Sie liessen sich bald überführen / und giengen geschwind nach der Wohnung des Talypsidamus; wurden auch von demselben / mit aller der Freude empfangen / die jemals ein aufrichtiger Freund / über des andern Ankunft / fühlen kan. Als sie nun die Ursach ihrer Reise entdecket / und nun um einen Raht baten /wie Polyphilus zu Macarien kommen möchte / weil er ohne ihre Besuchung nicht weiker wolte; gab er zur Antwort: er wolte seinen Jungen zu Macarien schicken / und von ihr selbst einen Befehl in dieser Gefahr / einholen lassen. Damit waren sie zu frieden /und wurde der Junge alsbald abgesendet / welcher /als er zu Macarien kam / sein Gewerb mit diesen Worten vorbrachte: Hochgeehrte Macarie! die beyde Schäfere / Polyphilus[351] und Agpaistus / lassen sie /neben dienstlicher Begrüssung / wissen / daß sie / auf der Reise nach Ruthiben begriffen / und ihren Weg hierdurch nehmend / bey meinem Herrn / dem Talypsidamus / ihren Befehl erwarten / ob Polyphilus bey ihr zusprechen / oder ohne ihre Besuchung seine Reise fortsetzen solle?

Macarie / über diesem unvermuteten Anbringen etwas erschrocken / wuste fast nicht / was sie antworten solte? Der Inwohnere Feindschaft / welche in der Aschen glimmete / und durch einen kleinen Wind konte angefeuret werden / war ihr nicht unbekandt. Ihren Polyphilus aber so nahe zu wissen / und doch nicht zu sehen / fiele ihr ganz unmüglich. Es tröstete sie auch der Schäfer-Habit / welcher ihn dieser Insul unbekandt machen würde. Demnach liesse sie ihm /durch den Jungen sagen: Sie wolte des Polyphilus Besuchung / noch vor seiner wieder Abreise / erwarten. Worauf sich dieser nicht saumte / sondern so bald von den andern Abschied nahm / und nach den Hause seiner Liebsten / in voller Hoffnung / sein Verlangen zu sättigen / eilete. Er wurde von derselben sehr freundlich empfangen / und als er ihr die Ursach seiner Reise / welche allein biß daher ihre Zusammenkunft verhintert / angezeigt / wünschte sie ihm / zu solcher /tausend Glücke / und bate ihn / seine Wiederkunft zu beschleunigen; damit sie einmal von der Widerwertigkeit befreyet / und seiner Beywohnung ohne Furcht der Solettischen Innwohner / geniessen möchte. Welches er ihr mit einem Kuß versprache.

Er nahme aber von dieser ihrer Bitte Gelegenheit /sie zu fragen: warum sie doch die Insul so sehr[352] scheuete? ob sie da gebohrn / und daher ihre nahe Verwandten zu fürchten habe? Ich habe ja (versezte Macarie) allhier keine Freunde von Geblüte: aber die Tugend / welche sich iederzeit vor bösen Nachreden fürchtet / heist mich derjenigen Haß verhüten / die bißher meinen Ruhm befördert / und mich als Freunde geliebet haben. Das will ich nicht tadeln: (sagte Polyphilus) weil wir aber auf dieses Gespräche kommen /wird sie mir / schönste Macarie! vergeben / daß ich fragen darff: welches Land sich ihrer glückseeligen Geburt zu rühmen habe? Das Gesicht Macarien /ward hierüber mit einer Purpur-röte überzogen; welches Polyphilus warnehmend / mit gar freundlicher Umarmung um die Antwort anhielte. Sie sagte endlich / mit einem tieffen Seufzer: Ach! mein Polyphilus! Ihr habt mich zuviel gefraget. Dieses ist eben das Unglück / welches mir so manche Thränen ausgepresset / aus welchem ich auch / ohn eure Hülffe (wann anderst der Götter-Antwort zu trauen) nicht zu entkommen weiß. Kan meine Hülffe / allerliebstes Hertz! (gab Polyphilus zur Antwort) ihre Seufzer stillen /und ihre Thränen trocknen / so befehle sie mir doch die glückseelige Verrichtung / und lebe versichert /daß mich keine Arbeit zu schwer / und keine Gefahr zu groß dünken soll / dafern es ihre Zufriedenheit erfordert. Ich bitte / nur das Mittel mir zu entdecken /durch welches ich meine Dienstfertigkeit soll sehen lassen.

