Elegie

1783.


An meine Neffen, die Grafen Johann Hartwig Ernst, Andreas und Christian Günther von Bernstorff, bei ihrer Einsegnung, bald nach dem Tode ihrer Mutter.


Tretet näher zu Gottes Altar, ihr Jünglinge, hebet

Freudig das Aug' und empor freudig die Rechte des Schwurs!

Scheuet nicht den ernsteren Eid, der dem Feigen nur furchtbar

Ist, denn der nur verläßt fliehend die Fahne des Heers.

So nicht ihr! deß bin ich euch Bürg'! und wolltet, o ihr, die

Einer Lüge noch je Keiner vermochte zu zeih'n,

Wolltet ihr heute zeugen der Falschheit Zeugniß, es zeugen

Wider euch selber, und hier, stehend am Fuß des Altars?[334]

Kommt, was säumet ihr? gebt mir die Rechte, gebt mir die Linke,

Lasset uns eilen, mich faßt höherer Ahnung Gefühl!

O, daß euch, wie einst dem Zeugen, der heiliges Zeugniß

Zeugte, als ihn hinab rann von den Steinen das Blut,

O, daß euch in der Stunde der Feier der Himmel sich aufthät',

Ihr dann schautet hinein – sähet und weintet – und säht

Sie mit ausgebreiteten Armen, schlagendem Busen,

Ach und blässerer Wang' und mit der Thrän' in dem Blick,

Himmlische Thränen zwar auf himmlischer Wange! doch weinend

Sähet und flehend ihr Sie, so wie die Mütter nur flehn,

Sähet die mütterlichste der Mütter, säht sie an Gottes

Thron Erbarmung für euch flehen, Erbarmung für Euch!

O wer liebte wie Sie! – ich wende mich, Kinder, verhülle

Mich und weine mit euch – Kinder, wer liebte wie Sie! –

Siehe, sie kniet an der Schwelle des Thrones, die Krone geworfen

Vor sich nieder, des Siegs Palme zu Boden gesenkt.[335]

Bittende Hände streckt sie empor, zu Schimmer erblasset

Ihres Gewandes Glanz, ach, und die Harfe verstummt!

Lauter und lauter erschallet das Flehen der Mutter, es beben

Ihre Lippen, es stürzt heller die Thrän' in den Schooß,

Gnade, Gnade! fleht sie für euch – erbarmet der Mutter –

Bleibet redlich und fromm! – Kinder, erbarmet euch ihr!

So wie der Jüngstgeborne der sieben Söhne der Mutter

Sich erbarmet' und starb, o so erbarmet euch ihr,

Kinder, und lebet, und wallet auch ihr den Pfad, den sie selber

Wallete, ach, ihr saht, wie sie ihn strahlend beschloß! –

Saht, wie der Tod nicht Tod ihr war! – O daß ich's vermöchte

Auszureden! und, o, daß ich ihn stürbe den Tod

Dieser Gerechten! – und ihr! daß einst am Tage der Tage

Auch mit schlagender Brust, auch an der Schwelle des Throns,

Auch mit bebenden Lippen und ausgebreiteten Armen,

Kniee, flehend nicht mehr! dankend mit innigstem Dank,[336]

Eure Mutter! Siehe, wie Sonnen leuchtet die Krone,

Und das Gewand, als gewebt hell von des Sirius Strahl,

Siehe, die Palme wehet empor und die Harfe verstummet

Nun nicht mehr, sie tönt Jubel und preisenden Dank.

Lauter und lauter erschallet die Freude der Mutter, ihr rinnen

Thränen der Lieb' und der Wonn' über die Wang' in den Schooß.

Theure Sprossen, erbarmet euch ihr! daß die frohste der Mütter

Schnell sich erheb' und euch, selige Schaar, zu dem Thron

Führ', und sich niederwerfend mit euch, in der Stimme des Jubels

Laut ausrufe – erbarmt, Kinder, erbarmet euch ihr! –

»Herr, hier sind wir, Mann und Weib und alle die Kinder,

Dir Anbetung und Dank! die du gegeben uns hast.«

Ach, daß dann sich erhüb' auch meine dankende Stimme!

Denn ich lieb' euch, und mehr, Kinder, vermöcht' ich es nicht,

Hätt' ich auch selbst euch gezeugt und hätte meiner Luise

Schooß euch geboren, genährt Sie euch aus säugender Brust.[337]

Aber ach, mich schaudert und Todesschrecken umhüllen

Mich, die Leyer entsinkt meiner erbebenden Hand!

Ach, wenn einst an dem Tage der Tage, wenn Sie mit der Sehnsucht

Ungestüm – ach erbarmt, Kinder, euch ihr! – wenn sie dann

Ueberschaute mit Mutterblicken das Häuflein der Lieben,

Ach, und ihr forschender Blick suchte dann Einen umsonst!

O, dann wäre der Himmel für Sie nicht Himmel! wie Rahel

Auf den Gebirgen einst jammernde Klagen erhub,

Weinend irrte die Mutter umher und verschmähte die Tröstung,

Denn mit den Kindern war's und mit den Säuglingen aus.

Ach, so würde sie jammernd, daß alle Gebirge des Himmels

Wiederhallten, das Kind fordern, das sie nicht fand!

Wie der Hirte die Neunundneunzig, so würde die Zwölfe

Sie verlassen, und ach! suchen das Eine umsonst.

Das sei fern', o Gott der Götter! erbarme der Mutter

Du dich, o und Sein, deß den sie liebte, der dir

Reine Hände der Unschuld erhub als Jüngling und dir jetzt –

Furchtbar traf ihn dein Schwert! – feuriger dienet als Mann.[338]

Edle, ihr seyd entsprossen aus Heldenblute! Die Väter

Waren bieder und fromm, züchtig die Mütter und fromm,

Waren Säulen in Gottes Tempel, Väter und Mütter,

O, die blicken auf euch nun von den Wolken herab!

Kommt, ihr Jünglinge, tretet zu Gottes Altar und erhebet

Freudig das Aug' und erhebt freudig die Rechte des Schwurs!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 1, Hamburg 1820, S. 316-317,334-339.
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