Achtzehendes Exempel.

Ein Sohn bekommt von seiner verstorbenen Mutter einen empfindlichen Verweis.

[76] Es war ein Jüngling, der hatte sich entschlossen, GOtt dem HErrn in einem geistlichen Orden zu dienen, ohngeachtet seine Mutter, die frühzeitig in Wittib-Stand gesetzt worden, ihn zum öftern, und zwar mit weinenden Augen gebetten, er wolle sie doch nicht verlassen, indem er ihr eintziger Trost wäre. Allein der Sohn fertigte sie allzeit mit dieser Antwort ab: Mutter! ich hab nur ein eintzige Seel; solche nun muß ich versorgen, damit sie nach diesem Leben möge sicher stehen. Also verliesse er die Mutter, und tratte in einen geistlichen Orden, in welchem er zwar anfänglich GOtt dem HErrn grossem Eifer gedient; mit der Zeit aber so lau und träg worden, daß ihm seine Ordens-Brüder dessentwegen vielmahl zugesprochen, er solle ein bessers Exempel geben. Aber umsonst; dann er hatte schon eine Gewohnheit daraus gemacht. So wußte dann niemand besser, ihn wiederum auf den rechten Weeg zu bringen, als GOtt, indem er einer seits die Mutter aus der Welt abforderte; anderer seits aber dem Sohn eine Kranckheit zuschickte. In dieser nun als der Sohn einstens zu Gemüth führete, was Gestalt er seine verwittibte Mutter verlassen, und dessentwegen vielleicht ein Ursach geweßt, daß sie vor Betrübnußs frühzeitiger gestorben, da ward er verzuckt, und es kam ihm für, als befinde er sich an einem Ort, allwo eine grosse Menge der Menschen, so erst gestorben, versammlet ware; und unter diesen auch seine Mutter: welche alle mit Forcht und Zitteren des höchsten Richters erwarteten, den Sententz entweders der ewigen Seligkeit, oder der ewigen Verdammnuß anzuhören. Als nun die verstorbene Mutter ihren Sohn erblickte, seye sie zu ihm hingangen, und habe ihn mit diesen Worten angeredt; ey! mein Sohn! so bist du auch an diesem Ort, und erwatest mit Forcht und Zitteren, was der höchste Richter über dich für einen Sententz fällen werde? das hätte ich nicht erwartet. Dann wie oft hast du zu mir gesagt, du müssest dein Seel versorgen; damit sie nach dem Tod vor GOttes Gericht möge sicher stehen? was hast du im Closter gethan? wie hast du GOtt gedient? wo seynd die Tugenden, die du darinnen gesammlet hast? stehest du jetzt sicher? hast du ein gnädiges Urtheil zu gewarten? dieses geredt, habe die Verzuckung ein End gehabt, nach welcher er zwar wiederum zu sich selbsten kommen; aber voller Forcht und Schröcken, wegen dem Verweis, den er von seiner verstorbenen Mutter bekommen. Es war auch der Erfolg so gut, daß der Jüngling, nachdem [77] er wieder gesund worden, ein strenges Leben angefangen, und GOtt dem HErrn mit ungemeinem Eifer gedient hat. Es ermahnten ihn zwar seine Ordens-Brüder, er solle ihm selbsten nicht so streng seyn; sonst werde er ihm das Leben abkürtzen. Allein, nachdem er ihnen die gehabte Verzuckung erzählet, fertigte er sie allzeit mit dieser Antwort ab: meine Brüder! Wann ich den Verweis meiner verstorbenen Mutter nicht hab ertragen können; wie wurd ich ertragen können den Verweis, so ich von dem höchsten Richter zu gewarten hätte, falls ich ihm nicht in Strengheit des Lebens diente? wie wurd ich da stehen, wann er mir wurde vorwerfen meinen Undanck; daß ich nemlich die Gnad, mit welcher er mich in den geistlichen Orden beruffen, so schlechter erkennet hätte? nein! ich bin schon einmahl gewitziger worden. Dieses geantwortet, fuhre er in der einmahl angefangenen Strengheit, und heiligem Eifer fort, und triebe es also bis an das End seines Lebens. Dionysius Carthusianus de Quatuor Novissimis Art. 30.


O wie unerträglich wird es einem lauen Christen fallen, wann ihm der höchste Richter nach dem Tod folgenden Verweis wird geben! drey und dreyßig Jahr lang hab ich deinetwegen Hunger und Durst, Hitz und Kälte, Armuth und Verachtung, und letztlich den bittersten und schmählichsten Tod gelitten. Und was hast du wegen meiner gethan? ein liederliches Leben hast du geführt: gesündiget hast du eines sündigens; und meine Gutthaten nich erkennet. Mit einem Wort: du hast nicht gelebt, wie ein Christ leben soll. Ach GOtt! was für ein Donner-Klapf wird ein solcher Verweis in den Ohren eines lauen Christen seyn!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 76-78.
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