Auch dieses ist mir unbekandt: sagte Macarie. Ich bin schon in der Wiegen / dem Unglück zum Raube überlassen / und so unseelig / daß ich noch diese Stunde nicht weiß / welchen Eltern ich mein[353] Leben schuldig bin. Das ist ein Zufall / (gabe Polyphilus zur Antwort /) der sie vielen vornehmen Leuten gleich machet. Sie erzehle mir aber / von wem sie erzogen worden / und wie sie in diese Insul gekommen? Meine Auferziehung / (begegnete ihm Macarie) habe ich dem Firmiscus / einem vornehmen Herrn des Landes Thessalien / oder vielmehr seiner frommen und Tugendhaften Gemahlin Elengie / zu danken: dann unter deren Aufsicht / bin ich / so lang ich des Gedächtnüs (welches gemeinlich der untersten Jahre sich schämet mich zu rühmen habe / mit ihren Töchtern / so sorgfältig und liebreich erzogen worden / daß ich eine Zeitlang nicht anderst gewust / als sey sie meine leibliche Mutter. Mit zuwachsenden Jahren aber / entdeckte sie mir / das ich nicht ihr / (das sie zwar wünschte) sondern ein fremdes Kind wäre / welches ihr Herr einst von einer Reise / auf deren er mich / seinem erzehlen nach / einem Wolf abgejagt / mit nach Hause gebracht: in einem solchen Alter / da ich zwar meinen Namen nennen können / von meinen Eltern aber eine so kindische Antwort gegeben / die ihnen mehr ein Gelächter erwegt / als einige Nachricht ertheilet.

Wie ich über dieser Zeitung erschrocken / kan ich nicht gnugsam beschreiben. Ich hielte mich vor die aller unseeligste / so iemals unter der Sonne gelebet /und unterließ nicht / mein Unglück mit heisen Thränen zu beklagen. Und ob gleich Elengie mich tröstete / mit versprechen / daß sie nichts desto weniger mir alle Wolthaten erweisen / und mich / gleich ihren eignen Töchtern / versorgen wolte: so war doch dieses mir eine Linderung / aber keine Heilung[354] meiner Wunden. Ich suchte zu solcher einen höhern Arzt / und bate das Orakel / nach vorhergehendem Opfer / üm eine Antwort von meinen Eltern und Vaterlande; worauf ich diese Antwort erhalten.


Woher du bist; kanst du iezt nicht erfahren.

Wer dich gezeugt / das wird nach wenig Jahren /

Dein zweyter Mann / dir können offenbaren.


Von dieser Nachricht / empfienge ich mehr Kummer /als Hülffe. Dann weil ich damals noch nicht an den ersten Mann gedachte / und die andere Ehe / (welche mir noch diese Stunde bedenklich fället) wo nicht einem Laster / doch einen grossen Fehler gleich hielte: konte ich keine Errettung hoffen. Also verzweiffelte ich ganz an Wiederfindung meiner Eltern /und nahme mir vor / die Einsamkeit zu erwehlen /auch weil ich ohne Geschlecht / und als todt unter den Menschen seyn muste / bey den Todten in ihren hinterlassenen Schriften zu leben: damit also dem Glück / welches schon meine Kindheit scheel angesehen / die fernere Verfolgung abgeschnitten / und der Flecken / den sie mir in einer ungewissen Geburt angehenget / durch die Kunst- und Tugend-Ubungen etlicher müssen ausgelescht würde.

