Sieben und zwantzigstes Exempel.

Ein 9. jähriges Söhnlein erscheint nach dem Tod in grossem Glantz seiner Mutter, und versichert sie, daß es sich in dem Himmel unter dem Chor der Ertz-Englen befinde.

[48] Johannes, ein Söhnlein der H. Franciscä, der Römerin, ward von seiner Kindheit an der Einsamkeit, und stetem Gebett dermassen ergeben, daß, wiewohl er noch nicht 7. Jahr alt, schon in die Schul gienge, Lesen und Schreiben lernte, dannoch daheim der Gottesforcht, und Heiligkeit so innbrünstig oblage, daß er weder in der Schul, noch zu Hauß das geringste nicht versaumte. So hatte auch GOtt seine Unschuld und Andacht schon dazumahl mit dem Geist der Weissagung geziert. Als er aber das 9te Jahr seines Alters angetretten, forderte ihn GOtt durch den Tod zur ewigen Seeligkeit ab. Welchen Johannes muß vorgesehen haben, indem er zu seinem Schwesterlein Agnes, welches jünger als er war, öfters sagte: nicht die Stadt Rom, sondern der Himmel seye sein Vatterland. Den Weeg zum Tod bahnte ihm ein innerliches Geschwär, von welchem er angegriffen worden. Wie er gemerckt, daß ihm dieses den Garaus machen wurde, verlangte er (wiewohl noch in der ersten Unschuld) einen Beicht-Vatter: welchen man ihm auch kommen lassen: der aber nichts, als eine lautere Unschuld an ihm fande. Doch gabe er ihm den Priesterlichen Seegen, und machte das Heil. Creutz-Zeichen über ihn. Nachgehends beurlaubte er seine Frau Mutter, und bathe, sie wollte ihm auch den mütterlichen Seegen ertheilen. Nachdem er diesen erhalten, sahe er zu ihm ins Krancken-Zimmer hinein kommen seine Heil. Patronen, welche er, da er noch gesund war, täglich zu verehren, und anzuruffen [48] pflegte: wie auch eine grosse Menge der Himmlischen Geistern, aus den Chören der Englen. In dero Gegenwart er seine unschuldige Seel in die Händ GOttes aufgabe; welche von einem auch krancken Jungfräulein in der Nachbarschaft gesehen worden, wie selbige mitten zweyer Englen in den Himmel hinauf fuhre. Sein Angesicht bliebe auch nach dem Tod (der sich Anno 1411. zugetragen) so schön und lieblich, als thäte er nur schlaffen.


