Eilftes Gespräch.

[465] Schutz-Engel. Ja, deme ist also. Dann es sagte einstens diese gütige Jungfrau zu der heiligen Brigitta: es seye kein Sünder so groß, deme sie nicht helfen könne, und wolle. Es wäre dann Sach, daß ihne GOtt gäntzlich verworfen hätte. Welches aber keiner darfür halten solte, so lang er noch Mariam verehrt, und liebt. Dann sie ist ein mächtige Jungfrau, wie sie in der lauretanischen Litaney von der catholischen Kirch genennt wird.

Pflegkind. An welchen aber erzeigt sie am meisten diese ihre Macht?

Schutz-Engel. An denjenigen, welche in der Bruderschaft des heiligen Rosenkrantzes seynd, und selbigen nicht allein fleissig, sondern auch mit Andacht, das ist, mit Aufmercksamkeit, betten.


Pflegkind. Ich hab zwar von Kraft dieses Gebetts schon in den vorigen Gesprächen nicht wenig gehört. Doch möchte ich noch eine Begebenheit hierüber vernehmen.


Schutz-Engel. Folgende solle dich vergnügen.


Begebenheit.

In Hispanien befande sich ein gräfliche Tochter, mit Namen Benedicta: wunderschön von Leibs-Gestalt; aber mithin leichtfertig. Dann bey allen Täntzen war sie die erste. Als sie das zwantzigste Jahr erreicht, ward sie von einem Kriegs-Officier ersehen, der sich in sie verliebt, und selbige mit Liebkosen, und Schanckungen in so weit verführt, daß sie sich von ihm schwängeren lassen. Wie sie nun von ihren Elteren angestrengt worden, zu bekennen, von wem sie das Kind aufgelesen habe, da sagte sie vor männiglich: Du, O Vatter, bist derjenige, von dem ich es aufgelesen. Und du, O Mutter, hast Gelegenheit darzu gegeben: dann ihr habt mich zu aller Uppigkeit auferzogen, und zu allen Täntzen gelassen. Was Wunder ist es also, daß ich mich hab verführen lassen? so habt euch dann das Kind: das möget ihr gleichwohl ernähren, und auferziehen. Kurtz zu sagen, ich nimme meinen Weeg weiter, und will bleiben, wie ich bin. Auf dieses hin vagirte sie in gantz Spanien herum, und bothe ihren Leib einem jeden Liebhaber feil. Und dieses Handwerck triebe sie sieben gantzer Jahr lang fort: unter welcher Zeit sie sich gewaltig bereichet hat.


Der heilige Dominicus, welcher ihr Bluts-Verwandter war, und zu selbiger Zeit lebte, als er von diesem Schand-Leben seiner Baasen berichtet [466] worden, betrübte sich sehr hierüber. Suchte also Gelegenheit, ihro zuzusprechen, und sie auf besseren Weeg zu bringen. Und als er sie einstens angetroffen, sagte er zu ihr: Meine Baaß! du hast der Welt schon lang gedient, ich bitte dich, du wollest einmahl deinem GOtt und Schöpfer dienen. Allein dieses schamlose Mensch bliese dieses alles nur über ein Dach hinaus. Als der heilige Mann gesehen, daß er mit seiner sowohl gemeinten Ermahnung nichts ausrichtete, sagte er: O Baas! es werden nicht drey Täg anstehen, so wird GOtt zwischen mir und dir urtheilen. Wie er gesagt, also ist es auch geschehen. Dann der heilige Mann gienge davon, begabe sich in das heilige Gebett, und bathe GOtt, er wolte diese gantz verkehrte Tochter mit einer zeitlichen Straf heimsuchen, damit sie nicht dort in der Höllen müßte ewiglich gestraft werden.


So wurde sie dann in der ersten und anderen Wochen närrisch, und unsinnig; welcher Gelegenheit dann sich ihre Bediente zu Nutzen gemacht; sie alles ihres Gelds beraubt, und sie in höchster Armuth sitzen lassen. In der dritten Wochen ward sie von jedermann verlacht, und verspottet. Ja so gar die Kinder auf der Gassen warfen mit Koth und Stein auf sie zu, und ware beynebens kein Mensch, der sich ihrer angenommen und sie beschützt hätte. In der vierten Wochen ward sie geschlagen mit einem so häßlichen Aussatz, daß sie alle ihre vorige Schönheit verlohren; das Fleisch an ihrem Leib verfaulet, und so unleidentlichen Gestanck von sich gegeben, daß niemand bey ihr bleiben können. Letztlich mußte sie drey gantzer Jahr lang in diesem Jammer und Elend liegen; wo ihr dann aller Orten Löcher an dem Leib ausgebrochen, und Würmen darinnen gewachsen, von welchen sie erbärmlich zernagen, und zerbissen worden.


