32. Freiheits-Gesang aus dem zwanzigsten Jahrhundert

[67] Juni 1775.


Talia saecla, suis dixerunt, currite! fusis

Concordes stabili fatorum numine paucae.

Virgil.


Sonne, du säumst!

Sonne, du säumst!

Weilen dich kühlende

Wellen des Meeres?

Sonne, du säumst!
[67]

Komm herauf zu uns! Es harret

Dein ein freies Volk!

Wende deine Feuerblicke

Von den Sklaven Völkern ab!

Komm herauf zu uns! Es harret

Dein ein freies Volk!


Siehe sie kommt!

Siehe sie kommt!

Sie vergüldet die Berge,

Sie rötet den Hain,

Und silbern rauschet der Strom in das finstre Thal!


Wir sahen dich einst,

Rauschender Strom,

Mitten im fliegenden Laufe gehemmt!

Bebend und bleich,

Wehend das Haar,

Stürzte der Tyrannen Flucht

Sich in deine wilden Wellen,

In die felsenwälzende Wellen

Stürzten sich die Freien nach;

Sanfter wallten deine Wellen!

Der Tyrannen Rosse Blut,

Der Tyrannen Knechte Blut,[68]

Der Tyrannen Blut!

Der Tyrannen Blut!

Der Tyrannen Blut,

Färbte deine blauen Wellen,

Deine felsenwälzende Wellen!


Das Schilfblatt troff

Und die Erle von der Erschlagnen Blut!

Um den krausen Dornstrauch wickelte sich das Gewand

Der Toten, wirrte sich in ihm der Toten Haar!


An dem Hange des Felsen lag

Der Völkerdränger Karl mit starrendem Arm;

Neben ihm schimmerte, zersplittert, sein Schwert,

Und über ihm wälzte sich schwer sein verwundetes Roß!


Es erstickte der Lästerung Wort und des Befehls

In der bang-geängsteten Brust;

Halbverlöschend, noch wild, drehte sich sein Aug' und bat

Jedes zückende Schwert, jeden gehobnen Arm um den Tod!

Aber versagt ward ihm des Schwerts und der Tod des Arms!

Der Söhne Deutschlands erbarmte nicht einer sich sein!

Zeichnete nicht seine Stirne Gottes Fluch?

Schwebte nicht, wie über das Aas der Adler schwebt,

Schwebte nicht so, sichtbar, über ihm die Rache des Herrn?


Drei Tage lag er blutig, und drei Nächte so,

Umflattert von der Raben Heer!

Die Zuckungen seiner Qualen scheuchten der Raben Heer;

Noch lebend ward er endlich nächtlicher Wölfe Raub!


Es fiel, ach! es fiel,

Heinrich fiel,

Jüngling und Held!

Es weinte die Mutter,

Weinten die Schwestern;

Im Grame starb sein junges Weib!

Ach, in ihrem keuschen Schoße

Starb mit ihr ein Heldenkind![69]

Öde trauren um die Sprosse

Seines edlen Heldenstammes

Remlings anmutsvolle Thale

Und das alternde Kastell!


Nicht einer entrann

Von der Sklaven Heer!

Wie der Sturm mit herbstlichem Laube

Quellen des Thales bedeckt,

So bedeckte lang und breit den Strom

Des Sklavenheeres Leichnam!


Die Herde floh

Und dürstend das Roß vom blutigen Strom.

Kein Sohn des Waldes nahte sich ihm;

Nur der Rabe trank und der Adler und der Wolf!


Auf Bergen erscholl der Sieger Gesang,

Und rollte freudige Donner ins Thal,

Gesänge der Jungfrauen tönten darein:

So flöten Nachtigallen

Beim Felsenquell.


Hoch schwingt, tief schwingt, wild sich umher

Der Adler des Gesangs!

In Blutgefilden weilen Geier unter ihm, denn wir siegten oft.

Er eilet, er eilet, er schwebt

Über der letzten Schlacht mit steifem Fittich!


Es glühte der Mittag; es rann

Der Helden Schweiß auf zertretnes Gras;

Kühlung des Waldes umwehete nur den Feind.

Drei Stunden wankte zwischen uns und ihnen der Sieg,

Wie rötlicht die Saat wanket auf Hügeln hin und her.

Da brachen hervor neue Scharen aus des Waldes Höh,

Mit Waffengetös und lautem Geschrei!