Aber / was soll ich sagen? der Schluß des Himmels bleibet wol fest / ob gleich wir onmächtige Menschen uns dagegen auflehnen / und müssen wir dem Ziel /welches die ewige Versehung unserm Thun gestecket / wie verdrießlich es uns auch vorkommet / dannoch mit Willen zulauffen. Ich hatte diesen Vorsatz erst gefasset / als ich ihn schon wieder verliesse / und kaum einen Fuß aus der Kindheit in die Jugend gefetzet / als ich desselben gewönliche[355] Krankheit (ich will sagen die Liebe) empfande. Eine Seuche / welche so viel schwerer zu heilen ist / je leichter man in dieselbe gerähtet / und ie angenehmer sie denjenigen ist /die damit behaftet sind. Der Fels / an welchem das Schiff meiner Freyheit gescheitert / war Honede / ein Jüngling aus Thracien: welcher der Grausamkeit des Meers / nachdem das schwache Haus seiner Fahrt-Wohnung zerbrochen / auf einem kleinen Nachen entkommen / und an das Ufer gelangte / eben zu der Zeit / als Firmisco an demselben spaziren gienge /und diesen Verfolgten / wie er gewohnt war / mit sich nach seinem Schloß (das der See gar nahe lag) zur Herberge nahm. Seine gute Gestalt / anständige Sitten / höfliche und geschickte Gespräche / machten ihm allerwegen Freunde und Liebhaber / bewegten auch den Firmiscus / ihn zu bitten / daß er ihm so lang seine Gesellschaft gönnen wolte / biß er seinen Freunden von seinem Zustande hätte Nachricht ertheilet. Honede bedankte sich für das höfliche Anerbieten / und verwilligte so lang zu bleiben / biß er aus seinem Vatterland Antwort erhalten hätte.

Also wurde das Garn angesponnen / welches meine Jugend bestricken solte. Denn er hatte meiner nicht so bald wargenommen / da fühlte er (wie er mir nachmals erzehlet) eine solche Bewegung gegen mir /deren er ganz ungewohnt war: weil er biß dahin den Apfel / nemlich sich selbst / vielmehr der Pallas / als der buhlerischen Venus dargereichet / und nichtes mehrer / als die Liebe verfluchet. Er wiedersezte sich deßwegen ihren Fesseln zum heftigsten / und nahme die Vernunft (wiewohl vergeblich) zur Gehülffin /wieder diese Feindin.[356] Doch wurden die Augen zu stummen Verräthern / und zeigten mir / mit ihrem Nachsehen / wohin seine Gedanken zielten. Und ob ich wol / bey meiner unvorsichtigen Jugend / solche Sprache noch nicht verstunde / so war ich doch nicht ungeschickt / in derselben Erlernung / und wuste seinen Senfzen / mit solchen Blicken zu begegnen / die ihme mehr als eine gemeine Freundlichkeit zu erkennen gaben / und ihn nötigten / eine fernere Erklärung bey mir zu suchen. Es hatte ihm der See-Sturm / von allen den Köstlichkeiten / so er bey sich geführet /noch ein Stück fremdes Band / welches er / als eine Seltenheit / mit nach Hause bringen wolte / vielleicht zu seiner eignen Verknüpfung / übrig gelassen: Mit diesen gedachte er die jenige zu binden / welcher Bande er allbereit fühlte / und verehrte es mir / mit diesen Reim-Zeilen:


Weil eurer Augen Liecht schon lernet überwinden

Die Hertzen und Vernunft: und die noch schwache Hand

Der frenen Geister Sinn in eure Seele bannt:

So last / diß schlechte Band / euch Händ und Augen binden.


