Drittes Exempel.

Ein guter Freund erscheint dem anderen nach dem Tod, und versichert ihn wegen Unsterblichkeit der Seel.

[150] Es waren 2. in der Welt-Weisheit geschickte Männer, deren einer Marsilius Ficinus; der andere aber Michael Mercatus hiesse. Diese machten unter sich eine genaue Freundschaft, wegen gleicher Neigung, die sie zur Erlernung der Welt-Weisheit trugen. Es geschahe also, daß sie öfters zusamen kamen, und von der Natur disputirten: absonderlich fande Michael eine Beschwernus, wie man aus der Vernunft die Unsterblichkeit der Seel probieren könnte. Marsilius aber bemühete sich, seines Freundes Gegen-Beweisthum aufzulösen, und sein hin und wieder getriebenes Gemüth zu bevestigen, und in Ruhe zu setzen. Allein Michael wollte sich so leichter Dingen nicht zufrieden geben; sondern gabe dem Marsilius immerdar mit neuen Einwürffen zu schaffen. So sagte dann einstens Marsilius zu dem Michael: weil ich sihe, daß du dich auf die Scharfsinnigkeit deines Verstands verlassest, so laßt uns miteinander einen Pact machen, daß nemlich derjenige, so der erste aus uns sterben wird, dem anderen nach dem Tod (wann es GOtt anderst zulaßt) erscheine, und ihn wegen der Unsterblichkeit der Seel versicheren solle Michael war dessen wohl zufrieden; und also gaben beyde drauf hin einander die Händ. Was geschiehet? es steht [150] nicht lang an, so stirbt Marsilius. Indem nun Michael auf eine Zeit des Morgens Frühe in seiner Studier-Stuben allein war, und die Bücher, so von der Weltweisheit handlen, durch gienge, da hörte er gähling, daß einer auf der Gassen schnell daher geritten käme, und vor der Haus-Thür still hielte; mithin aber überlaut rufte: O Michael! Michael, alles ist wahr, was ich dir von der Unsterblichkeit der Seel gesagt hab, Michael erkannte alsobald die Stimm seines Freundes des Marsilii; stunde demnach von seinem Studir-Tisch auf, lieffe dem Fenster zu: eröfnete selbiges; und da er auf die Gassen hinunter gesehen, erblickte er seinen Freund Marsilium, in Schneeweisser Gestalt, sitzend auf einem gleichfals Schneeeweissen Pferd; der aber selbigem die Sporren gegeben, und in aller Eyl fortgeritten. Es rufte ihm zwar Michael nach mit diesen Worten: Marsili! Marsili! halt still; halt still. Wohin so schnell? allein Marsilius liesse sich nicht aufhalten; sondern ritte fort, und verschwunde darauf. Das machte nun dem Michael sorgfältige Gedancken, was dieses bedeuten müßte? und ob vielleicht sein Freund Marsilius gestorben seye? diesem nach schickte er ungesaumt einen Botten nach Florentz, einer Stadt in Welsch land, wo Marsilius seine Wohnung hatte, und von Michael weit entlegen war; und liesse erkundigen, was es für eine Beschaffenheit mit seinem Freund Marsilio habe? ob er noch lebe? oder villeicht gestorben seye? und sihe! wie der Bott zu Florentz angelangt, vernimmt er, daß Marsilius eben in selbiger Stund, da sein Geist vor des Michaels Haus auf einem Schnee-weissen Pferd erschienen, mit Tod abgangen. Wie Michael solches vernommen, wurde er gantz verändert. Dann er beurlaubte das Studieren auf die Welt-Weisheit, und verlegte sich allein auf die Betrachtung der ewigen Dingen; damit, weil er nunmehro von der Unsterblichkeit der Seel versichert war, er forthin so fromm und gottseelig leben thäte, daß er mithin auch das Heyl seiner Seel versicheren möchte. Welches auch geschehen; indem dieser ohne das vorhin fromme Mann in seiner gottseeligen Weis zu leben beständig verharret, und letztlich seeliglich verschieden ist. Baronius Tom. 5. Annalium, ad Annum Christi. 411.


O wann wir allezeit an die Unsterblichkeit unserer Seel gedenckten, wie wurden wir unser Leben gantz anderst anstellen, und unsere Gedancken mehrentheils nur auf das Ewige verwenden! Christus, unser Herr und Heyland, hat uns genugsam drauf gedeutet, Matth. 16. Indem er sagt: was nutzet es dem Men schen, wann er gewinnen thäte die gantze Welt, wurde aber Schaden leyden an seiner Seel?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 150-151.
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