Vorüber

[263] Im Dorfe gellt des Wächters Ruf,

Ich fahre durch die schwüle Nacht,

Den sprühenden Kiesel haut der Huf,

Die dampfende Achse stöhnt und kracht.


Ich fahr' an meiner Dame Schloß

Vorüber in die Weite trüb.

Ich darf nicht sagen: »Steh, mein Roß!«

Und nicht: »Gut Nacht, mein süßes Lieb!«


Du träumst, o Herrin! – träume süß

Und träume uns ein beßres Glück!

Ein Traum nur ist das Paradies

Und jeder sel'ge Augenblick.


Du träumst, o Herrin, – träume hold!

Und breche nicht des Schlummers Kraft

Der Wagen, der vorüberrollt

Mit mir und meiner Leidenschaft!


Nicht störe Dich mein Auge wild,

Das brennend durch die Nächte sprüht!

Nicht fließe in Dein Traumgebild

Das wohllautlose Klagelied!


Nicht störe Dich mein tobend Herz,

Das ich im Busen halte kaum:

Nicht würdig ist des Sünders Schmerz,

Zu stören einen Engelstraum.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 263-264.
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