Die mit Blut überloffne Stirn / mit deren ich diese Zeilen lase / und die leichte Entschuldigung / welche ich seiner Anwerbung gabe / machten ihm nicht geringe Hoffnung / seinen Zweck zu erreichen / und meine Gegenliebe zu gewinnen. Daher er sich viel eifriger /als zuvor / darum bemühte. Hingegen war mein noch unreiffer Verstand viel zu onmächtig / dem Gewalt der Liebe zu widerstreben / vor welcher auch die allervernünftigsten ihre Waffen niederlegen. Die höfliche Gespräche / freundliche Bezeigungen / verliebte Gedichte und süß-klingende[357] Musiken / mit welchen Honede um meine Gewogenheit bate / waren lauter Geschütze / die Vestung meines Hertzens zu stürmen / und die Ubergab zu befördern. Also gieng ich springend in die Dienstbarkeit / wider die sich andere so lang sträuben / und erlangte / mit dieser Willfährigkeit / von der Liebe / eine nicht geringe Belohnung: dann sie gönnte uns beyden eine solche Freyheit / als jemals zwey Verliebte wünschen können; weil Firmiscus / wegen seiner Geschäfte / selten zu Hause war /Elengie aber / entweder unserer Freundschaft nicht warnahm / oder doch selbige nicht hintern wolte.

Dergestalt genossen wir eine Zeitlang das Honig der Liebe / und wusten nicht / daß der Stachel so nahe war / uns schmertzlich zu verwunden. Unsere Ergötzung hatte nunmehr den höchsten Grad einer keuschen Liebe erstiegen / und war an dem Rade des Glückes so hoch gekommen / daß sie notwendig entweder stillstehen / oder wider zurück gehen muste: Als Honede von seinen Freunden Schreiben erhielte /die ihn eilends nach Hause berieffen. Mit was Ungedult er diesen Befehl angenommen / und wie schmertzlich er diese unsre Trennung bewilitgt / will ich eurem eignen Urtheil zu bedenken heimstellen. Doch muste die Reise fortgehen / und nahm er / mit vielen Bitten / daß ich ihme beständig seyn wolte /von mir einen traurigen Abschied / neben Versprechung / so bald er sich von seinen Freunden loß wirken könde / wieder zukehren. Also zoge er mehr todt /als lebendig hinweg / und hinterliesse mich in einem solchen Zusiande / daß ich eine Zeitlang als ohne Seele lebte: weil ich dergleichen Schmertzen noch ungewohnt / und bißher nur die[358] süsse Früchte der Liebe / nicht aber ihre bittere Wurtzel / gekostet hatte. Doch machten die angenehme Brieflein / welche billig eine Artznei der Verliebten zu nennen / daß ich allmählig Gedult lernete: biß eine neue Widerwertigkeit solche Ruhe zerstörete. Es kame kurtz nach des Honede Abzug / ein naher Verwandter des Firmisco / Kilenfre genannt / aus der Fremde auf unsrem Schloß an / und wurde von Firmisco gar höflich empfangen /und freundlich bewirtet. Dieser hatte / da er mich kaum ersehen / zu meinen Unglück / in mich sich verliebet / und suchte alle Gelegenheit zu meiner Bedienung. Ein Gefäß / das allbereit voll ist / vermag auch das allerköstlichste Oel nicht mehr zu fassen. Weil mein Hertz schon mit Honede Liebe erfüllet war /konten des Kilenfre Anwerbungen / dessen Beschaffenheiten sonst liebreich waren / kein Gehör erhalten /sondern ich flohe seine Gegenwart / so viel ich konte /und wolte von seiner Liebe nichts wissen. Er hingegen liebte mich / mit solcher Halsstarrigkeit / daß er alle abschlägige / unfreundliche und verächtliche Antworten von mir gedultete: in Hoffnung / daß meine Jugend / welche er der Liebe noch unfähig achtete /mit der Zeit ihr Unrecht selbst erkennen / und seine Beständigkeit belohnen würde. Also lebte ich unter seinen verdrießlichen Aufwartungen / biß Firmisco seines Verlangens gewar und bedacht wurde / uns beyde miteinander zu verehlichen. Er entdeckte solches dem Kilenfre / der es mir wieder mit Freuden erzehlte. Diß war ein neuer Streich des Unglücks / welcher mir alle Hoffnung erlähmete. Dem Firmiscus zu widerstreben / von welchem ich so viel Wolthaten empfangen / wäre ein Undank[359] gewesen: einen andern aber / auser Honede / zu erwchlen / muste ich für lasterhaft achten.

