Der wahre Muth

[145] Mit blindem Ungestüm, in zweifelhaften Schlachten,

Die drohende Gefahr verachten,

Dem Tod entgegen gehn, ist oft erkaufte Wuth,

Nicht Lorbeernwerther Heldenmuth.
[145]

Dort, wo die Menschheit schläft, in einer Welt von Wilden,

In Irokesischen Gefilden,

Verströmt ein Barbar oft so freudig, als der Held,

Sein Blut aufs Leichenvolle Feld.


Doch soll ich wahren Muth mit güldnen Saiten preisen,

Wo find ich ihn, als bey dem Weisen,

Der mit Gelassenheit, nicht stoisch aufgebläht,

An sein bestimmtes Leiden geht?


Der Tod umschattet ihn mit schnellen Finsternissen,

Ruft unbewegt in seinen Schlüssen,

Ihn aus der Freundschaft Arm, und aus der Liebe Schoos,

Und findet ihn bereit und groß:


Groß, wann voll Furcht und Angst die Könige der Erden

So klein, als ihre Sklaven werden,

Und vor dem trüben Blick, gleich einem Traum, verfliegt,

Was den betrognen Stolz vergnügt.


Als Held stirbt Sokrates, der für die Tugend leidet,

Und, wann er aus dem Leben scheidet,

Ein beßres Leben hofft, und seiner Ewigkeit

Sich, ihrer werth, entgegen freut.


Athen hat ihn verdammt, die Wahrheit losgesprochen:

Sein letzter Tag ist angebrochen:

Die Freunde stehn um ihn; ihr männlich Auge weint

Um einen Lehrer, einen Freund.
[146]

Er lächelt: klagt ihr auch? Gerecht ist eure Klage,

Wenn Sokrates an diesem Tage,

Der ganze Sokrates durch ckaltes Gift erbleicht,

Und in sein erstes Nichts entweicht.


Ich fühle, daß in mir ein göttlich Etwas lodert,

Das lebt, wann seine Hülle modert!

Mir lispelt die Natur jetzt lauter, als zuvor:

Du bist unsterblich! in das Ohr.


Selbst meine Seele zeugt von ihrer hohen Würde:

Selbst diese brennende Begierde

Nach Wahrheit, welche flieht, verhüllt in Dunkelheit,

Ist Ahndung der Unsterblichkeit.


Wir steigen stuffenweis zu stets erhabnern Sphären:

So lang die Pilgrimsjahre währen,

Irr ich im dunkeln Wald, wo zweifelhaftes Licht

Durch dichte Zweige dämmernd bricht.


Bald, bald wird mich der Tod, obgleich auf schwarzen Schwingen,

Zu einem hellern Auftritt bringen,

Wo ewiger Mittag, der nicht an Schatten gränzt,

Voll Klarheit in die Seele glänzt.


Da jenseits meines Grabs ich weis' und glücklich werde,

So geh ich fröhlich von der Erde.

Vor diesem dunkeln Weg beb' an des Lasters Brust

Der feige Sklave niedrer Lust!


Die falschen Freuden fliehn, gleich den gescheuchten Schafen;

Und ihn erwarten schwere Strafen,

Erwartet, nach dem Tod, die strenge Nemesis,

In Gegenden der Finsterniß.
[147]

Doch Seelen, die im Leib nicht bloß dem Leibe lebten,

Und nach dem wahren Guten strebten,

Erheben sich im Tod und schwingen fesselnfrey

Vor ihrem Grabe sich vorbey:


Und werden hingerückt in Auen, wo der Friede,

Bey Philomelens holdem Liede,

Bald im beblühmten Thal, bald bey cristallner Fluth,

Im Schoos des Frühlings ewig ruht.


Er sprach, und Freude glüht' in seinem Angesichte:

Sein Auge schien mit sanftem Lichte,

So heiter, als es war, wann ihm des Freundes Hand

Beym frohen Gastmahl Kränze wand.


Kein unvergnügtes Wort entfiel dem weisen Munde:

Doch flog die feyerliche Stunde,

Die Stunde, die den Freund aus Freundes-Armen raubt,

Schon wartend über seinem Haupt.


Er, jetzt voll wahren Muths, wann oft die Starken beben,

War sterbend größer, als im Leben:

Sein Tod war glänzend, frey, selbst unter äußrem Zwang,

War einer Sonnen Untergang.


Die Königinn des Lichts läßt ihre letzten Strahlen

Des Meeres blaue Schuppen mahlen,

Und weicht mit Majestät, im Purpur ihrer Pracht,

Dem kalten Hauche naher Nacht.

Quelle:
Johann Peter Uz: Sämtliche poetische Werke, Stuttgart 1890, S. 145-148.
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