24. Trost am Grabe

[254] Februar 1783.


Trockne deines Jammers Thränen,

Heitre deinen Blick;

Denn es bringt kein banges Sehnen

Ihn, der starb, zurück.

Ach, die holde Stimm' und Rede,

Und der Lieblichkeiten jede,

Und sein freundliches Gesicht

Ruht im Grab', und kehret nicht.
[254]

Gleich des Feldes Blumen schwindet

Alles Fleisch umher;

Traurend sucht der Freund, und findet

Seinen Freund nicht mehr:

Vor dem welken Greis' am Stabe

Sinkt der Jüngling und der Knabe,

Vor der Mutter sinkt ins Grab

Oft die junge Braut hinab.


Gleich des Feldes Blumen werde

Alles Fleisch verstäubt!

Nur der Erdenleib wird Erde;

Sein Bewohner bleibt!

Ja du lebst, Geliebter, lebest

Über Sternen, oder schwebest

Mitleidsvoll um deinen Freund,

Der an deinem Grabe weint!


Diese Kräfte, dieses Trachten

Zur Vollkommenheit,

Dieses Vorgefühl, dies Schmachten

Nach Unsterblichkeit:

Dieser Geist, der Welten denket,

Würde mit ins Grab gesenket?

Und geschaffen hätte Gott

Dieses alles nur zum Spott?


Nein, nicht spottend, nicht vergebens

Schufst du, Gott, dein Bild;

Lieb' und Weisheit hat des Lebens

Geist in Staub gehüllt.

Diese Hülle wird zertrümmert,

Und die freie Seele schimmert

Zu der höhern Geister Chor

Immer herrlicher empor.
[255]

Auf! von Moder und Verwesung,

Blick' hinauf, mein Geist,

Wo im Friedensthal Genesung

Alles Jammers fleußt:

Wo nicht Krieg, Erdbeben, Fluten,

Hunger, Pest und wilde Gluten,

Wo nicht Trennung mehr noch Tod

Liebenden Geliebten droht!


Ach des Wonnetags, der wieder

Ewig Freund und Freund,

Eltern, Kinder, Schwestern, Brüder,

Mann und Weib vereint:

Wann, gelehrt von Himmelsweisen,

Wir des Vaters Liebe preisen,

Der aus Irrtum, Schmach und Gram

Uns in seine Ruhe nahm!


Bald vielleicht, ach bald verschwunden

Ist auch meine Zeit,

Und die letzte meiner Stunden

Kömmt vielleicht schon heut'!

O laßt Gottes Weg' uns wandeln,

Immer gut und redlich handeln:

Daß wir, wenn der Vater ruft,

Freudig sinken in die Gruft!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 254-256.
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