In dieser aussersten Bedrängnüs / nahme ich meine Zuflucht zu Elengie / und entdeckte ihr / wie ich mich schon an Honede ergeben / und viel lieber mit dem Grab / als mit einen andern wolte vermählen lassen. Diese billigte meinen Vorsatz (dann sie ware dem Kilenfre nicht sonders gewogen) und riehte mir / daß ich alsobald den Honede durch ein Brieflein beruffen solte: da sie dann uns fernere Mittel / unsern Wunsch zu befördern / zeigen wolte. Diesem Befehl kame ich ungeseumt nach / und liesse ein Brieflein an Honede abgehen / welches meines behalts also lautete.


Wann ihr mich liebet / mein wehrter Honede! wie ihr mir dessen allezeit Proben gegeben / so werdet ihr nicht länger aussen bleiben / eine betrübte Secle zu trösten / welche stirbt aus Verlangen / euch zu sehen. Lasset euch auch die Gefahr hierzu ermahnen / da ich / ohn eure Hülffe / in kurtzen / eines andern Armen zu theil werden soll. Ich erwarte euer mit so grosser Ungedult / als es euer Verdienst und meine Liebe erfordert /

eure beständige

Macarie.


Dieses Brieflein empfinge Honede als er eben den jenigen begraben liesse / welcher bißher seine wider-Abreise verhindert hatte. Daher er iezt dieselbe mit solcher Geschwindigkeit vornahme / wie es der Eifer seiner Liebe erfordert. Die Winde waren ihm so günstig / das er in wenig Tagen bey uns anlangte / und zwar eben in einer solchen Zeit / da[360] gleich Firmisco mit Kilenfre auf der Jagt war / und ihm also gnug Raum gabe / den Anschlag der Elengie zu vernehmen. Diese erzehlte ihm nicht allein meinen Zustand / und wie ich unter ihre Verpflegung kommen / sondern auch des Firmisco Vorhaben / mich mit Kilenfre zu verehlichen / und riehte ihm / er solte (dafern er mich liebte) gegen ihren Eheherrn vorgeben / als hätte er in hiesiger Gegend einen Schäfer (dann daß ich von solchem Stande gebohren / hatten meine Kleider bezeuget) gefunden / welcher über den Verlust seines Töchterleins geklaget / und von desselben Verlierung so viel erzehlet / daß er aus allen Umständen geschlossen / er müste mein Vatter seyn / auch ihme meinen Zustand entdecket: worüber er sich höchst erfreuet /und ihn / den Honede / gebeten hätte / ihm seine Tochter Macarie / die er auf sein Bitten ihm ehlich versprochen / zuzuführen / und solte er um Macarien. Abfolgung und Antrauung den Firmiscas ersuchen /neben vieler Danksagung / vor die Erziehung dieser seiner Tochter. Diesem Anbringen / gabe sie einen Brief / als wäre er von meinem Vatter geschrieben /zum Gehülffen / und machte die Sache so scheinbar /das Firmisco keine Ursach zu zweiffeln fassen konte.

Der Betrug gienge lustig von statten / und gabe Firmisco den Worten des Honede / den er ohne das sehr liebte / so sichern Glauben / daß er die göttliche Vorschung bewunderte / ihm zu unsrer Verehlichung Glück wünschte / und nun sich bedachte / wie er Kilenfre / dem er mich schon halb zugesagt hatte / wieder begütigen möchte. Und erscheinet hieraus / daß auch die allerklügste Männer / von[361] der List ihrer Weiber bißweilen geäffet werden. Hierauf wurde die Hochzeit mit Freuden vollzogen: da auch Kilenfre /wie sehr er sich erstlich widersetzet / die Schickung des Himmels erkennte / und / an statt meines Liebsten / unser Freund wurde. Diß waren also die erwünschte Früchte / so unsre Beständigkeit getragen.

