Sechster Auftritt

[92] Die Vorigen, dann Hortensia und Marie.


JUDITH.

Der Gräßliche – was wird er nun beginnen?

JULIA.

Ich ahnde Schreckliches, doch weiß ich nichts.

Laß mich die Kinder sch'n, dann will ich eilen,

den wild entflammten Zorn besänftigen,

daß guter Muth nicht böse That erzeuge.

JUDITH geht eilig an der Mittelthür, und schiebt einen Riegel vor.[92]

Vor Ueberfall muß ich uns sichern – kommt,

kommt Kinder – es ist sicher, kommt!

HORTENSIA voll Freude.

Sie ist's –

MARIE ebenso.

Du bist's!

HORTENSIA.

O hör' ich endlich Deine Stimme wieder?

MARIE.

So lange hast Du uns allein gelassen,

mir war so bang' –

JUDITH.

Ich wachte doch für Euch.

HORTENSIA erblickt Julia und erschrickt.

Ha – was ist das?

MARIE sich furchtsam an Judithe schmiegend.

Wie? Sind wir nicht allein?

JUDITHE.

Erschreckt nicht Kinder – sie ist Euch nicht fremd.

JULIA.

Kennt Ihr mich nicht?

HORTENSIA.

Dein Ton, ich kenne ihn, ja,

wie Freundes Ruf berührt er sanft mein Ohr;

doch ist es lang, daß ich ihn nicht gehört.

JUDITH.

Zwei Jahre sind es daß ich Euch nicht sah,

doch Eure Züge sind mir nicht entfremdet.[93]

Die Mutter blickt aus Eurem Aug' mich an,

und ihre Stimme spricht zu meinem Herzen.

Hortensia!


Breitet ihre Arme aus.


HORTENSIA sie erkennend.

Du bist –

JULIA.

Erkennst Du mich?

HORTENSIA.

Ich wag' es nicht den Namen auszusprechen

der mir das Herz in tiefer Brust empört.

Sein Weib – sein Weib, die Gattin Dessalines.

MARIE hängt sich an Judith.

O schütze uns –

JUDITH.

Nur ruhig Kinder – ruhig.

HORTENSIA.

Marie komm, umfasse ihre Knie,

daß sie dem grimm'gen Mann uns nicht verrathe.

Die Eltern nahm er uns, wir haben nichts

als dieses arme Leben.

BEIDE MÄDCHEN.

Verrath' uns nicht.

JULIA.

Ich Euch verrathen? – Kommt an dieses Herz.

Was ich jezt fühle, kann nur das Euch sagen,

erkennet doch an seinem bangen Schlagen,

daß es vor Angst und Liebe für Euch bebt.[94]

HORTENSIA.

Ist's möglich, daß hier noch ein Wesen lebt,

das sich mit Liebe an uns Armen kettet?

JULIA.

Ein Wesen das Euch liebt und muthig rettet.

Die Mutter kann ich Euch nicht wiedergeben,

doch schütz ich Euch mit meinem eig'nen Leben.

Ihr seid gerettet – ja – noch diese Nacht

entzieh' ich Euch der wilden Mordbegier.

Ein Schif liegt schon bereit, es nimmt Euch mit.

Sein Frührer ist bereits von mir gewonnen.

Noch eine Weiße lebt, sie zieht mit Euch;

in feuchten Klüften hielt ich sie verborgen

weil sie in schwerer Krankheit mich gepflegt.

So rett' ich Euch, und so vergelt ich Ihr.

JUDITH.

Du willst sie retten?

BEIDE MÄDCHEN.

Ja – sie will uns retten.

JULIA.

Ein günst'ger Wind wird Euch nach Frankreich bringen

und meine heißen Wünsche folgen Euch.

Dort werdet Ihr Verwandte, Freunde finden,

verstummen sind die laute, bange Klage,

vergessen sind die grausen Schreckenstage,

vergessen, wie ein Traum der jüngsten Nacht:

der Tag beginnt, der Schläfer ist erwacht,

und jubelnd grüßet er die Morgensonne.

Mir bleibet dann des Menschen größte Wonne,

daß, wenn Domingo Eurem Blick entschwindet,

mich Euer Herz doch dankbar wieder findet.[95]

HORTENSIA.

Nie kann ich Dich,


Nimmt Judith bei der Hand.


nie kann ich Euch vergessen.

MARIE.

Die Mutter blickt jezt segnend auf uns nieder.

HORTENSIA.

In Euch giebt Gott uns gute Eltern wieder.

MARIE.

Wir arme Waisen können nicht vergelten.

HORTENSIA.

Das kann nur er – der Vater aller Welten.

JULIA.

Genug – genug – ich darf nicht länger weilen,

ich lasse Euch in treuer Freundschaft Hand.

Sobald die Feier dieses Tags geendet,

hol' ich Euch selbst, und leite Eure Flucht.

O zaget nicht – die Elemente schonen

was frech der Mensch vom Lebensufer stößt;

und sinket Ihr – so blühen dann Euch Kronen,

wenn sich der Geist aus seinen Banden lös't.

Gott war – Gott ist mit Euch, laßt ihn nur walten,

mit starkem Arm wird er Euch aufrecht halten.


Ab.

Judith hat unter dieser lezten Rede die Thür geöffnet.


HORTENSIA fällt ihr um den Hals.

Wir werden frei, wir werden glücklich sein,

und Deiner Mutterliebe dankbar denken.

Doch – was ist Dir? Du theilst nicht uns're Freude?[96]

JUDITH drückt sie an sich.

Ich theile sie.

HORTENSIA.

Wie schlägt Dein Herz so bange.

Uns wird geholfen – fürchte – zage nicht.

JUDITH.

Euch wird geholfen, ja – doch mir –

HORTENSIA.

Dir? Sprich,

Droht Dir Gefahr; weil Du uns hier verborgen?

JUDITH.

Mir nicht – doch Diakue

HORTENSIA in größter Angst.

Ward er verrathen?

JUDITH.

Nein – ich hoffe nicht – er stürzte wild von hier –

und seiner Brust entkeimte eine That –

Ach – ich weiß nichts – doch alles muß ich fürchten.

HORTENSIA.

Marie komm, wir müssen fort.

MARIE aengstlich.

Wohin?

HORTENSIA.

Wo's immer ist – man darf uns hier nicht finden.

Mit Undank wollen wir Dir nicht vergelten,

stoß auf die Straße uns – wir sind verrathen.

JUDITH.

Beruhigt Euch. –

HORTENSIA.

Nein – man hat uns gesehen.[97]

JUDITH.

Wer könnte hier?

MARIE.

Ich holte einen Trunk,

die Schwester lechzte – dort der volle Krug –

ich holte ihn – da kam – ein Neger –

JUDITH schreit.

Gott!


Quelle:
Johanna Franul von Weißenthurn: Neueste Schauspiele. Band 9, Berlin 1821, S. 92-98.
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