Eingeschrieben in das Stammbuch meiner Nichte, Nandine, Gräfinn von Bernstorff, gebornen Freiherrinn von Hammerstein

1813.


Wohl oftmal, wenn ich locke, kommt geflogen,

Wie's Turteltäubchen mir durch's Fenster schwebt,

Die Mus' in süßer Liebe mir gewogen;

Und folgsam meiner Leyer Sait' erbebt;

Nicht mein ist, ihren Lippen ist entsogen

Der Sang, der sich mit meiner Stimm' erhebt,

Er schweift umher, und wohl will ich mich hüten,

Dem freien Flug als Steurer zu gebieten.


Doch Göttermädchen hat auch ihre Launen,

Mir weigert meine Bitte Jahre lang

Sie schon, vertrau' ich's euch ihr werdet staunen,

Denn mir gebührt Gewährung und ihr Dank;

Ich fleh' umsonst, sie woll' in's Ohr mir raunen,

Was ohne sie dem Sänger nie gelang,

Und zwar für Dich, der ich als Ritter diene,

Die liebt, und wie! der alte Ohm, Nandine!
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In ihre Grillen muß ich wohl mich fügen,

Und schöpfen, was im eignen Born mir quillt,

Doch wird ein schlichtes Sprüchlein Dir genügen,

Das ohne Muse nun dies Blättchen füllt? – –

Da schwebt Sie her! In ihren Himmelszügen

Dem Seherblick das Räthsel sich enthüllt,

Sie wollte zwischen Dir und mir die Dritte

Nicht seyn, drum blieb sie spröde meiner Bitte.


Die lose Nymphe spottet, laß sie scherzen,

Ich drück' indessen Deine zarte Hand

An meine Lipp' und warm wallt mir im Herzen

Der Freude Dank für unser Sippschaftsband.

Ach, aber nicht vermag ich's zu verschmerzen,

Daß zwischen uns sich dehnt ein weites Land!

Wollst oft vergönnen Deiner Engelmiene

Holdseligen Genuß mir, o Nandine!

Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 2, Hamburg 1820, S. 277-278,280-281.
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