Doch wolte sie sich noch nicht ergeben; indem sie gantz wütend worden, und nichts thate, als schelten und fluchen. Der heilige Dominicus, als er sie in diesem Stand besehen, sprache ihr zu, und ermahnte sie, diese Straf zur Abbüssung ihrer Sünden mit Gedult zu übertragen; dieweil sie ja nichts bessers verdient habe. Und, wann sie sich nicht unter der mächtigen Hand GOttes demüthigen und besseren wurde, sagte er ihr das letzte Urtheil mit diesen Worten: O du Unglückselige! entweders mußt du in kurtzer Zeit sterben, und den geraden Weeg der Höll zufahren; oder dich Mariä der Jungfräulichen Mutter GOttes befehlen, und dir vornehmen, täglich ihren Psalter zu betten. Jetzt hast du die Wahl.


Benedicta durch dieses ernstliche Zusprechen Dominici erschröckt, ergiebt sich endlich: laßt sich in die Bruderschaft des heiligen Rosenkrantzes einschreiben: macht den Anfang, und bettet täglich mit Andacht den gantzen Psalter, und erlangt durch die Fürbitt Mariä so viel, daß sie in der ersten [467] Wochen wiederum zu ihrem vorigen Verstand kommen. Zu End der anderen Wochen ward sie von dem spanischen Adel mit Güteren und Einkommen beschenckt. In der dritten Wochen hörte man alle Nacht die englische Geister singen, und jubilieren wegen der Buß, so Benedicta vorgenommen, und ihre Sünden beweinet hat, wordurch sie vor den Menschen in Ansehen gesetzt, und besucht worden. In der vierten Wochen kame erst die Mutter GOttes, und bestriche mit ihren Jungfräulichen Händen den gantzen Leib dieser Büsserin, wordurch aller Aussatz vertrieben, und die verlohrne Gestalt so wunderlich erneuert worden, daß sie weit schöner und holdseliger, als jemahl vorher anzusehen war. Endlich die fünfte und sechste Wochen ist das von ihr ergangene böse Geschrey völlig vergangen; herentgegen im gantzen Königreich Spanien ihre Schönheit und Tugend dermassen berühmt worden, daß so gar der König in Castilien, (welches das eigentlich Spanien ist) sich offentlich vor seinen Ständen und Hof-Herren vernehmen lassen, daß er Benedictam, und kein andere zu heurathen gesinnet seye. Wie dann auch unverzüglich nicht allein das Versprechen geschehen; sondern auch die Hochzeit selbst, samt dem Beylager mit königlichem Pracht gehalten worden.


O der verwunderlichen, und unverhoften Veränderung! wer hätte vor etlichen Wochen vermeint, daß aus einer so verschreyten Person eine solche Königin werden solte? diese Veränderung kame nemlich her von dem Hertz-berührenden Finger GOttes, auf die mächtige Fürbitt seiner Jungfräulichen Mutter: weilen Benedicta ihr so eifrig hat lassen angelegen seyn, unser lieben Frau zu Ehren ihren Psalter zu betten. Ja nicht allein hat Benedicta diese Andacht angenommen; sondern sich auch bemühet, daß selbige durch gantz Spanien ist ausgebreitet worden. So hat sie auch die Kirchen, so nächst GOtt seiner Mutter aufgerichtet, und geweyhet worden, mit noch mehr und reicheren Stiftungen, als vorhin, versehen.


Endlich, nachdem sie viel Jahr in aller Andacht und Tugend vollführt, ist sie von der Mutter GOttes ihres Hinscheidens aus dieser Welt hundert und fünfzig Tag vorher (so viel nemlich der Marianische Psalter, den sie jederzeit so andächtig und fleissig gebettet, in sich einschliesset) erinnert worden, damit sie sich zeitlich zu einem glückseligen End bereiten möchte. Wie sie dann ihr Leben, nicht ohne Nachruhm, sonderbarer Tugend und Gottseligkeit beschlossen hat. Alanus de Rupe in suo Psalterio. cap. 61.


Pfleg-Kind. Ich bekenne es, daß ich diese Begebenheit mit grossem Vergnügen, und Trost meiner Seel angehört hab. O was für ein mächtige Jungfrau ist Maria! und wie reichlich vergeltet sie die Ehr, die man ihr anthut durch das andächtige Gebett ihres Psalters! wer solte sich dann [468] nicht in ihre Bruderschaft lassen einschreiben, und sich glück selig schätzen, ein Glied so vieler andächtigen Brüderen und Schwesteren zu seyn, welche Maria in ihren sonderbaren Schutz und Schirm aufnimmet?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 465-469.
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