Zweytes Exempel.

Unser liebe Frau erscheint einem Töchterlein, und ladet ein zur ewigen Freud.

[2] Zu Rom, der vornehmsten Statt in Welschland, lebte ein Töchterlein mit Namen Musa. Diese erschiene einstens bey nächtlicher Wache [2] die Himmels-Königin, samt vielen heiligen Jungfrauen, dero Kleyder schneeweiß waren, die Angesichter aber glantzten wie die Sonne. Die Himmels-Königin redete das Töchterlein an mit diesen Worten: Musa! sihest du diese Jungfrauen? Sie seynd alle auserwählte Bräuten meines Sohns. Verlangst auch du in ihre Gesellschaft zu kommen, so must du gantz eingezogen leben; und also von allem Muthwillen, frechen Reden und Gelächter, ja von allen üppigen Freuden, denen sonst die unbesonnene Jugend ergeben ist, dich enthalten. Wirst du das thun, so wisse, daß du innerhalb 30. Täg werdest in unserer Gesellschaft seyn. Dieses geredt, verschwande die Himmels-Königin samt ihrer Gesellschaft. Wie nun das Töchterlein aus dem Schlaf erwachet, da ist nicht auszusprechen, wie gantz verändert es sich befunden. Es waren ihm vergangen alle kindische Freuden: es wollte von nichts anders hören, als nur von himmlischen Dingen; also daß ihre Elteren sich darüber nicht genug verwunderen konten. Wie es ihnen aber die nächtliche Erscheinung der Ordnung nach erzählet, da hat die Verwunderung bey ihnen noch mehr zugenommen. Nun, wie gienge es weiters? Es stunde kaum 25. Täg an, da ward das Töchterlein mit einem tödtlichen Fieber überfallen; an welchem als es bis auf den 30sten Tag kranck gelegen, da ist ihme die Himmels-Königin abermahl in Begleitung obgedachter heiliger Jungfrauen erschienen, und hat es zur ewigen Freud eingeladen. Auf welche Einladung das Töchterlein mit Freuden geantwortet: O Frau! Ich komme, ich komme. Dises gesagt, schlosse es die Augen zu, und gabe den Geist auf. S. Greg. 4. Dial.


O wie gefallen GOtt, und seiner Jungfräulichen Mutter die jenige Töchterlein, welches fein züchtig und eingezogen seynd.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 2-3.
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