Aber / wo nun hinaus? unserm Vorgeben gemäß /musten wir / bald nach der Hochzeit / fortziehen / und zwar in ein uns-unbekantes Land: weil Honede keine Liebste in sein Vatterland bringen dorfte / als der daselbst eine andere heuraten sollen. Ob mir dieses hart angekommen / ist wol zu erachten / weil ich biß dahin zart war erzogen worden. Doch machte die Liebe zu meinem Honede / daß ich alle Noht und Getahr vor nichts achtete / nun ich nur seine Beywohnung genosse. Also segelten wir / nach einem von Firmisco und Elengie genommenen freundlichen und Dank-sprechigen Abschied / mit guten Wind ab / und durchfuhren etliche Landschaften / deren doch keine meinem Honede anstehen wolte. Endlich nötigte uns / ein unvermuteter Sturm / wider unsern Willen an dieser Insul anzuländen: Und weil sie ihm / wegen der Einsamkeit / deren er von Natur ergeben war / nicht übel gefiele / beschlosse er eine Zeitlang hier zu verziehen. Es schickte sich aber / daß die Inwohner / als sie seine Gaben erkanten / ihn zu ihren Vorsteher erkiesten /und sehnlich baten: er möchte doch in ihren Schluß willigen / und ihnen seine beständige Beywohnung gönnen. Er verwilligte / auf mein Begehren / hier zu bleiben / und wurde von den Inwohnern so freundlich bewirtet / daß es ihn nicht wenig erfreuet.[362] Niemals habe ich das Glück verliebter / als von selbiger Zeit an / mit mir schertzend befunden. Ich genosse einer so liebreichen Ehe / daß ich darinn nichts dann die Kürtze zubeklagen hatte / und Honede den Wind rühmete /welcher uns an diese Gegend getrieben. Aber ach! der betrüglichen Freude der Sterblichen! kaum hatten die Kertzen seiner Ehre und seines Glücks angefangen zu brennen / als sie / das boßhafte Glück / zu seinen Leich-Fackeln mißbrauchte / und mir / durch einen so unversehenen Zufall / meinen Honede / aus den Armen risse / daß ich eben so bald seinen erblassten Cörper vor mir gesehen / als ich seiner Krankheit gewar worden. Bey diesen Worten / begunten die Thränen / welche schon lang vor den Thoren ihrer Augen einen Ausgang gesuchet / die Rede Macarien zu schliessen / also das Polyphilus / der eine solche Bewegung seiner Liebe nicht zuträglich achtete / sie anfangen wolte zu trösten / aber bald sie also fortreden hörte: Es wundere euch nicht / mein Polyphilus! das ich diß mehr mit Thränen / als Worten erzehle. Ein solcher Verlust / kan mit trocknen Augen von keinem empfindlichen beklaget worden. Und dieses ist also / der verdrießliche Lebens-Lauf / eurer unseeligen Macarie: welcher euch billig bewegen solte / die jenige zu hassen / die von der Wiegen an / eine erbärmliche Schaubühne der Wiederwärtigkeiten seyn muß. Mir aber / solte es billig eine Warnung seyn /keinen andern weiter mit meinem Unglück zu verwickeln: wie ich dann gäntzlich gesonnen war / nachdem mir der Tod mit meinen Honede alle Freude ins Grab gelegt / die übrige Zeit meines betrübten Lebens / der Einsamkeit aufzuopfern.[363] Massen ich auch / meinen ersten Brief an euch / mit Abmahnungen angefüllet /und nur der Traurigkeit einen Tempel in meinem Gemüte bauen wolte.

