6. Die heimliche Falschheit

[164] 1.

Du werther Courtisan,

Wie blüth dein gut Gelücke,

Schau dein Betrübnüß an,

Diß weicht ja nun zurücke.


2.

Nunmehr sind voller Freuden,

Die deine Freunde sind,

Die deine Wolfahrt neiden,

Verstieben wie der Wind.[164]


3.

Es kommt vortrefflich schön,

Was dein Gemüthe dencket,

Worauff die Feinde gehn,

Dasselbe wird gekräncket.


4.

Der Fortgang muß sich enden

In deiner Neider Lust,

In deinen sichern Händen

Ist lauter Trost bewust.


5.

Jetzt kommt zur reiffen Frucht,

Was du zuvor erworben,

Was du vorlängst verflucht,

Das ist bey dir verdorben.


6.

Die Liebe kehrt den Rücken

Auff deiner Feinde Ruh,

Auff dein entzücktes Blicken

Geht alls nach Wunsche zu.


7.

Du schmeckst ohn Unterlaß

Das Honig von den Küssen,

Das herbe Thränen-Maß

Mag auff die andern fliessen.


8.

Die Trauer-Wolcken schlagen

Die Widerpart allein,

Dein Hertz in wenig Tagen

Soll Hahn im Korbe seyn.


9.

Diß ist dein rechter Lohn,

Du hast was dich ergetzet,

Du hast nur Schimpff und Hohn

Auff deinen Feind gesetzet.


10.

Drum will ich den umfassen,

Der deine Gunst begehrt,

Der deine Treu wird hassen,

Ist kaum des Lebens werth.


10.

Wers mit der Warheit meynt,

Der sagt ich bin gewogen,

Der sagt ich bin dein Feind,

Der hat gewiß gelogen.


12.

Ich werde nichts verrichten,

Wo ichs verderben kan,

Wo ich mich soll verpflichten,[165]

Da geh ich willig dran.


NB. Man setze die herauß geruckten Zeilen zusammen, und lese die eingeruckten drauff, so ist die Falschheit klar.

Quelle:
Christian Weise: Der grünenden Jugend überflüssige Gedanken, Halle a.d.S. 1914, S. 164-166.
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