Erste Szene


[344] Garten mit hohen Bäumen vor dem Gemach Isoldes, zu welchem, seitwärts gelegen, Stufen hinaufführen. Helle, anmutige Sommernacht. An der geöffneten Türe ist eine brennende Fackel aufgesteckt. – Jagdgetön. Brangäne, auf den Stufen am Gemach, späht dem immer entfernter vernehmbaren Jagdtrosse nach. – Brangäne blickt ängstlich in das Gemach zurück, darin sie Isolde nahen sieht. – Isolde tritt feurig bewegt aus dem Gemach zu Brangäne.


ISOLDE.

Hörst du sie noch?

Mir schwand schon fern der Klang.

BRANGÄNE lauschend.

Noch sind sie nah; –

deutlich tönt's da her.

ISOLDE lauschend.

Sorgende Furcht

beirrt dein Ohr.

Dich täuscht des Laubes

säuselnd Getön,

das lachend schüttelt der Wind.

BRANGÄNE.

Dich täuscht des Wunsches

Ungestüm,

zu vernehmen, was du wähnst.


Sie lauscht.


Ich höre der Hörner Schall.

ISOLDE wieder lauschend.

Nicht Hörnerschall

tönt so hold,

des Quelles sanft

rieselnde Welle

rauscht so wonnig daher.

Wie hört' ich sie,

tosten noch Hörner?

In schweigender Nacht

nur lacht mir der Quell.

Der meiner harrt

in schweigender Nacht,

als ob Hörner noch nah dir schallten,

willst du ihn fern mir halten?

BRANGÄNE.

Der deiner harrt, –

o hör mein Flehen! –[344]

des harren Späher zur Nacht.

Weil du erblindet,

wähnst du den Blick

der Welt erblödet für euch?

Als dort an Schiffes Bord,

von Tristans bebender Hand,

die bleiche Braut,

kaum ihrer mächtig,

König Marke empfing;

als Alles verwirrt

auf die Wankende sah,

der güt'ge König,

mild besorgt,

die Mühen der langen Fahrt,

die du littest, laut beklagt: –

ein Einz'ger war's,

ich achtet' es wohl,

der nur Tristan faßt' ins Auge.

Mit böslicher List

lauerndem Blick

sucht' er in seiner Miene

zu finden, was ihm diene.

Tückisch lauschend

treff ich ihn oft: –

der heimlich euch umgarnt,

vor Melot seid gewarnt.

ISOLDE.

Meinst du Herrn Melot?

O, wie du dich trügst!

Ist er nicht Tristans

treuester Freund?

Muß mein Trauter mich meiden,

dann weilt er bei Melot allein.

BRANGÄNE.

Was mir ihn verdächtig,

macht dir ihn teuer!

Von Tristan zu Marke

ist Melots Weg;

dort sät er üble Saat.

die heut im Rat

dies nächtliche Jagen

so eilig schnell beschlossen,

einem edlern Wild,

als dein Wähnen meint,

gilt ihre Jägerslist.[345]

ISOLDE.

Dem Freund zulieb

erfand diese List

aus Mitleid

Melot, der Freund.

Nun willst du den Treuen schelten?

Besser als du

sorgt er für mich;

ihm öffnet er,

was mir du sperrst.

O spare mir des Zögerns Not!

Das Zeichen, Brangäne!

O gib das Zeichen!

Lösche des Lichtes

letzten Schein!

Daß ganz sie sich neige,

winke der Nacht.

Schon goß sie ihr Schweigen

durch Hain und Haus,

schon füllt sie das Herz

mit wonnigem Graus.

O lösche das Licht nun aus,

lösche den scheuchenden Schein!

Laß meinen Liebsten ein!

BRANGÄNE.

O laß die warnende Zünde,

laß die Gefahr sie dir zeigen! –

O wehe! Wehe!

Ach mir Armen!

Des unseligen Trankes! –

Daß ich untreu

einmal nur

der Herrin Willen trog!

Gehorcht' ich taub und blind,

dein Werk

war dann der Tod.

Doch, deine Schmach,

deine schmählichste Not, –

mein Werk

muß ich Schuld'ge es wissen!

ISOLDE.

Dein Werk?

O tör'ge Magd!

Frau Minne kenntest du nicht?

Nicht ihres Zaubers Macht?

Des kühnsten Mutes[346]

Königin?

Des Weltenwerdens

Walterin?

Leben und Tod

sind untertan ihr,

die sie webt aus Lust und Leid,

in Liebe wandelnd den Neid.

Des Todes Werk,

nahm ich's vermessen zur Hand, –

Frau Minne hat es

meiner Macht entwandt.

Die Todgeweihte

nahm sie in Pfand,

faßte das Werk

in ihre Hand.

Wie sie es wendet,

wie sie es endet,

was sie mir küre,

wohin mich führe:

ihr ward ich zu eigen.

Nun laß mich Gehorsam zeigen.

BRANGÄNE.

Und mußte der Minne

tückischer Trank

des Sinnes Licht dir verlöschen;

darfst du nicht sehen

wenn ich dich warne:

nur heute hör,

o hör mein Flehen!

Der Gefahr leuchtendes Licht,

nur heute, heut,

die Fackel dort lösche nicht!

ISOLDE.

Die im Busen mir

die Glut entfacht,

die mir das Herze

brennen macht,

die mir als Tag

der Seele lacht, –

Frau Minne will:

es werde Nacht,

daß hell sie dorten leuchte,


Während sie auf die Fackel zueilt.


wo sie dein Licht verscheuchte.


Sie nimmt die Fackel von der Tür.
[347]

Zur Warte du:

dort wache treu!

Die Leuchte, –

und wär's meines Lebens Licht, –

lachend

sie zu löschen zag ich nicht!


Sie wirft die Fackel zur Erde, wo sie allmählich verlischt Brangäne wendet sich bestürzt ab, um auf einer äußeren Treppe die Zinne zu ersteigen, wo sie langsam verschwindet. – Isolde lauscht und späht, zunächst schüchtern, in einen Baumgang. Von wachsendem Verlangen bewegt, schreitet sie dem Baumgang näher und späht zuversichtlicher. Sie winkt mit dem Tuche, erst seltener, dann häufiger, und endlich, in leidenschaftlicher Ungeduld, immer schneller. Eine Gebärde des plötzlichen Entzückens sagt, daß sie den Freund in der Ferne gewahr geworden. Sie streckt sich höher und, um besser den Raum zu übersehen, eilt sie zur Treppe zurück, von deren oberster Stufe aus sie dem Herannahenden zuwinkt.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 344-348.
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