Langsam, wie des Oceanes Ebbe,

Wich der Freien linkes Heer![70]

Da sprengten hervor,

Auf schäumenden Rossen,

Wie zückende Blitze,

Zween Jünglinge, Stolberg ihr Name, Reisige hinter ihnen her!


Wie der Rhein vom jähen Felsen herab

Seine Donner stürzet und ewigen Schaum,

Mit des Adlers Eile, des Meeres Schall,

So die Heldenschar auf den staunenden Feind!


Stolberg fochten und sanken dahin

Den schönen Tod,

Den blutigen Tod,

Den Freiheitstod!

Keine feige Klag' erschall

Bei der Helden frühen Fall!

Einer ihrer Väter wünschte

Mit der heißen Jünglingsthräne

Sich den schönen, blutigen Freiheitstod!

Zitternd flossen ins Silbergewebe

Der Harfe die Thränen der Sehnsucht hinab!


Siehe, da sah er,

In heiliger Stunde,

Jenseit Jahrhunderten,

Schlachten der Freiheit!

Sah die Heldenenkel fallen;

O wie schlug sein Herz für Wonne!

Seine heiße Thräne stürzte

In der Harfe Silbersturm!


Die Sonne war gesunken; der Abend

Kühlte mit rötenden Flügeln

Den alten Rhein;

Noch donnerte laut, noch blitzte die Schlacht!

Von Zinnen des Himmels

Schauten, durch purpurne Wolken,

Hermann freudig und Tell und Luther herab auf unser Heer![71]

Atmeten uns zu

Festen Entschluß,

Stärke der Götter und deutschen Mut!


Die Feinde sahn auf

Mit lechzenden Blicken

Zur säumenden Dämmrung:

Die Dämmerung kam;

Sie wankten, sie wichen,

Sie gossen sich aus übers Gefild in zerstreuter Flucht!

Wir gossen uns nach

Mit triefendem Schwert!

Sie hofften, es würde sie bergen

Im faltigen Mantel

Die schwarze Nacht;

Siehe da ging ihnen auf übers Tannengebirg

Der zürnende Mond

Blutig und voll!


Verderbende Nacht!

Heilig und hehr

Dem freien Volke!

Mehr jedem Deutschen, denn die Stunde der Geburt!

Heilig und hehr,

Wie in den Armen der errötenden Braut die süße Nacht!


Auf Bergen erscholl der Sieger Gesang!

Der Helden Gesang, der Freien Gesang!

Und rollte freudige Donner ins Thal!

Gesänge der Jungfrauen tönten darein:

So rauschen Wasserfälle

Zum Donner des Meeres am Felsengestad!


Du bist frei! du bist frei!

Deutschland, frei!

Stolz stehest du da unter den Nationen um dich her!

Wie der Brocken stolz, wenn der Morgenröte Licht

Seine Scheitel rötet, noch finster unter ihm

Liegen die Thale, und nur dämmern die Gipfel um ihn her![72]

Willkommen, Jahrhundert der Freiheit!

Göttin willkommen!

Du schönste Tochter der spätgebärenden Zeit!

Sie gebar dich mit Schmerzen, und sprang staunend auf,

Da geboren war das mächtige Kind!

Zitternd nahm sie dich in den mütterlichen Arm;

Freudige Schauer rauschten ihre Glieder hinab auf ihr Gewand;

Feierlich küßte sie deine Stirn,

Und Prophezeiung entquoll ihren Lippen, wie ein Strom:


»Tochter, du nimmst hinweg deiner Mutter Schmach!

Und rächst deiner Schwester weinenden Gram!

Unwillig krümmten sie im Alter sich hinab ins Grab;

Denn in Locken der Jugend hoffte jede zu führen das Schwert,

Und deine Wage, Vergelterin!

Schon lächelst du stolz an deiner Mutter Brust,

Schon flammt dein blauer rollender Blick,

Schon greifest du mich stark an mit der zarten Hand;

Bald tönen um deine Wiege herum

Waffengetös und der Sieger Gesang!

Du wächsest schnell auf! ich sehe dich schon

In schöner weiblicher Riesengestalt,

Mit zückenden Wettern im vertilgenden Aug,

Mit wild hinfliegendem goldenem Haar!

Donner entrollen deinem Fußtritt, und es stürzen dahin

Die Throne, in die goldnen Trümmer die Tyrannen dahin!

Du gießest aus mit blutiger Hand der Freiheit Strom!

Er ergießt sich über Deutschland; Segen blüht

An seinen Ufern, wie Blumen an der Wiese Quell.«


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 67-73.
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