Romanze vom Rezensenten

[159] Rezensent, der tapfre Ritter,

Steigt zu Rosse, kühn und stolz;

Ist's kein Hengst aus Andalusien,

Ist es doch ein Bock von Holz.

Statt des Schwerts die scharfe Feder

Zieht er kampfbereit vom Ohr,

Schiebt statt des Visiers die Brille

Den entbrannten Augen vor.

Publikum, die edle Dame,

Schwebt in tausendfacher Not,

Seit ihr bald, barbarisch schnaubend,

Ein Siegfriedscher Lindwurm droht,

Bald ein süßer Sonettiste

Sie mit Lautenklimpern lockt,

Bald ein Mönch ihr mystisch predigt,

Daß ihr die Besinnung stockt.

Rezensent, der tapfre Ritter,

Hält sich gut im Drachenmord,

Schlägt in Splitter alle Lauten,

Stürzt den Mönch vom Kanzelbord.

Dennoch will er, groß bescheiden,

Daß ihn niemand nennen soll,

Und den Schild des Helden zeichnet

Kaum ein Schriftzug rätselvoll.

Rezensent, du Hort der Schwachen,

Sei uns immer treu und hold!

Nimm zum Lohn des Himmels Segen,

Des Verlegers Ehrensold!
[159]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 1, München 1980, S. 159-160.
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