50. Winterlied

[99] 1776.


Wenn ich einmal der Stadt entrinn',

Wird mir so wohl in meinem Sinn,

Ich grüße Himmel, Meer und Feld

In meiner lieben Gotteswelt.


Ich sehe froh und frisch hinein,

So glücklich wie ein Vögelein,

Das aus dem engen Käficht fleucht,

Und singend in die Lüfte steigt.


Auch sieht mich alles freundlich an,

Im Schmuck des Winters angethan:

Das Meer gepanzert, weiß und hart;

Der krause Wald, der blinkend starrt.


Der lieben Sänger buntes Heer

Hüpft auf den Ästen hin und her,

Und sonnet sich am jungen Licht,

Das durch die braunen Zweige bricht.


Hier keimt die zarte Saat empor,

Und kucket aus dem Schnee hervor;

Dort lockt des Thales weiches Moos

Das junge Reh auf seinen Schoß.


Natur, du wirst mir nimmer alt

In deiner wechselnden Gestalt!

Natur, so hehr, so wunderbar,

Und doch so traut, und doch so wahr!
[99]

Auf! Atalante, renne frisch!

Ich wittre schon den frohen Tisch.

Der goldne Haber harret dein,

Und mein der goldne deutsche Wein!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 99-100.
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