Dreyßigstes Exempel.

Ein undanckbarer Sohn gedenckt nicht einmahl seines verstorbenen Vatters in der andern Welt.

[108] Ein wohl vermöglicher Mann in Portugall hatte seinem eintzigen Sohn viel Gelt und Gut hinterlassen, aus Hofnung, der Sohn werde seiner nach dem Tod ingedenck seyn, und ihm Theils durch heilige Messen; Theils durch Allmosen, wann er etwann deren in der anderen Welt sollte vonnöthen haben, zu Hülf kommen. Allein der gute Vatter fande sich weit betrogen, indem der Sohn nichts weniger, als dieses gethan. Das thate nun einem Freund des Verstorbenen so wehe, daß er den Sohn deßwegen mit Worten gestraft, und zu ihm gesagt: er sollte sich in sein Hertz hinein schämen, daß er gegen seinem verstorbenen Vatter so undanckbar seye, der ihm doch so viel Gelt und Gut mit grosser Mühe und Arbeit zusammen gesammlet, und als ein Erb hinterlassen hätte. Allein der Sohn antwortete mit unerhörter Frechheit folgender Gestalten: was frag ich darnach, wie es meinem Vatter in der anderen [108] Welt gehe. Meinetwegen mag er seyn, wo er wolle, das bekümmeret mich wenig. Dann ist er im Himmel, so hat er meiner Hülf nicht vonnöthen. Ist er in der Höll, so kan ich ihm nicht helffen. Ist er aber vielleicht im Fegfeur, so wird er froh seyn, und gern leyden; dieweil er nemlich der Seeligkeit halben versichert ist. Benedictus Pererius in Cap. 50. Genes.


Wer hat jemahl eine so freche Red von einem Sohn gehört? und was hat diese Red wohl verdient? wäre es ein Wunder geweßt, wann sich der Boden eröfnet, und dieses Abendtheur von einem Sohn lebendig verschluckt hätte? gewißlich nicht. Aber GOtt wird ihm ohne Zweifel die Rechnung gemacht haben; und wann er der Höll entrunnen ist, hat GOtt wohl eine sonderbahre Barmhertzigkeit an ihm erwiesen. Unterdessen lassen ihnen alle Vätter in ein Ohr gesagt seyn: daß sie nemlich ihren eigenen Kinder nicht zu viel trauen sollen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 108-109.
Lizenz:
Kategorien: