Zehente Begebenheit.

[447] Es ware ein armes, mithin aber frommes Hirten-Mägdlein; dieses mußte die Schaaf hüten. Nun ware nicht weit von dem Weidgang ein altes Kirchlein, in welchem unser liebe Frauen Bildnuß stunde; in dieses Kirchlein begabe sich das Hirten-Mägdlein, wann die Schaaf auf der Weyd waren. Da hatte es sein Freud und Trost, wann es die Bildnuß Mariä verehren, und vor ihr betten konte. Weil aber die Bildnuß nicht sonderlich geziehret war, pflegte es oft zu sagen: O Maria! du heiligste Jungfrau, wie gern wollt ich zu deiner Zierd etwas beytragen, wann ich nicht so arm wäre: wenigstens will ich thun, was ich kan. Alsdann suchte sie auf dem Feld herum allerhand Blumen zusammen, flochte daraus einen Krantz, und setzte selbigen der Bildnuß auf. In Verehrung solcher Bildnuß, und Besuchung des Kirchleins ist sie lange Zeit fortgefahren, bis es GOtt gefallen, sie mit einer tödlichen Kranckheit heimzusuchen, und zu sich in den Himmel abzufordern. Da sie nun bey dem nächst gelegenen Dörflein in einem armen Hüttlein kranck darnider lage, und ihres Endes erwartete, hat es sich zugetragen, daß zwey fromme Ordens-Geistliche eben auf besagtes Dörflein zureiseten; sie mußten aber den Weeg durch einen Wald nehmen. Weil sie nun vom Gehen ziemlich müd waren, sagte der einte zu dem andern: Mein lieber Mit-Bruder, ich kan einmahl vor Müdigkeit nicht weiter fortgehen, erlaube mir also unter dem nächsten Baum ein wenig auszurasten. Nun der ander hat nichts dargegen. Er setzte sich dann auch nieder; und damit ihm die Zeit nicht lang wurde, nahme er ein geistliches Buch aus dem Sack, und lase darinn. Indem er nun also eine Zeit lang fortgelesen, und der andere unterdessen eingeschlaffen, da siehet er gegen ihm daher kommen eine Schaar der schönsten Jungfrauen, auf das zierlichiste gekleidet; [447] unter diesen aber ware eine, so die andere alle an Schönheit und majestätischen Ansehen übertraffe. Weilen er nun sich hierüber verwunderte, und nicht wußte, was er gedencken solte, fragte er die schönste aus ihnen: Holdseligste Jungfrau! sie erlaube mir zu fragen, wer sie seye, und wohin sie mit dieser Schaar den Weeg nehme? da bekame er zur Antwort: wisse, daß ich die Mutter GOttes bin. Die Schaar aber, so mir nachfolget, seynd alle Jungfrauen, die ihre Schnee-weisse Reinigkeit unverletzt erhalten, nun gehe ich hin, zu besuchen ein armes Hirten Mägdlein, das in dem nächsten Dörflein auf den Tod kranck darnieder liegt. Dieses will ich belohnen; weil es mich, da es noch gesund war, in einem alten Kirchlein, in meiner Bildnuß viel und oft besucht, und verehrt hat. Dieses geredt, verschwande die gantze Schaar aus den Augen. Hierauf weckte der wachende seinen schlaffenden Mitbruder auf, und erzählte ihm was er gesehen hatte. Dieser aber sagte. Eben dieses hab ich auch im Schlaf gesehen. Wolan! lasset uns den Weeg wiederum unter die Füß nehmen, und dem nächsten Dörflein zu gehen, auf daß wir das sterbende glückselige Mägdlein sehen mögen. Als sie nun in dem Dörflein ankommen, fragten sie die Baurs-Leut, so ihnen daraus zu erst entgegen kommen, wo dasjenige Bauren-Häuslein seye, in welchem sie gehört hätten, daß ein armes Hirten-Mägdlein auf dem Tod kranck darnieder liege. Und als man ihnen solches gezeigt, giengen sie hinein, und fanden das Mägdlein (O des armen Tröpfleins?) auf einem Strohsack liegend. Nachdem sie selbiges freundlich gegrüßt, und ihr Mitleiden gegen ihr bezeuget, bedanckte sich selbiges gegen ihnen, setzte aber hinzu, und sagte: Ehrwürdige Herren! entdecket euere Häupter, und bittet Gott, daß ihr sehen möget die himmlische Gesellschaft, die sich hier einfindet. Auf diese Anmahnung haben sie sich also bald auf ihre Knie niedergelassen, nach kurtzem Gebett eben diejenige Erscheinung gehabt, dero sie schon zuvor in dem Wald genossen hatten. Es stunde die heiligste Jungfrau nächst bey der Sterbenden mit einer guldenen Cron in der Hand! sprache dem Mägdlein zu, gutes Muths zu seyn; dann der Himmel stehe ihr offen. Auf diese Wort hin fienge der Chor der Jungfrauen so lieblich an zu singen, daß die Seel des glückseligen Mägdleins vor Freuden von dem Leib aufgelößt; von der Jungfräulichen Mutter gecrönet, und in den Himmels-Saal eingeführt worden. O des glückseligen Ends! O Belohnung derjenigen, welche Mariam verehren! Author proxime cit.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 447-448.
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