Drey und dreyßigstes Exempel.

Eine verzweiflete Tochter stirbt letztlich vor lauter Reu und Leyd, und fahret von Mund auf in den Himmel.

[114] Es war eine freche Tochter: die hatte sich so weit vergessen, daß sie sich von ihrem eigenen Vatter zu einer Blutschand bereden lassen. Wie ihre Mutter hinter diese greuliche Sünd kommen, thate sie die Tochter mit harten Worten überfahren; nennte sie eine leichtfertige, GOttes, aller Ehr, ja des Gesatzes der Natur selbst vergessene Vettel; mit hinzugesetzter Warnung, sie könne sich wohl vorsehen, daß die Blut-Schand nicht weiter an Tag komme; sonst därfte es sie das Leben kosten. Wie die Tochter gehört, daß ihr Blut-Schand der Mutter unverborgen, nahme sie diesen harten Verweis so übel auf, daß sie auf Gelegenheit gedachte, ihre eigene Mutter durch beygebrachtes Gift aus dem Weeg zu raumen: wie sie es dann auch (O verzweifeltes Mensch!) in kurtzem werckstellig gemacht. Der Vatter, so dazumahlen verreißt war, wie er nach seiner Zuruckkunft von der Tochter verständiget worden, was Gestalten sie der Mutter ab dem Brod geholffen, überfuhre er sie gleichfalls mit scharffen Worten; mit vermelden, wann dieser Mutter-Mord solte auskommen, wurde sie durch einen grausamen Tod hingerichtet werden. Die unglückseelige Tochter, welche nicht gedulden konnte, daß sie einen Verweis über den anderen einnehmen müßte, geriethe hierüber in so verzweifelte Gedancken, daß sie sich entschlosse, auch ihren eigenen Vatter aus dem Weeg zu raumen. Welches sie auch über eine kurtze Zeit ins Werck gesetzt; indem sie einstens dem Vatter in dem Schlaf die Gurgel (erschröcke hierüber, O Jugend! die du dieses lisest, und verfluche die greuliche That) mit einem Messer abgeschnitten. Auf dieses hin nahme sie die Flucht; zoge in fremde Länder; und weil sie schon in die Verzweiflung [114] gerathen, ergab sie sich allem Scham-losen Leben, und gabe dem Teufel ein Netz ab, wordurch er nicht wenig gefangen bekame. Es schickte sich aber auf eine Zeit, daß dieses verzweifelte Mensch Fürwitz hälber in ein Kirchen gieng, da eben der Prediger auf der Cantzel die Barmhertzigkeit GOttes so hoch erhebte, daß er sagte: es könne unter dem gantzen Himmel kein Mensch gefunden werden, so tief in die Sünden und Laster versenckt, daß er nicht noch Hofnung seines Heyls schöpfen könne. Diese Worte giengen der armen Sünderin so tief ins Hertz hinein, daß sie gleich nach der Predig zu dem Prediger hingienge, und ihn mit folgenden Worten anredete. Ehrwürdiger Herr! ist es wahr, was ihr auf der Cantzel von der Barmhert zigkeit GOttes geprediget habt? und als der Prediger solches noch einmahl bestättigte, sagte sie: nun wann deme also, so bitte ich euch, ihr wollet meine Beicht anhören. Er thuts: und nachdem er sie völlig angehört, besinnte er sich eine Zeit lang, was er dieser überaus grossen Sünderin, nach Maaß der Vile und Schwere ihrer Sünden auferlegen müsse. Wie die Sünderin das gemerckt, sagte sie: was ist das? mein Herr! vorhin habt ihr die Barmhertzigkeit über alles erhebt; anjetzo aber scheinet es, als woller ihr an meiner Seelen-Heyl zweiflen. Nein, nein, antwortete der Beicht-Vatter: das geschiehet nicht darum; sondern ich finde zum Heyl deiner Seel für rathsam, daß du dich an statt der Buß, so du wegen deinen Sünden verdient, morgiges Tags in meiner Predig wiederum einfindest. Wie diese Sünderin gehört, daß ihr eine so geringe Buß auferlegt werde, entstunde in ihr eine solche Reu und Leyd, ein solches Seuftzen, und Hertz-Klopfen, daß sie vor lauter Leydwesen den Geist aufgabe. Als der Beicht-Vatter dieses mit Erstaunung gesehen, befahle er sie in das Gebett gewisser Ordens-Leuten in einem Closter. Wie nun diese ins gesamt die göttliche Barmhertzigkeit für die verstorbene Sünderin anruften, da hörten sie eine Stimm vom Himmel herunter, dieses Innhalts: es ist nicht vonnöthen, daß ihr für sie bittet: vil mehr wird sie für euch bitten. Julius Mazarinus in Psal. 50. P.I. Discursu 10.

Wie? ein so grosse Sünderin solte von Mund auf in Himmel kommen seyn? da unterdessen so vilen Ordens-Leuten, nachdem sie vil Jahr in Strengheit des Lebens zugebracht, solche Gnad nicht widerfahrt? also ist es. Die Liebe gegen GOtt, aus welcher die Reu und Leyd über die Sünden erweckt wird, kan so zart, aufrichtig, und heftig seyn, daß sie nicht allein die Schuld, sondern auch die Straf der Sünd auf einmahl, und in einem Augenblick auslöschet. Aber eben das ist eine sonderbare Gnad, und Barmhertzigkeit GOttes, welche vil tausend nicht [115] widerfahrt. Es ist halt, und bleibt wahr, was GOtt selbsten sagt Exodi. 33. Ich will mich erbarmen, über die wen ich will. Gehe es aber wie es wolle, so muß man gleichwohl einen Weeg, wie den anderen mit dem Psalmisten David bekennen: daß die Erbarmnussen GOttes alle seine Werck übertreffen. Psalm. 144.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 114-116.
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