65. Lied

[128] 1779.


Ich ging im Mondenschimmer

Mit Lyda Hand in Hand;

Ach ich vergesse nimmer,

Was da mein Herz empfand!


Bald schien die Nacht mir lauer,

Als ich vorher sie fand,

Bald eilten kalte Schauer

Aus mir in ihre Hand.


Auf ihren Augen schwebte

Des Mondes Silberschein,

Auf ihren Lippen bebte

Sein sanfter Strahl so rein.


Der Liebe Thränen bebten

Aus meinem Aug' hervor,

Und leise Seufzer schwebten

Hinauf zu Lydas Ohr.


Sie schwieg, doch eine Thräne

Bebt' ihr im Auge hell,

Der Mond schwamm auf der Thräne,

Wie auf dem Wiesenquell.


Ich schwieg, und sah die Thräne;

Sie meint', ich säh' sie nicht;

Der Mond schwamm mit der Thräne

Hinab in ihr Gesicht.
[129]

Nun schwanden Mond und Erde

Vor meinem Angesicht,

Nur Lyda blieb – ich werde

So selig wieder nicht!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 128-130.
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