Das wäre zuviel gewesen (fiel ihr Polyphilus / der dieses nicht anhören konte / in die Rede /) man muß /bey Traurigkeit / seiner eignen Wolfart nicht vergessen. Der Himmel fordert Gedult / aber keine Halsstarrigkeit. Er führet uns öffters / durch einen bösen Weg / zu einem guten Ziel. Ja er ist so gütig / daß er /noch vor dem Unglück / schon die Hülffe beschliesset. Vielleicht will er durch meine Liebe ersetzen /was sie so sehnlich beklaget. Ich hoffe auch / ihrem Honede / wo nicht in der Würde / doch in beständiger Liebe / zu gleichen. Und nun ich die Weissagung vernommen / werde ich auch nicht ablassen / biß ich ihre Eltern gefunden / und also ihr Unglück gewendet habe. Daß sind lauter Gründe / (gab Macarie zur Antwort) die meinen Begierden schmeicheln. Was soll ich sagen? Ich muß gehen / wohin mich mein Verhängnüs führet / ich thue es gleich willig / oder gezwungen. Doch sage ich / das ich der Liebe / und nicht der Vernunft folge: dann also fordert es mein Geschick / welchem ich mich schon oft / aber allezeit vergeblich / widersetzet. Es ist auch am sichersten /(sagte Polyphilus) dem jenigen nachgehen / welchem die Wege bekandt sind. Ein Hertze / das GOtt nicht folget / gehet einen gefährliche Irrweg / und kan gar leichtlich in die Grube des Verderbens stürtzen. Ihre Tugend / geliebte Macarie! wie sie bißher alle Versuchungen hertzhaft überwunden / also wird sie sich durch einenoch geringe wart nicht ungedultig machen lassen. Ich wil unsere Verbündnüs nach[364] allen Kräften befördern / auch nicht ruhen / biß ich ihre Klage in Freude verwandelt. Hieran sollet ihr nicht zweiffeln /wehrter Polyphilus! antwortete Macarie. Ich will das Ziel / welches der Himmel unsrer Errettung bestimmet / gar gern erwarten / und indessen hoffen / er werde / nun ich die göttliche Zusage eröffnet / ihm angelegen seyn lassen / die jenigen zu suchen / welche sonder zweiffel schon lange nach mir gesuchet.

Dieses versprache Polyphilus / und nahm also /weil es begunte finster zu werden / dißmal seinen Abschied. Macarie wünschte ihm nochmals Glück zur Reise / und bate / er möchte ihr doch / sein weisses Hündlein / das er mit sich führte / und wegen der vielen rohten Bänder / damit es gezieret / wohl behaltens wehrt war / so lang gönnen / biß er wieder zurück käme. Gar gern (versezte Polyphilus) wann es nur nicht beschwerlich ist. Aber du viel glückseeligers Thier / als ich bin (sagte er / sich gegen den Hund wendend) wie gern wolte ich dir jetzo dein Glück abkauffen. Du hast die Freyheit / bey meiner Liebsten zu bleiben: ich aber muß sie mit Seufzen verlassen. Nun so bewache dann die jenige sorgfältig / vor welche ich ohne unterlaß wache / und wisse / daß ich dir diese Treue nicht unvergolten lassen will. Durch diesen Schertz erlangte Polyphilus noch einen Kuß von seiner Macarie / und verfügte sich damit / halb freudig /wegen der Gewißheit seiner Mutmassung / und halb traurig / wegen des Scheidens / wieder zu dem Talypsidamus Dieser wolte sie selbigen Abend nicht erlassen / sondern bate sie / die Nacht bey ihm zu bleiben /mit Versprechen / daß er ihnen des andern Morgens[365] seinen Jungen mit geben wolte / ihnen die nächste Strasse zu zeigen. Die Liebe und vertraulichkeit / mit welcher sie ihm verbunden / ließ nicht zu / ihm diese Vitte zu versagen. Also blieben sie selbige Nacht bey ihm / und ergezten sich / neben einer köstlichen Malzeit / mit einem gar freundlichen und liebreichen Gespräche. Am Morgen / wolten sie gar früh Abschied nehmen. Aber Talypsidamus liesse zuvor ein Frühstück zurichten / und nötigte sie dasselbe einzunehmen: worauf sie / nach vieler Bedankung / ihre Strasse reiseten.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 2, Nürnberg 1673, S. 350-366.
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