Die neue französische Muse

[249] Sie schläft, ein südlich glühend Weib

Auf blut'gem, tränenfeuchtem Pfühl,

Bloß jedem Auge liegt ihr Leib,

Und üppig ist sein Gliederspiel.


Sie träumt – es ist ein wüster Traum!

Von Stirn und Schläfen tropft es kalt,

Auf heißem Munde steht der Schaum,

Der Atem kocht, die Lippe lallt.


Ihr Busen flutet regellos,

Ihr Schwarzhaar sträubt sich wild zerworr'n,

Die Glieder schüttelt Fieberstoß,

Die vollen Arme strafft der Zorn.


Es knistert schaudernd Zahn auf Zahn,

Die Hände ballt der inn're Krampf,

Das Hirn umflattert Schwank und Wahn,

Ein böser Traum, ein harter Kampf.


Es liegt auf ihr ein Ungeheu'r

Und drückt die Krallen ihr ins Fleisch,

Haucht in den Mund ihr Glut und Feu'r

Und füllt ihr Ohr mit Wutgekreisch.


Es saugt ihr Mark und zaust ihr Haar,

Und schlägt mit Flügeln naß und kalt,

Bald Lindwurm scheint, bald Greif, bald Aar,

Bald Vampir scheint die Graungestalt.


Und grimmer wird des Schauders Macht

Und wuchtender des Fittichs Schlag; –

Da haut durchs Greulgeweb' der Nacht

Mit rotem Flammenschwert der Tag.


Sie fährt empor, ihr Blick ist stier,

Sie atmet auf, vom Licht erquickt,

Was lastete als Alp auf ihr?

Ein Melodram' hat sie gedrückt.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 249-250.
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