Ein Jahr nach seinem seeligen Ableiben, als die Mutter eines Tags zu Morgens in aller Frühe in ihrem Bett-Cämmerlein, ihrem Brauch nach, der Andacht, und Himmlischer Betrachtung oblage, wurde sie gähling eines wunderlichen Liechts, und Himmlischen Glantzes gewahr; mitten in dem Glantz aber ihres vor einem Jahr verstorbenen Söhnleins, des Evangelists: eben in der Gestalt, die er bey Lebzeiten, und bey gesunden Kräften hatte; jedoch unvergleichlich schöner. Neben ihm aber stunde noch ein anderer, dem Ansehen nach ein Knab gleichfalls von 9. Jahren; aber weit glantzender. Die Mutter kame anfänglich ein Verwunderung und Schrecken an; bald aber erholete sie sich, und wurde mit Himmlischem Trost erfüllet: konte aber nicht errathen, wer derjenige Knab seyn müsse, welcher neben ihrem lieben Söhnlein stunde. Das Söhnlein nahete sich unterdessen zu ihr, grüste sie mit den annehmlichsten Gebärden aufs freundlichste; und erfüllte sie zugleich mit noch viel grösserer Fröhlichkeit des Geists. Sie faßte demnach ein Hertz, und langte aus natürlicher Liebe, als ein Mutter mit beyden Händen zu, umfienge und umhalsete ihn, und (wie sie vermeynte) druckte ihn an ihr Hertz, empfande aber aus dem drucken, daß sie nichts als lauter zusammen gezogenē Luft an sich gedruckt hätte: wie dann die Geister, wann sie den Menschen erscheinen wollen, insgemein einen Leib aus dem Luft pflegen zu gestalten, und an sich zu nehmen. Nichts destoweniger fienge Francisca an mit ihm zu reden, und sagte: was thust du da? Mein liebes Kind! wo ist dein Wohnung? Was für Freuden geniessest du? Bist du anjetzo als ein Seeliger der deinigen auf Erden, und absonderlich deiner Mutter auch ingedenck? Und was mehr dergleichen war. Das Söhnlein hebte anfänglich die Augen gen Himmel; sahe hernach die Mutter auf das holdseeligste an, als wollte es sagen: Ach mein Mutter! kein Aug hat es gesehen; ist auch in keines sterblichen Menschens Hertz und Sinn jemahl gestiegen, was für Freuden alldort seinen Liebhabern GOtt vorbereitet habe. Alsdann fienge es an, deutlich von der unaussprechlichen Klarheit des göttlichen Angesichts; von dem Amt der Auserwählten: welches besteht in dem unaufhörlichen Anschauen, und Liebe GOttes. Dieses und viel anders mehr redte das Söhnlein mit der Mutter; und sie hinwieder mit ihm: [49] und das beyläuffig eine Stund lang, bis nemlich die Sonn an dem Himmel aufzusteigen begunte. Ehe sich aber das Söhnlein von der Mutter beurlaubte, zeigte es ihr an, wie daß es sich in dem Himmel unter dem Chor der Ertz-Englen befinde: der Knab aber, so neben ihm stehe, seye ein Ertz-Engel; aber weit ober ihm. Darauf brachte er ihr 2. fröliche Zeitungen Erstlich, daß auch sein Schwesterlein Agnes in wenig Tägen hernach ihme durch den Tod nachfolgen, und zu ihm in Himmel kommen werde. Andertens, daß ihr (nemlich der Mutter) GOtt aus sonderbahrer Gnadneben ihrem gewöhnlichen Schutz-Engel, den Mit-Gefährten, das ist, gegenwärtigen Ertz-Engel zum Trost ihrer Pilgerfarth auf Erden hinterlassen. Nach welchen Worten das Söhnlein verschwunden, und die Mutter voll der überschwenglichen Freud gelassen. Ist auch nachgehends geschehen, was das Söhnlein der Mutter vorgesagt. Dann Agnes, das Schwesterlein, welches selbiger Zeit noch frisch und gesund war, in wenig Tägen darauf erkranckt, und in grosser Heiligkeit verschieden; der Ertz-Engel aber bey der H. Francisca bis in die 23. Jahr (O unerhörte Gnad!) verblieben: nach welchen selbiger mit einem andern, noch höheren Ertz-Engel ist abgewechselt worden. Julius Ursinus in dem Leben der H. Francisca der Römerin.


Mein GOtt! was für ein Unschuld! was für ein Heiligkeit muß in diesem 9. jährigen Söhnlein geweßt seyn, daß es verdient hat, in den Chor der Ertz-Englen, dieser so grossen Himmels-Fürsten, aufgenommen zu werden! O was Trost, was Freud wird seine heilige Mutter hieraus geschöpft haben; in Erwegung, daß sie dem Himmel einen solchen Engel auferzogen, von welchem GOtt in alle Ewigkeit wurde geliebt, und gelobt werden! Könnte auch den frommen Elteren eine grössere Freud widerfahren? Ein solche Freud machen ihren Elteren alle fromme Kinder: ihnen selbst aber in dem Himmel ein unaussprechlich grössere, wann sie in der Unschuld aus dieser Welt sollten verscheiden. Ey! das ist wohl zu bedencken.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 48-50.
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