Fünfte Begebenheit.

Ein Dieb rettet sich durch Erfindung eines artigen Lists aus der Gefahr gehenckt zu werden.

[490] Es war ein gewisser Fürst; dieser gienge einstens bey nächtlicher Weil in seinem Saal, da der helle Mond am Himmel schiene, in der Stille auf und ab, entweders weil er nicht schlaffen konte, oder einem wichtigen Geschäft nachzudencken hatte. Es ware aber in diesem Saal ein Kasten, in welchem das Fürstliche Silber-Geschirr verwahrt wurde. Da truge es sich zu, daß einer aus denen fürstlichen Bedienten aus seiner Schlaf-Kammer daher kame; und weil er glaubte, der gantze fürstliche Hof wäre in der Ruhe, schliche er in den Saal hinein, zoge aus dem Sack einen Dietrich herfür, steckte selben in das Schlüssel-Loch, und reibete darmit so lang hin und her, bis er den Kasten eröfnet: da er dann ein und andere Silber-Geschirr heraus mausete, und nach wiederum zugemachten Kasten darmit fort wolte. Allein wie der Fürst [490] dieses von weitem gesehen, rufte er: holla Kerl! was ist das? wilst du dei-Herrn bestehlen? warthe nur, du sollest Morgen deinen verdienten Lohn darfür bekommen. Der Bediente dies hörend, erschracke heftig, weil er ihme nichts wenigers eingebildet, als daß der Fürst bey spater Nacht solte in dem Saal seyn, liesse also das Silber-Geschirr stehen, nahme eylends die Flucht, und laufte der Kammer zu, allwo die andere Mit-Bediente tief eingeschlaffen waren. Der Fürst, so den Dieb wegen der Ferne nicht erkennen mögen, schliche ihm auf dem Fuß nach, und begabe sich in eben gedachte Kammer, hoffend, den Dieb noch ausser dem Beth anzutreffen. Allein dieser hatte sich geschwind, ohne daß die andere Schlaffende wären aufgeweckt worden, schon wiederum ins Beth gelegt. Wie nun der Fürst in die Kammer hineingetretten, sahe er, daß alle Diener in ihren besondern Betheren lagen. Da gedachte er bey sich selbst: was ist jetzt zu thun? wie werd ich darauf kommen; welcher aus diesen Dieneren das Silber-Geschirr hat stehlen wollen? Indem er also in Gedancken stehet, fallt ihm ein, er solle von einem zum anderen herum gehen, und einem jeden Diener mit der Hand auf die Brust greiffen, um zu erfahren, welchem aus ihnen wegen eingenommener Forcht das Hertz klopfe? dann dieser und kein anderer müsse der Dieb seyn. Als er nun von einem zum anderen herum gangen, kame er auch zu dem Beth des Diebs, welcher sich mit feinem Schnarchen angestellt, als wäre er tief eingeschlaffen. Allein der Fürst erkennte ihn gleich an dem Hertz-Klopfen. Da gedachte er abermahl: was muß ich jetzt anfangen? soll ich ihn aufwecken, und ein Liecht begehren, daß ich ihm in das Gesicht zünde, und ihn also kennen möge? so wecke ich auch andere auf, und gibt es ein Getümmel ab. Gehe ich wiederum davon? so bleibt mir der Dieb unbekannt, und kommt ohne Straf durch. Letztlich fallt ihm ein, er solle dem Dieb mit einem Scherlein an der lincken Seithen des Kopfs ein Haar-Locken wegschneiden, aus diesem werde er ihn des anderen Tags vor anderen leichtlich erkennen mögen. Dieses gethan, schliche der Fürst wiederum zur Kammer hinaus, und begabe sich in die Ruhe. Wem ware ängster, als dem Dieb? Dann er gedachte bey sich selbst: jetzt bin ich verrathen, jetzt ist es aus mit mir. Komme ich Morgens vor den Fürsten, so wird er mich als einen Dieb lassen aufhencken: will ich entlauffen? so finde ich alle Thür und Thor verschlossen. Ach in was Aengsten stecke ich; da er also hin und her gedenckt, fallt ihm ein: wie wäre es, wann ich einem jeden aus denen anderen Dieneren auch ein Haar-Locken an der lincken Seithen des Kopfs mit einem Scherlein wegschneidete? auf solche Weiß könte der Fürst nicht daraus kommen, welchem er aus uns das Haar weggeschnitten? mithin könte auch keiner gestraft werden. Gleichwie ihm dieser listige Gedancken [491] eingefallen, also hat er ihn auch vollzogen, ohne daß es die Schlaffende mercken können. Mithin ware er von der Angst erlediget, und schlieffe darauf ruhig, bis der Tag angebrochen. Als nun ein jeder aus dem Schlaf erwachet, und aufgestanden, kame der Befehl, daß alle Diener, keiner ausgenommen, solten vor dem Fürsten erschienen: die Diener verwunderten sich, was dieses bedeuten solte? sorgten aber alle, sie werden vielleicht wegen einer begangenen Hinläßigkeit einen Verweiß bekommen. Indem sie sich nun für den Fürsten gestellt, sahe er, daß einem jeden aus ihnen an der lincken Seithen des Kopfs ein Haar-Locken weggeschnitten ware: dieses kame ihm dann gantz wunderlich vor, wie es doch müsse zugegangen seyn. Allein er argwohnete gleich, diesen Possen müsse der Dieb gespielet haben, damit er nemlich vor anderen nicht möchte erkennet werden. Liesse also wegen diesem sinnreichen List den gefaßten Zorn fallen, und fienge an hertzlich zu lachen; und das um so viel desto mehr, weil die Diener insgesamt einander mit Verwunderung anschauten, und heimlich lachten; indem sie nicht errathen könten, wer ihnen diesen Possen gerissen, daß aber mit gestutzten Haaren vor dem Fürsten da stunden. Unter dessen hätte der Fürst gern gehabt, daß der Diener sich selbst solte zu erkennen geben mir dem Versprechen, daß ihm kein Leyde widerfahren solte: allein dieser gedachte, es wäre für ihn besser, einer wisse es allein, was er angestellt habe, als daß andere auch Kundtschaft darvon hätten. Ihm war also genug, daß er sich durch Erfindung eines so artigen Lists aus der Gefahr gehenckt zu werden, gerettet hatte. Bidermanni S.J. Utopia l. 4. n. 19.


Also kan bisweilen ein Missethäter die Menschen mit List hintergehen, und der verdienten Straf entrinnen: aber vor GOtt gehet das nicht an, dann er siehet alles. Bilde dir nicht ein, als wann ihm verborgen seye, was du in der Finstere gesündiget hast, er ist ein Liecht, das alles entdecket; ja er durchdringet so gar die innerste Gedancken deines Hertzens: so unfehlbar er also das Gute belohnet, so unfehlbar straffet er das Böse. Und dieser Straf kanst du anderst nicht entgehen, als du bereuest deine Missethat, und thust Buß darvor.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 490-492.
Lizenz:
Kategorien: