Dreyzehentes Gespräch.

[470] Pfleg-Kind. Das hoffe ich. Allein es kommt mir bisweilen ein Scrupel, so in diesem bestehet: weil ich nicht allzeit mein Gebett mit solcher Aufmercksamkeit und Andacht verrichte, wie es eben seyn solte, da förchte ich, es möchte etwann der Mutter GOttes nicht gefallen.

Schutz-Engel. Da frage ich: kommt der Mangel der Aufmercksamkeit her aus freywilliger Nachlässigkeit? oder nur aus menschlicher Schwachheit, wider deinen Willen? geschieht das erste, so ist freylich das Gebett der Mutter GOttes nicht angenehm: dieweil es nicht geschiehet mit solcher Andacht, wie es ihre Würdigkeit erfordert. Geschiehet [470] aber das andere, so ist das Gebett eben so angenehm, als wann es mit Aufmercksamkeit verrichtet wurde.

Pflegkind. Das ist wohl trostreich. Lasse dir gefallen dieses mit einer Begebenheit zu bekräftigen.

Schutz-Engel. So höre dann.


Begebenheit.

Es war eine fromme Closter-Jungfrau, diese mußte vor ihrem Hinscheiden aus dieser Welt sechs Täg lang heftige Schmertzen ausstehen, und mit dem Tod ringen. Nach ihrem Tod erscheint sie einer aus ihren gewesten Mitschwestern, und sagt zu ihr: O Schwester! wann mir zugelassen wurde, wiederum in das vorige Leben zu kehren, wie gern wollte ich noch einmahl die vorige Schmertzen, und Tods-Angst ausstehen, wann ich nur ein eintziges Ave Maria sprechen könnte; wiewohl mit geringer Andacht (jedoch im Stand der Gnad GOttes) geschehen sollte. Also gefällig ist der Mutter GOttes dieser Englische Gruß; und so groß ist der Lohn, welchen man für diese Andacht im Himmel einnimmt. Heroldus in Chronico Ordinis S. Dominici.

Pflegkind. So bette ich eben auch bisweilen mit geringer Andacht, doch bemühe ich mich zu thun, so viel mir menschlicher Weiß möglich ist. Kommt das Werck nicht allezeit mit meinem guten Willen (aus menschlicher Schwachheit) nicht übereins, reuet es mich von Hertzen; und so bald ich den begangenen Fehler vermercke, bemühe ich mich auf ein neues mit grösserer Aufmercksamkeit zu betten.

Schutz-Engel. Das ist genug, und seye deßwegen nicht ängstig.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 470-471.
Lizenz:
Kategorien: