Drey und zwantzigstes Exempel.

Eine Jungfrau wird wegen ihrer gleißnerischen Andacht verdammt.

[91] Es war eine Jungfrau: die führete dem äusserlichen Schein nach ein fast heiliges Leben. Sie bettete, und fastete viel: sie casteyete ihren Leib mit allerhand Buß-Werken: sie beichtete und communicirte zum öftern. In Summa: jedermänniglich erbauete sich ab ihrem frommen Wandel. Was geschieht? GOtt schickte ihr eine tödtliche Krankheit zu, in welcher sie sich zeitlich mit denen heiligen Sacramenten hat versehen lassen; worauf sie auch bald verschieden: daß also jedermänniglich darfür gehalten, ihre Seel wäre von Mund auf in Himmel geflogen. Aber wie [91] siehet man dem Menschen so gar nicht ins Hertz hinein! dann siehe! bald nach ihrem Tod erscheint sie ihrem Beicht-Vatter; aber Kohl-schwartz, und entsetzlich anzusehen, also daß der Beicht-Vatter Anfangs nicht wenig darüber erschrocken. Wie er sich aber wiederum erholet, fragte er den Geist, wer er seye? Und was er wolle? da sagte der Geist: ich bin die elende Seel derjenigen Jungfrauen, welche dir vor ihrem letzten End gebeichtet, und von jedermann für andächtig, ja fast heilig gehalten worden. Aber ich war nichts wenigers; sondern im Gegentheil stoltz und hoffärtig; also daß ich andere im Hertzen verachtet, und mir eingebildet, es wäre meines gleichen nicht zu finden. Meine Frommkeit ware eine lautere Gleißnerey, und Scheinheiligkeit. Die gute Werck thate ich zu keinem anderen Ziel und End, als damit die Leut viel von mir halten solten. Weil ich nun auch im Todtbeth diese Gleißnerey nicht abgelegt, und also nur dem Schein nach die heilige Sacramenten empfangen, und darauf gestorben; so muß ich elende Creatur mit dem hoffärtigen Lucifer auf ewig verdammt seyn; und gepeiniget werden. Dieses geredt, ist der Geist verschwunden. Jacobus de Paradiso.


Verfluchtes Laster um die Gleißnerey! was nutzt es, vor denen Augen der Menschen fromm, und fast heilig scheinen; vor denen Augen GOttes aber ein grosser Sünder seyn? darfür wollen angesehen werden, als gehe man zur Beicht und Communion mit behöriger Vorbereitung; mithin aber falsch beichten, unwürdig communiciren: und also zu seinem selbst eigenen, und zwar höchsten Schaden, diese heilige Sacramenten mißbrauchen? O wie werden sich solche Gleißner an jenem letzten Gerichts-Tag schämen, wann ihre Gleißnerey wird an Tag kommen, und der gantzen Welt entdecket werden: sie werden nemlich, zu denen Bergen sagen: fallet über uns: und zu denen Büchlen; bedecket uns. Luc. 23 Dann die Schand wird ihnen unerträglich seyn.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 91-92.
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